Prüfungsbetrug:Zehn Euro pro Seite, produziert in Osteuropa

Ghostwriter

Manche Arbeit an deutschen Unis entsteht wie von Geisterhand. Wer sie wirklich verfasst hat, ist kaum zu erkennen.

(Foto: Christin Hume / Unsplash)

Das Geschäft mit dem Ghostwriting wird global: Studierende lassen ihre Hausarbeiten inzwischen in der Ukraine schreiben - oft sogar auf Deutsch.

Von Bernd Kramer

Eugenia Kelesh, 27, war gerade zurück aus dem Au-pair-Jahr in Fürstenfeldbruck, als sie das Angebot auf einem ukrainischen Jobportal entdeckte: Ghostwriter gesucht, möglichst auf Deutsch. "Der Job war perfekt für mich", sagt sie. So konnte sie ihre Sprachkenntnisse frisch halten. Und gutes Geld verdienen, für ukrainische Verhältnisse. Eine Arbeit über den Zusammenhang von Persönlichkeit und Gesundheit etwa, sechs Seiten plus Literaturverzeichnis, brachte ihr 86 Euro. Wie vielen Studenten im fernen Deutschland sie von ihrem Schreibtisch in Uschhorod aus das Studium gerettet hat, kann sie gar nicht sagen. An die 20 Arbeiten habe sie bestimmt geschrieben.

Die Globalisierung erfasst inzwischen den akademischen Betrug. In Karrierenetzwerken wie Linked-In geben reihenweise Ukrainer an, als "wissenschaftliche Autoren" oder "Essay Writer" für eine dubiose Firma zu arbeiten, die sich einen Namen gegeben hat, der wohl bewusst die Anlehnung an die seriöse Deutsche Forschungsgemeinschaft sucht, eine staatlich finanzierte Wissenschaftsförderanstalt.

Die Ukraine bietet sich als Outsourcing-Ziel besonders an: Deutsch ist als Fremdsprache verbreitet, das Lohnniveau niedrig. Und im ukrainischen Bildungssystem grassieren Korruption und Titelhandel. Eugenia Kelesh hat die Nachfrage aus Deutschland daher nicht sonderlich erstaunt. Taras Tymochko, der sich in einer NGO für mehr Integrität im ukrainischen Bildungswesen einsetzt, sagte dem NDR, dass sogar Uni-Mitarbeiter nebenbei ihr Gehalt als Ghostwriter aufbesseren würden - weil sie sonst ihren Lebensunterhalt kaum bestreiten könnten.

"Die billigste Art, Hausarbeiten schreiben zu lassen"

Auch Stefan Seidler witterte als Student der Ostslawistik an der Uni Leipzig ein Geschäft, als er von einzelnen Kommilitonen hörte, die über private Verbindungen ihre Hausarbeiten aus der Ukraine bezogen. Für sein eigenes Studium, sagt der heute 31-Jährige, sei das nie und nimmer und überhaupt gar nicht und unter keinen Umständen infrage gekommen. Aber weil das Bafög gerade ausgelaufen war und er Geld brauchte, ließ er sich die Mailadressen der Schreiber geben und zog mit einem Freund eine Ghostwriting-Agentur auf.

Die Kalkulation: 30 Euro pro Seite kassieren sie vom Kunden, davon gehen zehn an ihn, zehn an seinen Kompagnon und zehn Euro an den Verfasser drüben. Vorausgesetzt, der liefert auf Deutsch ab. Muss der Text übersetzt werden, sind es fünf Euro. "Das ist einfach die billigste Art, Hausarbeiten schreiben zu lassen", sagt Seidler. "Und ich konnte neben dem Studium gut davon leben." Einmal habe sich eine ukrainische Uni-Dozentin gemeldet, die die Hausarbeiten ihrer Studenten weiterverscherbeln wollte. Gutes Angebot, hätten sie selbstverständlich angenommen.

Doch die Lieferkette hat ihre Herausforderungen. Was, wenn das deutschsprachige Buch, das ein hiesiger Professor zur Behandlung auferlegt hat, in den ukrainischen Bibliotheksbeständen nicht verfügbar ist? "Es würde ja sofort auffallen, wenn in einer deutschen Hausarbeit plötzlich aus einer russischsprachigen Foucault-Ausgabe zitiert wird." In solchen Fällen ist Seidler in die Bibliothek marschiert, hat die Seiten abfotografiert und dem Auftragsschreiber gemailt. So einen Prozess über Grenzen hinweg zu managen, kann anstrengend werden.

Inzwischen, nach seinem Examen, hat Seidler daher umgeschwenkt: Er importiert jetzt keine Seminararbeiten mehr, sondern osteuropäische Lebensmittel. Erst einmal jedenfalls.

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