Kunst für Einsteiger:Performance in Dachauer Stadtbus

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Schauspielerinnen und Autor werten es schon als Erfolg, wenn nicht jeder nur auf sein Smartphone starrt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Im Linienbus 720 geben Schauspielerinnen in einer Performance Denkanstöße zur Frage, wer in der Gesellschaft eigentlich drinnen ist und wer draußen.

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Im fast leeren 720-er Bus teilen sich am frühen Samstagnachmittag zwei junge Frauen Smartphone und Kopfhörer. Laut singen sie mit; es ist ein Lied über Hausbesetzer und Geldsäcke; irgendwie erinnert es an Franz Josef Degenhardt und seine Polit-Songs. Befremdete Blicke oder ein verständnisvoll-amüsiertes Lächeln streifen die Frauen. Die zwei werden lauter. Die eine will raus aus dem Kleinstadtmief ins ach so gelobte Berlin. "Ich will, dass mir der Atem geraubt wird", sagt sie. Die andere duckt sich bei diesem Gefühlsausbruch fast ängstlich weg. Eine ältere Dame - Haare perfekt onduliert und auch sonst ziemlich fein gemacht - mischt sich ein. "Bäpp, bäpp, bäpp" oder so ähnlich klingt es, bevor sie provokant fragt: "Sind Sie ganz alleine hier?" Ehe ihr Blutdruck gefährliche Höhen erreichen kann, geht ein junger Mann auf die erregte Dame zu, spricht mit ihr.

Der Fahrer lenkt seinen Bus weiter mit stoischer Ruhe die Schillerstraße entlang. Fahrgäste steigen an den Haltestellen ein und aus. Eine der jungen Frauen geht Richtung Ausgang, bleibt dann aber doch im Bus und steht wie versteinert da. Die andere sucht sich einen Platz neben einer Frau, verwickelt sie in ein Gespräch über ein Reisebüro mit dem beziehungsreichen Namen "Fluchthelfer" und fragt mit einer Stimme, die auf Widerspruch hofft: "Ob die Abenteuerurlaub im Mittelmeer anbieten?" Alltag im Dachauer ÖPNV? Nicht wirklich. Die jungen Frauen, Deborah-Maditha Dolle und Anna K. Seidel, sind angehende Schauspielerinnen. Der junge Mann ist Luca Daberto. Zusammen mit der Künstlerin Agnes Jänsch hat er die Kunst-Intervention "Out - Performance in der Buslinie 720 der Stadt Dachau" erarbeitet. Sie ist Teil der großen Freiluftausstellung "Raus" der Künstlervereinigung Dachau (KVD), die zu ihrem hundertjährigen Bestehen aktuell fast die ganze Stadt bespielt.

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(Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Fahrkartenentwerter als Fernrohr? Die Schauspielerinnen Deborah Maditha Dolle (hier im Bild), Anna K. Seidel und der Autor Luca Daberto nutzen den Mittelgang des Stadtbusses als Bühne für Alltagsszenen.

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Darin befassen sie sich mit Gegensätzen von Stadt und Land, mit Sommerurlaub und Flüchtlingselend und der Sehnsucht nach einer heilen Welt.

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(Foto: Niels P. Jørgensen)

Anna K. Seidel, Luca Daberto und Deborah Maditha Dolle (von links) vor dem Bus.

Bereits zum dritten Mal ist das Trio unterwegs, will mit persönlichen und politischen Statements in der freiwillig oder unfreiwillig mitgehörten Unterhaltung und einer ausgeklügelten Dramaturgie die Fahrgäste der Linie 720 erreichen, gewissermaßen Bewegung in die Bewegung der Menschen bringen. Es sei schon ein Erfolg, sagt Daberto, "wenn es gelingt, dass nicht jeder nur auf sein Smartphone starrt, dass Kommunikation stattfindet". Braucht es dazu mittlerweile nicht stärkere Mittel als einen - wenn auch nicht gerade im Flüsterton geführten - Diskurs über Wohnungsnot und Geldgier, über den ehemaligen NPD-Chef Holger Apfel und dessen Kneipe auf Mallorca, über Weggehen und Dableiben? Nein, sagt Daberto. "Wir sind nicht innerhalb eines Kunstraums, sondern wir sind Gast im öffentlichen Raum." Die Zeiten, in denen Provokation das Mittel der künstlerischen Wahl gewesen sei, seien vorbei. Zumindest für ihn, für Agnes Jänsch und die Akteurinnen im Bus.

Sie wollen vielmehr buchstäblich erfahren und erfahrbar machen, was es bedeutet, "raus aus der beklemmenden Gesellschaft zu gehen", oder von ihr ausgeschlossen zu werden, wollen die derzeit so aktuelle Suche nach Romantik und heiler Welt als Gegenpol zu gefühlten und tatsächlichen Dauerkrisen thematisieren. "Letztendlich fragen wir: Gibt es überhaupt ein Außen?", sagt Daberto. Da wird der städtische Bus zu einer Art Transitraum für Menschen und Gedanken.

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Schauspielerinnen und Autor werten es schon als Erfolg, wenn nicht jeder nur auf sein Smartphone starrt.

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Die Kunst-Intervention namens "Out - Performance in der Buslinie 720 der Stadt Dachau" ist Teil der großen Freiluftausstellung "Raus" der Künstlervereinigung Dachau.

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Busfahrer Benjamin Michel sorgt für stetige Kulissenwechsel.

Dass diese Aktion Neugierde und Erwartungen auf irgendwelche Sensationen weckt, lässt sich schon vor der Abfahrt beobachten: Am Dachauer Busbahnhof treibt ein heftiger Wind dicke Regentropfen vor sich her. Die ersten heimkehrenden Volksfestbesucher, unschwer an ihrem Outfit zu erkennen, lassen sich gegen 14 Uhr mehr oder weniger geschickt auf den Wartebänken nieder. Der Fahrer der Linie 720 schaut leicht ungeduldig auf seine Uhr. Nicht weil er pünktlich sein will, sondern weil sein Bus heute zur Bühne werden soll. Doch kein auf den ersten Blick als Künstler zu verifizierender Mensch nähert sich. "Vielleicht ist die Warterei schon die Performance", mutmaßt ein zweiter Busfahrer. "Was ist denn überhaupt eine Performance?", will ein Fahrgast wissen. "Steigen's ein, dann merken Sie's", ist die Antwort.

Gemerkt hat der Fahrgast nach eigenem Bekunden aber erst einmal gar nichts. Es ist ja auch nichts Sensationelles, was sich da im Bus abspielt. Aber es ist bemerkenswert - und kann den Blick für "In and out" der anderen Art schärfen, wenn man hinsieht und hinhört.

Performative Intervention "Out" von Agnes Jänsch und Luca Daberto: Am Donnerstag, 5. September, gibt es ganztägig und am Freitag, 13. September, während der Langen Nacht der offenen Türen noch einmal eine Performance in der Buslinie 720 der Stadt Dachau.

© SZ vom 13.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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