Coutinho beim FC Bayern:Sensibler Künstler

  • Der FC Bayern leiht Philippe Coutinho für ein Jahr vom FC Barcelona aus. Die Leihgebühr beträgt laut Barça 8,5 Millionen Euro.
  • Es gibt auch eine Kaufoption seitens der Münchner: Für 120 Millionen Euro könnten sie den Brasilianer fest verpflichten.
  • Coutinho soll beim FC Bayern für die spektakulären Momente sorgen, doch der Brasilianer hat nicht immer überzeugt in seiner Karriere. Weltmeister Tostão sagt über ihn: "Es fehlt ihm an Beständigkeit."

Von Javier Cáceres

Als Hasan Salihamidzic bestätigte, dass der Brasilianer Philippe Coutinho, 27, zum FC Bayern wechseln würde, sprach er einen überraschenden Satz. Coutinho sei bei der Copa América "der überragende Spieler" gewesen, behauptete Salihamidzic im ZDF. Überraschend war das im weiteren Sinne, weil es bei der insgesamt schwachen Südamerikameisterschaft in diesem Sommer gar keinen überragenden Spieler gegeben hatte. Und im engeren Sinne, weil Coutinho nicht in den Kreis derer gehörte, die man mit Wohlwollen überragend hätte nennen können.

"Der Sportdirektor der Bayern hat das gesagt?", fragt Tostão, mit Brasilien Weltmeister von 1970 und als Kolumnist der Zeitung Folha de São Paulo seit Jahren einer der versiertesten Deuter des lateinamerikanischen Fußballs, ungläubig, als man ihm die Einschätzung telefonisch hinterbrachte. "Da kann er die Copa América nicht sehr intensiv verfolgt haben. Die besten Spieler Brasiliens waren: Daniel Alves, Gabriel Jesus und Roberto Firmino."

Vor allem beim FC Barcelona, dem bisherigen Verein des Mittelfeldspielers, hatten sie darauf gehofft, dass Coutinho tatsächlich zum besten Spieler der Copa América werden würde. Nach dessen enttäuschender Saison war es eine Notwendigkeit geworden, den Marktwert des 55-maligen Nationalspielers wieder nach oben schnellen zu lassen, ihn möglichst teuer zu verkaufen. Doch nach zwei Toren im Eröffnungsspiel gegen Bolivien verblasste Coutinho, bis er nur noch ein Schatten des Spielers war, für den Barça im Januar 2018 mehr als 145 Millionen Euro gezahlt hatte.

Coutinho wurde offenbar diversen Klubs angeboten

Nach der Copa América soll der FC Barcelona Coutinho bei diversen Klubs angeboten haben. Vor allem Paris Saint-Germain, als Verrechnungsposten für den Rekordspieler Neymar, der 2017 für 222 Millionen Euro nach Paris gewechselt war und nun nach Barcelona zurückkehren möchte. Doch offenbar war weder Coutinho von einem Wechsel zu PSG überzeugt, noch waren sich PSG-Trainer Thomas Tuchel und der brasilianische PSG-Manager Leonardo sicher, dass Coutinho eine gute Option wäre. Tottenham Hotspur winkte ab. Resultat: Der FC Bayern konnte zuschlagen.

Vergangene Woche reisten der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge und Salihamidzic nach Barcelona und erzielten eine "grundsätzliche Einigung" über ein einjähriges Leihgeschäft plus Kaufoption. Am Sonntag traf Coutinho zum Medizincheck in München ein, am Montag verkündeten beide Klubs die Leihe als offiziell. "Über die finanziellen Details der Vereinbarung", so schrieb der FC Bayern in einer Pressemitteilung, "haben die Parteien Stillschweigen vereinbart." Wobei der FC Barcelona seinerseits bekanntgab, dass die Leihgebühr 8,5 Millionen Euro betrage; die Kaufoption liege bei 120 Millionen Euro. Die Leihgebühr liegt damit weit unter den zunächst kolportierten 20 Millionen Euro - und stellt für Barça kaum mehr als einen buchhalterischen Transfererfolg dar: Der geplante Abschreibungswert der einstigen Ablösesumme Coutinhos kann nun verbucht werden, ohne die Bilanz zu schädigen.

Eine richtige Entlastung stellt dafür dar, dass der FC Bayern das Jahresgehalt Coutinhos übernimmt, bei Barça soll es bei zwölf Millionen Euro netto gelegen haben. Sollten die Bayern 2020 die Kaufoption ziehen, wäre es der teuerste Transfer der Bundesligageschichte. Und der erste Transfer der Bayern in dreistelliger Millionenhöhe.

