Greta Thunberg:Junge Idealistin prallt auf die Realität

Die Klimakrise verdichtet sich zur klassischen Tragödie. Greta Thunberg ist die tragische Heldin, die die Wahrheit zwar sieht und ausspricht, aber dennoch nur scheitern kann.

Kommentar von Karin Janker

Kaum etwas wird in Zusammenhang mit Greta Thunberg und ihrem Schulstreik fürs Klima so oft zitiert wie das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern. Greta sei wie das Kind, das aus der Menge der biederen Untertanen tritt und, für alle hörbar, den Kaiser "nackt" nennt. Die 16-Jährige hat, so scheint es, als Einzige den Mut, den Menschen zu sagen, dass die junge Generation dem Raubbau am Planeten nicht länger zusehen wird, nicht länger zusehen kann. Nackt ist vor ihrem Blick jeder Einzelne, der bislang sein Leben ohne Rücksicht auf das Klima lebt.

Greta sehe Dinge, die andere nicht sehen wollen, schreibt ihre Mutter im Buch "Szenen aus dem Herzen": "Sie sieht, wie Treibhausgase aus unseren Schornsteinen strömen (...) und die Atmosphäre in eine gigantische unsichtbare Müllhalde verwandeln." Greta, die Seherin.

Schon ist man mittendrin in der Erzählung, die die junge Schwedin zur Projektionsfläche für Hoffnung und Hass macht: Wie dem Kind in Andersens Märchen kommt Greta in dieser Geschichte eine privilegierte Perspektive auf die Wahrheit zu. Zudem hat sie den Mut, die "nackte Wahrheit" auch auszusprechen. Der aufklärerische Gestus eines Kindes fasziniert die Fans der Greta Thunberg. Und er verstört ihre Kritiker: Was kann eine 16-Jährige schon über Dinge wissen, die man ohne einschlägiges Studium auch als Erwachsener kaum durchdringt?

Wenn Greta Thunberg an diesem Mittwoch nach Amerika aufbricht, um in New York und später in Santiago de Chile Klimakonferenzen zu besuchen, so wird ihr ein großer Teil der Welt bei ihrer zweiwöchigen Segeltour zusehen. Ihre Überfahrt ist, auch wenn das nicht die vordringliche Absicht sein mag, ein großes PR-Event.

Coming-of-Age in Reality-TV-Qualität

Wie sonst erklärt sich, dass das Team der Yacht vor der Abfahrt mitteilen lässt, dass der als Hilfsantrieb fungierende Verbrennungsmotor für Gretas Fahrt selbstverständlich versiegelt werde. Es klingt, als starte da jemand einen Versuch fürs Guinnessbuch der Rekorde, und nicht, als ginge es darum, über den Atlantik zu segeln, weil es die einzige umweltverträgliche Möglichkeit ist.

Die Medien berichten, die Menschen interessiert's. Kein Wunder, ist es doch faszinierend, einer Teenagerin zuzusehen, wie sie nach einem alternativen Lebensstil sucht, vegan lebt und auf die Annehmlichkeiten des Fliegens verzichtet. Coming-of-Age in Reality-TV-Qualität: Wird sie es wirklich schaffen? Kann sie die Welt überzeugen, dass der Kaiser nackt ist?

Für ihre Unterstützer ist Greta eine Aufklärerin

Junge Idealistin prallt auf die Realität - aus diesem Szenario speist sich der Stoff einer klassischen Tragödie, in deren Zentrum Greta Thunberg steht: Tatsächlich wird sie nur scheitern können. Auf der einen Seite warten ihre Kritiker hämisch darauf, die Heldin als Heuchlerin zu enttarnen. Sie ist ja auch nur ein Mensch, irgendwann wird man sie mit einem Plastikstrohhalm zwischen den Lippen erwischen oder bei einem anderen Verstoß gegen ihre eigenen Doktrinen. Schon kursiert die Information, dass die Yacht für ihre Überfahrt aus Carbon, also Erdöl, hergestellt ist.

Auf der anderen Seite erwarten ihre Fans, nicht weniger genüsslich, das Scheitern der Welt an den Ansprüchen der Klimabewegung. Für ihre Unterstützer ist Greta eine Aufklärerin, die gerechte und richtige Forderungen an die Politik stellt. Allein: Man wird nie alle diese Forderungen umsetzen können. Viele sind radikal und weder sozial verträglich noch in der Frist, die die Aktivisten der Politik setzen, zu realisieren. So weit der Plot der Tragödie, zu der sich die Klimakrise in der öffentlichen Wahrnehmung verdichtet.

Dabei ist die Radikalität der Forderungen der "Fridays for Future" ja nachvollziehbar. Nicht nur, weil die Demonstranten jung sind und es ihr gutes Recht ist, in dieser Lebensphase idealistisch zu sein. Sondern auch, weil Politiker in den vergangenen Jahren tatsächlich vieles versäumt haben, mitunter kurzsichtige Kompromisse eingegangen sind und im Zweifelsfall wirtschaftlichen Interessen den Vorrang gegenüber der Umwelt eingeräumt haben.

Thunberg verkörpert ein asketische Paradigma

Unübersehbar ist diese Klimabewegung auch eine Absetzbewegung gegenüber älteren Generationen. Nicht wenige derer, die 1968 erlebt haben, stößt vor den Kopf, wonach die Klimabewegten da rufen: strengere Regeln, Verzicht, Selbstbeschränkung. Es zeichnet sich, zumindest in Europa, ein Paradigmenwechsel in der Protestkultur ab: Der Ruf nach Freiheit wird abgelöst vom Ruf nach mehr Regulation. Die Freiheit und Freizügigkeit der letzten Jahrzehnte hat die Klimakrise erst befeuert. Die Überheblichkeit der Jugend besteht heute darin, den Eltern zu sagen: Ihr habt falsch gelebt, auf unsere Kosten. Wir sagen euch jetzt, wie man besser lebt.

Thunberg verkörpert dieses asketische Paradigma: das makellose Gesicht ungeschminkt, die schlichten Zöpfe, die Sweatshirts und Karoblusen. Eine passendere Ikone für die Bewegung gibt es kaum.

Dass die Welt einer 16-Jährigen zuhört, wenn sie Dinge ausspricht, die Wissenschaftler und einige Politiker schon seit Jahren predigen, zeigt allerdings nicht nur, wie gut sie als Projektionsfläche funktioniert. Es verweist auf ein bedenkliches Symptom der Zeit: Einmal mehr zeigt sich, wie sehr das Ansehen der Eliten, seriöser Politiker oder gemäßigter Wissenschaftler, bereits geschwunden ist. Jemand, der neu, medienwirksam und unkonventionell daherkommt - da sind sich Thunberg und Trump plötzlich erstaunlich ähnlich -, entfacht mehr politisches Engagement als diejenigen, deren Beruf das Aushandeln politischer Kompromisse ist.

Die Begeisterung für Greta Thunberg erweist sich als Kehrseite des Populismus à la Trump oder AfD: Beides wurzelt im Misstrauen gegenüber etablierten Eliten. Allzu hoffnungsvoll braucht einen das Mädchen aus Schweden also nicht zu stimmen. Mit radikalen Forderungen allein kann die Blöße des nackten Kaisers nicht bedeckt werden. Dazu braucht es diejenigen, die sich aufs Weben verstehen.

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