Elektronische Fußfesseln:Auf fast freiem Fuß

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Elektronische Aufenthaltsüberwachung, kurz EAÜ, so nennt die Justiz das Gerät, mit dem Straftäter auch schlafen und duschen müssen. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)
  • Bayernweit werden derzeit 15 Personen nach Verbüßung einer Haftstrafe im Rahmen der Führungsaufsicht mittels Fußfesseln überwacht.
  • Kandidaten dafür sind Haftentlassene, die wegen gröberer Delikte mindestens drei Jahre verbüßt haben.
  • Das Gerät sendet in regelmäßigen Abständen Funksignale an die gemeinsame elektronische Überwachungsstelle der Länder im hessischen Bad Vilbel.

Von Susi Wimmer

"Schau mal", sagte die ältere Dame zu ihrer Begleiterin in der Tram, "der hat so ein Fitnessgerät am Knöchel." Richter Andreas Maltry erzählt die Anekdote mit einem kleinen Lächeln. Acht Jahre ist es her, dass einige Bewährungshelfer freiwillig eine Fußfessel anlegten, um Funktion und Wirkung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) vor deren Einführung zu testen. Er habe sich eingesperrt gefühlt, sagte einer danach, "so als ob dir einer ständig über die Schulter schaut". Tatsächlich schaut die Polizei aktuell in München drei Männern präventiv "über die Schulter". Bayernweit sind es momentan 15 Kandidaten, die nach Verbüßung einer Haftstrafe im Rahmen der Führungsaufsicht mittels GPS-Signalen überwacht werden. Aktuellster Fall dürfte der junge Mann sein, der wegen Mordes an Dominik Brunner eine knapp zehnjährige Haftstrafe verbüßt hat und sich nun seit einigen Wochen mit Hilfe der EAÜ auf nicht ganz so freiem Fuß befindet.

Es schwappen Horrormeldungen aus den USA nach Deutschland, dass dort Helikoptereltern sogar ihren pubertierenden Kindern Fußfesseln anlegen, um sie besser kontrollieren zu können. Es soll dort sogar schon Geräte geben, die messen können, ob der Träger Alkohol getrunken hat. In Bayern ticken die Geräte noch anders. Anfang 2012 habe man damit angefangen, im Rahmen der Führungsaufsicht Haftentlassene mittels der satellitengesteuerten Technik zu überwachen, erzählt Andreas Maltry. Der Richter leitet am Oberlandesgericht die Zentrale Koordinierungsstelle für Bewährungshilfe bei der bayerischen Justiz. Und er erklärt, wie die Sache mit der Fußfessel funktioniert.

Innere Sicherheit
:Islamist fliegt trotz Fußfessel nach Griechenland

Er war der einzige islamistische Gefährder in Deutschland, der per Fußfessel überwacht wurde - und ist bereits im Oktober über Griechenland in die Türkei ausgereist. Verboten war das nicht.

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Kandidaten für eine Fußfessel sind Haftentlassene, die mindestens drei Jahre verbüßt haben wegen gröberer Delikte wie etwa Gewalt- und Sexualstraftaten oder Vorbereiten einer schweren staatsgefährdenden Straftat. Sogenannte Strafvollstreckungskammern an den Land- und Amtsgerichten prüfen jeden Einzelfall und entscheiden, ob die EAÜ bei Häftlingen, die kurz vor der Entlassung stehen, sinnvoll ist - und wenn ja, wie sie ausgestaltet wird. Bayernweit schwankt die Zahl der Fälle zwischen 14 und 25 Trägern pro Jahr.

Ein Beispiel: Ein Kinderschänder hat seine Haftstrafe abgesessen, wird aber noch als potenziell gefährlich angesehen. Sein Muster besteht darin, betrunken an Kinderspielplätzen nach Opfern Ausschau zu halten. "Mit der EAÜ kann man Ge- und Verbotszonen bestimmen und überwachen", erklärt Florian Gliwitzky, Richter und Pressesprecher am Oberlandesgericht in München. Sprich, der Mann darf beispielsweise Kinderspielplätze in seinem Umkreis nicht betreten. Zusätzlich erhält er die Weisung, keinen Alkohol mehr zu trinken. Wird er einmal betrunken erwischt, begeht er eine Straftat und wandert in den Knast. Oder man richtet die EAÜ bei einem Gewaltstraftäter, der unter Alkohol aggressiv wird und immer nachts zuschlägt, so ein, dass er zwischen 22 und 6 Uhr seine Wohnung nicht verlassen darf. Oder die Münchner Feiermeile in der Innenstadt nicht betreten darf. Denn ansonsten schlägt die Fußfessel Alarm.

