WM 2006:Anklage ohne die Schlüsselfigur

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Vorerst nicht angeklagt: Franz Beckenbauer. (Foto: Bernd Weissbrod/dpa)
  • Die Schweizer Bundesanwaltschaft (BA) hat Anklage gegen die drei ehemaligen DFB-Funktionäre Theo Zwanziger, Wolfgang Niersbach, Horst R. Schmidt sowie gegen Urs Linsi von der Fifa erhoben.
  • Der Vorwurf lautet "arglistige Täuschung" im Zusammenhang mit einer Zahlung von 6,7 Millionen Euro.
  • Franz Beckenbauer ist vorerst nicht angeklagt - sein Gesundheitszustand lasse eine Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht zu.

Von Thomas Kistner, München

Die Schweizer Bundesanwaltschaft (BA) erhebt Anklage gegen vier Akteure in der WM-2006-Affäre. Sie lastet den früheren DFB-Präsidenten Theo Zwanziger und Wolfgang Niersbach sowie den damaligen Generalsekretären Horst R. Schmidt (DFB) und Urs Linsi (Fifa) an, "arglistig über den eigentlichen Zweck einer Zahlung in der Höhe von 6,7 Millionen Euro getäuscht zu haben". Abgetrennt wurde das Verfahren gegen den mutmaßlichen Hauptakteur, den damaligen WM-Organisationschef Franz Beckenbauer. Laut Mitteilung vom Dienstag lässt dessen Gesundheitszustand "nach derzeitiger Prognose eine Teilnahme oder Einvernahme an der Hauptverhandlung" vor Gericht nicht zu.

Falls es zu dieser Verhandlung kommt. Die Berner Behörde hat sich selbst massiv unter Druck gebracht - mit der Affäre um ihren Amtschef Michael Lauber, der sich wiederholt geheim und ohne Protokollführung mit Fifa-Boss Gianni Infantino traf und vor sechs Wochen von dem 25 Verfahren umfassenden Fußball-Gesamtkomplex ausgeschlossen wurde, und überdies mit ihrer schleppenden Arbeitsweise. Nun droht dem viel beachteten Sommermärchen-Prozess die Verjährung; um diese Peinlichkeit zu verhindern, müsste bis April 2020 ein erstinstanzliches Urteil des Bundesgerichts vorliegen. Die erst in den letzten Wochen rasante Vorgehensweise in Bern - der Geldwäscheverdacht wurde fallengelassen, die Causa Beckenbauer in kürzester Zeit abgetrennt - deuten sachkundige juristische Beobachter so, dass die BA wohl vor allem ein Ziel verfolge: die Sache ganz flott aus dem Hause zu haben.

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Im Zuge der Fußballrecherchen hat die Schweizer Bundesanwaltschaft längst ihren Ruf ramponiert. Nun trennt sie auch noch das Verfahren Beckenbauer ab - und trägt die Ermittlungen zur WM 2006 zu Grabe.

Kommentar von Thomas Kistner

"Das Ganze ist vom Prozessinhalt bis zur Verfahrensführung nie rechtsstaatlich gelaufen."

Beckenbauers Fall darf wegen der nahenden Verjährung de facto schon als beendet gelten; dabei ist der frühere OK-Chef die Zentralperson in dieser Affäre um ungeklärte Millionenzahlungen, für die er sogar einen Schuldschein gezeichnet hatte. Auch die Berner Ermittler halten ihn für die Schlüsselfigur - im Entwurf der Anklageschrift am 13. Juni führen sie ihn als Mittäter, "eventualiter als Anstifter und Gehilfe". Sie gehen darin von einer "Bereicherung" Beckenbauers durch Mittel aus dem WM-Organisationskomitee respektive des DFB "in Form einer Passiven-Verminderung um mindestens EUR 6,7 Mio. bzw. umgerechnet 10 318 670 Franken" aus.

Übrig bleibt das Quartett, gegen das nun Anklage erhoben wird. Theo Zwanziger erfuhr dies eher zufällig durch Bekannte am Dienstagmorgen in Österreich. Sein Anwalt schickte daraufhin die nächste geharnischte Mail an die Berner Strafermittler: Er bittet um Aufklärung, warum die Medien ausführlich über die Anklageschrift informiert worden seien, noch bevor diese seinem Mandanten zuging. "Das passt ins Bild", sagt Zwanziger, "das Ganze ist vom Prozessinhalt bis zur Verfahrensführung nie rechtsstaatlich gelaufen."