Was Tostão über Coutinho sagt

Bislang war ein solcher Status für Coutinho eine Last. "Coutinho ist ein großartiger Spieler. Aber um ihn herum ist eine Erwartungshaltung entstanden, der er gar nicht gerecht werden kann. Er ist kein Neymar, kein Messi, kein Ronaldo", sagt Experte Tostão. Was nicht heißt, dass er nicht auch gerne zuschaue, wenn Coutinho auf engem Raum dribbelt, oder von der Außenlinie nach innen zieht, um einen zumeist spektakulären Abschluss zu suchen. Auf Videozusammengeschnitten ist Coutinho eine Augenweide. "Er sorgt immer wieder für überragende Augenblicke. Aber es bleiben zu oft Momente. Es fehlt ihm an Beständigkeit", sagt Tostão. Zu Beginn des Jahres zählte der argentinische Fußballphilosoph Jorge Valdano den Brasilianer in der Zeitung El País zu den Spielern, die "eine fast tragische Beziehung zum Spiel" haben, weil ihre "Schüchternheit es ihnen nicht erlaubt, sich mit Natürlichkeit auszudrücken". Bei vielen Bällen, die Coutinho berühre, "nimmt man eine Unentschlossenheit wahr, die am Ende den Spielzug dahinschmelzen lässt".

Andererseits: Es gab auch einen anderen Coutinho, vor allem in Liverpool unter Jürgen Klopp. Nach enttäuschenden Engagements bei Inter Mailand und Espanyol Barcelona war der Familienmensch Coutinho im Januar 2013 an die Anfield Road gewechselt und wurde dort zum umjubelten Helden. Doch ab 2017 wurde Coutinho für die Reds zu einem Problem. Er meldete sich mit mysteriösen Verletzungen ab; seinerzeit gab es die begründete Vermutung, dass er seinen Transfer nach Katalonien erzwingen wolle. Im Januar 2018 landete er schließlich in Barcelona.

Coutinho wurde zwischen Jordi Alba und Messi zermalmt

Bei Barça rollten sie ihm damals den roten Teppich aus. Stürmer Luis Suárez, der mit Coutinho in Liverpool zusammengespielt hatte, nahm ihn bei der Hand, was von Bedeutung ist, weil Suárez bei Barça der beste Freund von Lionel Messi ist. Anders als Neymar wurde Coutinho aber nicht Teil des Messi-Clans; gleichzeitig suchte er auf dem Feld vergeblich nach einer Parzelle, auf der er sein Talent ausschöpfen konnte. Das lag nicht nur an ihm: Mittelfeldspieler haben es wegen der dominanten Rolle Messis schwer, sich in Barças System einzufügen.

Coutinho wurde zwischen dem linken Außenbahnspieler Jordi Alba und dem von rechts nach innen ziehenden Messi zermalmt. Auch privat lief es nicht gut: Mal wurde bei ihm eingebrochen, dann wurde sein Auto vor der Sagrada Familia abgeschleppt. Die Folge: ausdruckslose Auftritte, Kritik der Medien, das Zerwürfnis mit den Fans. Nach einem Tor gegen Manchester United hielt er sich im Camp Nou die Ohren zu. Und war damit bei Barças Fans unten durch, trotz 21 Toren in 76 Spielen. Beim 0:4 im Rückspiel im Halbfinale der Champions League in Liverpool verschwand Coutinho komplett, wie die meisten seiner Mitspieler.

Ob er nun seinen Platz in München findet? Hinter den Spitzen, womöglich anstelle von Thomas Müller? Grundlegend dafür, dass der sensible Coutinho seine Kunst zum Vorschein bringt, ist jedenfalls, dass er sich wichtig fühlt. So gesehen lassen sich die Bayern derzeit vom richtigen Instinkt leiten: Sie überhäufen ihn mit Lorbeeren. Coutinho werde "das Offensivpotenzial, das wir schon haben, mit seiner technischen Qualität aufwerten", sagte Rummenigge. "Wir bieten unseren Fans etwas Spektakuläres", sprach Salihamidzic. Und Trainer Niko Kovac befand, dass sich "komplett Deutschland" freuen könne, "so einen Topspieler hier in der Liga begrüßen zu dürfen".

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FILE PHOTO: La Liga Santander - Barcelona v Villarreal

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