Landtagswahlen in Ostdeutschland:Die CDU zahlt den Preis für ihre West-Dominanz

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Ein abgerissenes Wahlplakat des CDU-Spitzenkandidaten Michael Kretschmer im sächsischen Rochlitz (Foto: Mario Hösel/Imago)

Das Problem der CDU in Sachsen oder Brandenburg ist nicht allein der AfD und Flüchtlingen geschuldet - es liegt tiefer. Nun muss die Partei im Osten Haltung zeigen.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Angela Merkel hat zu Jahresanfang ein bemerkenswertes Interview gegeben. Darin räumte sie 29 Jahre nach dem Fall der Mauer und 14 Jahre nach ihrer Wahl zur Kanzlerin ein, dass viele Menschen im Osten unter der mangelnden Anerkennung ihrer Lebensleistung litten. Sie gab zu, dass viele im Westen das bis heute nicht verstanden hätten. Und sie versuchte zu erklären, warum ihre Herkunft für ihre Politik keine große Rolle spielen sollte.

So nachdenklich das klang, so deutlich förderte es zutage, dass die Gefühlswelten vieler Ost- und Westdeutscher bis heute weit auseinanderliegen - und auch die langjährige CDU-Vorsitzende daran kaum etwas ändern konnte.

Wenn am 1. September in Sachsen und Brandenburg die Wahllokale schließen, werden die Zahlen für die CDU nicht schön aussehen. Viele werden dann auf die Flüchtlingskrise und die AfD verweisen. Doch die Gründe für die Malaise liegen tiefer. Die CDU des Einheitskanzlers Helmut Kohl ist trotz einer Ex-Chefin aus dem Osten zu lange von westlichem Denken und Handeln dominiert worden.

Schon Merkels Zögern, die Lage im Osten auch mal als Impuls für eigene Politik zu nutzen, bestätigt das. Es zeigt, wie sehr auch sie, von Kohl stolz ins Kabinett geholt, lernen musste, dass sehr viele in dieser CDU westdeutsch dachten und weiter denken wollten. Ihr Machtkampf um den Vorsitz im Jahr 2000 gegen die Andenpaktler um Roland Koch ist der Höhepunkt gewesen. Doch obwohl sie gewann, schloss sie aus dem Erlebten, dass sie politisch nicht überleben könnte, wenn sie den Osten als Herkunft hervorheben würde.

Hinzu kam, dass die CDU im Osten mit Kurt Biedenkopf und Bernhard Vogel über Jahre von zwei Westimporten dominiert wurde. Sie konnten zu Heroen aufsteigen, solange viele im Osten auf westliche Helden setzten. Aber das verhinderte zugleich, dass starke ostdeutsche Persönlichkeiten heranwachsen und der CDU mehr Sensibilität für Verlustängste und für den Nutzen auch unkonventioneller Ansätze nahebringen konnten.

Die CDU braucht eine Überzeugung, die nicht spaltet

Und jetzt? Was über Jahrzehnte versäumt wurde, lässt sich nicht in zwei, drei Monaten vor der Wahl ausgleichen. Sei es die Not in den Regionen, denen ein Absturz droht; sei es der Streit um die Flüchtlingspolitik oder den Rechtsextremismus. Nur eines ist sicher: Nichts geht ohne Zugewandtheit; und nichts ohne Haltung. Ersteres versucht Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. Überall fährt er hin, zu fast allem sagt er was - und wirkt doch zugleich so, als würde er sich ob der vielen Baustellen schon wieder verlieren.

Noch wichtiger ist Haltung. Bislang erwecken Kretschmer und seine CDU-Kollegen im Osten oft den Eindruck, als sei es Zeichen eines klugen Konservatismus, manchen gesellschaftspolitischen Fortschritt zurückzudrehen, um alte Weltbilder zu retten. Das aber würde nur der AfD in die Hände spielen, die tatsächlich eine Rückkehr zu Vergangenem anstrebt.

Haltung im Guten wäre es, den Rechtsstaat und seine Garanten, also Polizei und Justiz, so zu stützen, dass sie die Schutzversprechen und die Liberalität des Grundgesetzes überall durchsetzen können. Dieses Ziel richtet sich nicht ausgrenzend gegen diesen oder jenen; es richtet sich gegen alle, die diese Regeln ablehnen. Sich dafür mit Leidenschaft einzusetzen, könnte der CDU also das geben, was sie für einen Neustart bitter benötigt: eine Überzeugung, die nicht spaltet, sondern stolz die Werte dieser Republik verteidigt.

© SZ vom 13.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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