Das Verfahren selbst dreht sich um zwei ungeklärte Zahlungen von zehn Millionen Schweizer Franken (6,7 Millionen Euro) in den Jahren 2002 und 2005. Beckenbauer hatte vom damaligen Sport- und Fernsehrechte-Unternehmer Robert Louis-Dreyfus einen Kredit in dieser Höhe erhalten; das Geld floss 2002 auf Firmenkonten des Fifa-Funktionärs Mohamed bin Hammam in Katar. Die Rückzahlung an Louis-Dreyfus drei Jahre später erfolgte von einem DFB-Konto über den Weltverband. Die deutschen Beschuldigten hätten gegenüber dem Präsidialausschuss des WM-OK gelogen, um die Rückzahlung zu ermöglichen, teilt nun die BA mit: Der Zahlvorgang sei "wahrheitswidrig als Mitfinanzierungsbeitrag des DFB bzw. des OK WM 2006 an die Fifa-Auftaktveranstaltung" für die WM 2006 ausgewiesen worden.

Zwanziger, Schmidt und Linsi wird Betrug in Mittäterschaft vorgeworfen, Niersbach die Gehilfenschaft. Dafür sieht das Schweizer Strafgesetz Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren oder Geldstrafen vor. Auch Niersbach rügte die Prozessführung: "Es ist bezeichnend für dieses unsägliche Verfahren, dass man als Betroffener nach über drei Jahren erfahren muss, dass Anklage erhoben wird. Materiell kann ich nur wiederholen, dass die erhobenen Vorwürfe völlig haltlos sind." Hinsichtlich einer Prozesseröffnung hat das Bundesgericht in Bellinzona noch eine Reihe von Einsprüchen der Verfahrensbeteiligten zu klären. Das reicht von den gegen die Abtrennung des Beckenbauer-Verfahrens eingelegten Rechtsmitteln bis zur Frage, ob der ganze Komplex neu aufgerollt werden muss, weil sich Bundesanwalt Lauber wiederholt diskret mit Fifa-Boss Infantino traf.

Der BA ist es nicht gelungen, die Kernfigur als Zeugen zu befragen

Mehr offene Fragen hinterlässt der Umgang mit inhaltlichen Punkten. Der BA ist es nicht gelungen, die Kernfigur als Zeugen zu befragen, Mohamed bin Hammam. Katar widersetzte sich den Rechtshilfeersuchen; es verwundert, dass die Fifa als an der Aufklärung interessierte Partei nicht Druck auf den WM-Veranstalter 2022 ausüben konnte: Immerhin geht es um die Frage, ob die WM 2006 gekauft worden ist.

Zumindest sieht das die BA so. Eine Schwäche ihrer Anklage ist, dass sie sich kaum Mühe machte, die Hintergründe der damaligen Millionenzahlungen aufzuhellen. Sie bietet in ihrem Klageentwurf allerlei bunte Versionen an: Das Geld könne für den Kauf asiatischer Voten für den WM-Zuschlag geflossen sein; für Sepp Blatters Fifa-Wahlkampf 2002; als Dank für Hilfsleistungen bin Hammams. Oder als Rückzahlung, weil Beckenbauer aus seinem Privatvermögen zehn Millionen für den Erhalt eines satten OK-Zuschusses ausgelegt habe.

Laut Aktenlage dominiert ein anderer Verdacht. Es ist der weitaus plausibelste: Dreyfus' Kredit an Beckenbauer könne dessen stillem Einstieg in ein TV-Rechtegeschäft gedient haben, mit Riesengewinn einige Jahre später. Die für das Kreditkonto "F. B." zuständige Bankmitarbeiterin notierte intern: Zweck sei ein Darlehen von Louis-Dreyfus über zehn Millionen Franken an Geschäftsfreund "F. B.". Dreyfus und Mitinvestoren hatten genau zu jener Zeit 2002 aus dem Nachlass der bankrotten Kirch-Gruppe die neue Rechteagentur Infront kreiert. Haupteigner waren er und der saudische Geschäftsmann Salih Kamil; Letzterer agierte jedoch nur über seinen Vertrauten in Katar: bin Hammam.

Dieser Sache nachzuspüren, würde das Verfahren in eine andere Richtung rücken und wohl auch den Geldwäscheverdacht beinhalten. Aber das dauert. War dafür bis April keine Zeit mehr?

© SZ vom 07.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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