Streiks in Spanien:"Wir lernen alle Schattenseiten des menschlichen Daseins kennen"

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"Die, die sauber machen" protestieren für bessere Arbeitsbedingungen, hier im August 2018 vor dem Rathaus in Barcelona. (Foto: Pau Barrena/AFP)
  • Etwa 200 000 Zimmermädchen arbeiten in Spanien, einige von ihnen demonstrieren derzeit für eine "menschenwürdige Hotellerie".
  • Eine vor drei Jahren gegründete Vereinigung von Zimmermädchen, die für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne kämpfen, nennt sich "Las Kellys".
  • Die sozialistische Regierung unter Pedro Sánchez hat dem Zeitarbeitssektor den Kampf angesagt, für Kontrollen fehlt den Behörden aber das Personal.

Von Thomas Urban, Madrid

Dutzende Hotels befinden sich im Viertel um die Gran Vía. Ein paar Hundert Zimmermädchen arbeiten hier - und die meisten werden sich nicht an den Streiks beteiligen, mit denen die "Kellys" derzeit in Spanien Schlagzeilen machen. "Ich habe Angst, meinen Job zu verlieren", sagt Pilar, alleinerziehende Mutter zweier Kinder, 40 Jahre alt. In der Hauptsaison arbeiten schätzungsweise 200 000 Zimmermädchen in Spanien. Einige davon streiken derzeit wieder, in ihren T-Shirts. Zum Beispiel an diesem Freitag an der Costa Blanca: in Benidorm und Marina Baixa. Für eine "menschenwürdige Hotellerie".

"Las Kellys", so nennt sich eine vor drei Jahren gegründete Vereinigung von Zimmermädchen, die für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne kämpfen. Der Name ist eine Verballhornung des spanischen Halbsatzes "Las que limpian" - die, die sauber machen. So lautet der Titel eines Buchs mit Interviews, die der Journalist Ernesto Cañada mit den "Unsichtbaren" geführt hat. "Unsichtbare" nennt er sie, weil sie ihre Arbeit unauffällig erledigen sollen, nämlich in den Stunden der Abwesenheit der Hotelgäste.

Zimmermädchen-Organisation "Las Kellys"
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Myriam Barros kämpft in Spanien für bessere Arbeitsbedingungen in Hotels. Ein Gespräch über die Schattenseiten des Tourismusbooms, über Putzen im Akkord und grapschende Gäste.

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Das Buch war für eine Gruppe junger Frauen der Anlass, sich über eine Facebookgruppe über ihren "Sklavenjob" auszutauschen. Meist zwischen 25 und 30 Zimmer soll jede von ihnen in einer Acht-Stunden-Schicht in Ordnung bringen. Sie klagten sich gegenseitig ihr Leid: Rückenschmerzen, Kniebeschwerden, raue Hände, tränende Augen, Atembeschwerden von den chemischen Reinigungsmitteln. Sie klagten auch über Touristen, die ihnen jeden Morgen einen Saustall hinterlassen.

Pilar von der Gran Vía in Madrid berichtet: "Wir lernen alle Schattenseiten des menschlichen Daseins kennen." In dieser Hinsicht seien junge Briten und Russen besonders gefürchtet; dagegen seien Skandinavier und Deutsche meist ziemlich ordentlich.

Zu der Facebookgruppe nahm von der Kanareninsel Lanzarote die Hotelangestellte Myriam Barros Kontakt auf. Schnell war man sich einig, dass das Klagen allein nichts nütze, man müsse sich organisieren und kämpfen. Die durchsetzungsstarke und rhetorisch gewandte Myriam Barros wurde zur ersten Vorsitzenden der Kellys. Sie knüpfte Kontakte zu Medien, sodass auch Politiker auf die Aktivistinnen aufmerksam wurden. Anfang des vergangenen Jahres empfing der damalige konservative Premierminister Mariano Rajoy eine Abordnung von ihnen im Madrider Regierungspalast Moncloa; aus den 45 Minuten, die für das Gespräch vorgesehen waren, wurden zweieinhalb Stunden.

Rajoy musste sich allerlei anhören: Seine Regierung hatte in ihrem Programm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die vor einem halben Jahrzehnt auf über 25 Prozent geklettert war, das Arbeitsrecht gelockert. Entlassungen wurden erleichtert, dies sollte Firmenchefs ermuntern, Neueinstellungen vorzunehmen. Dies funktionierte auch, aber die meisten neuen Arbeitsverträge waren prekär - auch in der Reisebranche.

Als das neue Arbeitsrecht in Kraft trat, entließ die große Mehrheit der Hotelbesitzer massenhaft Personal, um dieselben Zimmermädchen, Kellner und Köche gleich danach als Angestellte von Zeitarbeitsfirmen wieder einzustellen. Am Umfang der Arbeit hatte sich für sie nichts geändert, aber die Bezahlung: Lag der Mindestlohn für Zimmermädchen mit Festanstellung bei 1200 Euro plus Weihnachts- und Urlaubsgeld, so fiel bei den meisten das Einkommen auf 800 Euro pro Monat, was einem Stundenlohn von wenig mehr als vier Euro brutto entspricht. Zulagen gibt es auch nicht mehr. Allerdings Verträge, die nur auf eine Saison befristet sind.

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Immerhin haben die Kellys bei Rajoy erreicht, dass viele ihrer Beschwerden nun als Berufskrankheiten anerkannt werden. Doch reicht ihnen dies nicht. Deshalb versuchen sie, in diesem August in einigen der Touristenzentren Streiks zu organisieren - auf Benidorm soll am 24. und 25. August Ibiza folgen. Wahrscheinlich aber werden die Touristen gar nicht viel davon mitbekommen: Die Kellys haben nur etwa 4000 aktive Mitglieder. Die Angst, keine Arbeit mehr zu finden, ist groß.

Zwar hat die sozialistische Regierung unter Pedro Sánchez dem Zeitarbeitssektor den Kampf angesagt. Doch fehlt den Behörden für Kontrollen das Personal. Eigentlich möchte man ohnehin keinen Lärm machen: Tourismus bleibt der wichtigste Wirtschaftszweig in Spanien. Die Kellys, sie haben noch einen weiten Weg vor sich.

© SZ vom 17.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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