Das schwarze Kästchen, das am Fußgelenk der Probanden befestigt wird, hat etwa die Größe eines Handys aus den Nullerjahren. Das Gerät ist mit einem Hartgummiband festgezurrt und sendet in regelmäßigen Abständen Funksignale an die gemeinsame elektronische Überwachungsstelle der Länder im hessischen Bad Vilbel. Man darf sich keine riesige Landkarte vorstellen, auf denen rote Lichtlein wandern, die die Fesselträger darstellen sollen. "Die Justiz überwacht aus Datenschutzgründen nicht in Echtzeit", sagt Richter Maltry. Aber sollte der Träger versuchen, das Gerät abzunehmen, hat er vergessen, es aufzuladen, oder nähert sich etwa der Sexualstraftäter einem Kinderspielplatz, dann ist Alarm in Bad Vilbel angesagt. Die Mitarbeiter öffnen die elektronische Akte des Trägers und können nun sehen, wo er sich befindet. Je nach Lage wird telefonisch Kontakt mit ihm hergestellt (jeder Träger muss ein immer aufgeladenes Spezialhandy mit nur einer wählbaren Nummer bei sich tragen). Oder es rückt sofort die Polizei aus.

Kinderschänder missbrauchte weiteres Opfer trotz Überwachung

Natürlich, da sind sich Maltry und Gliwitzky einig, ist die EAÜ kein Allheilmittel, sondern nur ein Mosaikstein in einer Reihe von Maßnahmen. Allein schon der Start in München 2012 wurde von einem gravierenden Vorfall überschattet. Ein 40-jähriger Kinderschänder war im Frühjahr aus der Sicherungsverwahrung entlassen worden, trug eine Fußfessel und missbrauchte vier Monate später in München ein siebenjähriges Mädchen. "Das System Fußfessel hat jetzt schon versagt", wetterte damals Hermann Benker von der Polizeigewerkschaft. Oder der 35-jährige Syrer, als islamischer Gefährder eingestuft, der im Sommer 2017 samt seiner Fußfessel zum Flughafen gelangte und sich nach Griechenland absetzte.

Trotzdem. Florian Gliwitzky sagt, dass das "Drohpotenzial", das so ein Gerät auf den Träger ausübt, nicht zu unterschätzen sei. "Der größte Effekt besteht darin, dass der Träger weiß, dass die Entdeckungswahrscheinlichkeit bei einer Straftat enorm hoch ist und er ins Gefängnis geht." Das Gefühl, ständig überwacht zu werden, ist sicher nicht angenehm, ganz zu schweigen vom Tragekomfort: Im Sommer wird es für den Betroffenen schwierig, das Kästchen am Fuß zu verbergen. Er muss damit schlafen, duschen, leben. Und das für die vom Gericht bestimmte Dauer, das können zwei Jahre sein oder maximal fünf. Im Zwei-Jahres-Turnus prüft das Gericht, ob die Weisung aufgehoben werden kann. Natürlich gibt es auch schwarze Schafe, Maltry kennt ein relativ aktuelles Beispiel: Ein Vergewaltiger trug sogar sechs Jahre lang eine Fußfessel. Er wurde trotzdem rückfällig und sitzt nun in Untersuchungshaft. Orte, Altersangaben, Näheres zur Tat kann und will Andreas Maltry nicht sagen. "Aus Resozialisierungsgründen."

Polizei kann konkrete Verbotszonen festlegen

Seit 2017 sieht das Polizeiaufgabengesetz vor, dass die Polizei präventiv "zur Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr" Fußfesseln nach richterlicher Anordnung festzurren und bei Bedarf in Echtzeit überwachen darf. In München hatten schon zwei politische Gefährder einen Klotz am Bein sowie ein Mann, der mehrmals auf seine Mutter losging und drohte, sie zu töten. "Wir können in solchen Fällen ganz konkrete Verbotszonen einrichten", sagt Kriminaldirektor Andre Remy vom Polizeipräsidium. Der Aggressor darf sich etwa der Wohnung und dem Arbeitsplatz oder Arbeitsweg des Opfers in einem bestimmten Radius nicht nähern. Das überwacht die Fußfessel.

"Gerade im Bereich Stalking", sagt Remy, "kann man den Frauen helfen, ohne dass sie ihr Leben zu sehr einschränken müssen." Wenn Kontaktverbote und Gefährderansprachen etwa beim drohenden Ex-Mann nicht fruchten, dann stellt der Sachbearbeiter der Polizei am runden Tisch den Fall vor. Experten aus dem Bereich "Risikoanalyse" - Psychologen und gegebenenfalls weitere Wissenschaftler - diskutieren, ob eine Fußfessel das richtige Mittel der Wahl ist. "Für die Betroffenen ist das schon eine ziemliche Einschränkung", weiß Remy.

Zehn Mal binnen der letzten zwei Jahre ließ die Polizei Gefährdern von einer Spezialfirma die Überwachungsgeräte anlegen. Und egal, ob es dabei um häusliche Gewalt ging (ein Mann musste drei Monate die Fessel tragen), oder um den Stalker, der ein halbes Jahr lang überwacht wurde, "die EAÜ stellt eine wichtige und erfolgreiche Ergänzung zu den übrigen Maßnahmen dar und hat sich aus Sicht der Polizei überaus bewährt", bilanziert Andre Remy. Die Träger hätten sich großteils an die Auflagen gehalten. In Bad Vilbel piepste der Alarm meistens nur deshalb, weil sie vergessen hatten, das Gerät aufzuladen.

© SZ vom 17.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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