Ruderfähre in Berlin:Fährmann, hol über!

Ruderfähre der BVG in Berlin

Die Fähre Paule III verbindet Rahnsdorf und Müggelheim.

(Foto: Ruth Schneeberger)

Im Berliner Südosten gibt es eine Ruderfähre, die als Teil des öffentlichen Nahverkehrs fungiert - und das schon seit 1911. Vor Jahren sollte der Betrieb eingestellt werden. Proteste retteten das Überleben.

Von Ruth Schneeberger

Paule strahlt. Es ist einer dieser hitzigen Sommertage, wie sie Berlin seit dem Supersommer 2018 kaum noch anders kennt, am nächsten Tag wird das Thermometer auf knapp 40 Grad Celsius klettern. Paule liegt schaukelnd im Wasser der Müggelspree und zieht mit seiner knallroten Farbe Neugierige an. Nicht allzu viele, das ist Marcel Franke ganz recht. Er ist der Fährmann von Paule III, der ältesten und kleinsten Fähre Deutschlands, einem Ruderboot. Und er sagt: "Am schlimmsten ist Vatertag", danach komme Pfingsten. "Bis da vorne haben sie angestanden, alle mit Fahrrädern, 50, 60 Stück", sagt der 27-Jährige und zeigt in Richtung Spreewiesen. "Die habe ich alle weggeschickt."

Von der resoluten Art des Fährmanns müssen sich Besucher nicht abschrecken lassen, denn für Nichtradler und kleinere Radlergruppen hat er ein großes Herz. "Der ist so ein Berliner Original, da können wir alle einstecken", sagt Markus Falkner vom Berliner Verkehrsbetrieb BVG. Das Unternehmen, das die kleine Ruderfähre betreibt, ist schon ein wenig stolz auf den neuen Rudermann. Obwohl der eigentlich aus Frankfurt an der Oder stammt.

Marcel Franke

Fährmann Marcel Franke sagt: "Ich liebe meinen Beruf."

(Foto: Weiße Flotte Stralsund)

Die Ruderfähre ist Teil des Berliner Nahverkehrs, offiziell ist es die Linie F24. Zum Kurzstreckenpreis können Besucher sich hier übersetzen lassen, vom Ufer in Rahnsdorf hinüber nach Müggelheim oder andersherum. Hier, das ist südöstlich von Köpenick, wo die Spree aus dem Müggelsee in Richtung Dämeritzsee austritt. Die Fähre legt nur einen kurzen Weg zurück: etwa 36 Meter für 1,70 Euro pro Person. Befördert von reiner Muskelkraft. Acht Passagiere passen in das Boot. Oder vier mit Fahrrädern. Allzu große Radfahrergruppen muss Franke wegschicken, weil sonst kaum Platz für Passagiere bleibt; auch E-Bikes dürfen nicht mit an Bord, wegen des Gewichts und der Versicherung. Einmal wollte einer sein Moped mit übers Wasser nehmen, auch der hatte keine Chance.

Wer sich zu Franke ins Boot setzt, der merkt rasch: Hier ist jemand mit Leidenschaft am Werk. Wie selbstverständlich hievt der Fährmann in Sekundenschnelle die Fahrräder zweier Ausflügler ins Boot und hilft nicht nur Senioren beim Einsteigen, sondern auch jüngeren Gästen, die vom schweren Schaukeln erst mal überfordert sind. Ob ein- oder aussteigen, Franke reicht allen die Hand. Und beantwortet immer wieder dieselben Fragen zu Bootsmaßen (fünf mal 1,80 Meter, 800 Kilogramm) und Bootsgeschichte (seit 1911).

Viel Zeit hat er nicht dafür: "Wenn es schlecht läuft, brauchen wir drei Minuten bis zum anderen Ufer." Schlecht läuft es dann, wenn ein anderes Boot den Weg kreuzt. Ansonsten benötigt Franke nur elf Ruderschläge, um die Müggelspree zu queeren. Dann dauert es eine Minute. Eine enorme Zeitersparnis etwa für Radler: Müssten sie über die benachbarte Brücke fahren, wären sie 20 Minuten länger unterwegs, Autofahrer wegen Umleitungen sogar eine Dreiviertelstunde, Fußgänger eine Stunde. 2018 setzten insgesamt etwa 5000 Personen über und fast 2200 Räder.

Der Fährmann muss seine Erzählungen kurz unterbrechen, am Ufer wartet ein kleiner Bub. Der Vater hat ihn gebracht, auf der andere Seite winkt die Mutter. Eigentlich verkehrt die Fähre stündlich, doch gefahren wird viel öfter. Immer wenn jemand am Ufer steht. Oder wenn einer ruft: "Fährmann, hol' über!"

Vor mehr als hundert Jahren war es ein Anwohner, Richard Hilliges, der die Ruderfähre initiiert hatte, weil ihn oft Leute gefragt hatten, wie sie hier übers Wasser kämen. Bis 1942 betrieb Hilliges die Fähre selbst, danach ruderte seine Frau Lenchen noch eine Weile. Von 1947 bis 2013 war das Boot öffentlich in Betrieb, mehr als 20 Jahre lang gesteuert von Fährmann Paul Rahn, der als Legende gilt. Nach ihm ist das Boot benannt. "Diesen Status will ich auch irgendwann mal erreichen", sagt der aktuelle Fährmann Franke und lächelt. Seit zwei Jahren ist er auf Paule III im Einsatz, er sagt: "Ich liebe meinen Beruf." Oft muss er für Selfies posieren.

Was macht die Faszination der Ruderfähre aus, die im Auftrag der BVG von der Weißen Flotte Stralsund betrieben wird? Für viele Berliner liegt der Müggelsee im Niemandsland. Zwar ist er mit 7,4 Quadratkilometern Berlins größter Badesee, doch die hintere Ecke ist kaum bekannt. Die meisten wissen nicht mal, dass das noch Berlin ist.

Und dass hier der normale Nahverkehrsfahrschein der Tarifgruppe B gilt. Dem Fährmann steht auf Müggelheimer Seite ein Schuppen zur Verfügung, inklusive Fahrkartenautomat und großem Wasservorrat, vier bis sechs Liter trinkt er an heißen Tagen. Das Rudern ist anstrengend, aber es mache Spaß, sagt Franke. Mittags stärkt er sich auf Rahnsdorfer Seite im Biergarten des letzten Müggelspreefischers, direkt an der Anlegestelle. Der Räucherfisch ist köstlich - und günstig. Orte und Häuser hier wirken fast dörflich, hinter dem Waldstück nebenan gibt es einen Kleingartenverein. Neben vielen Anwohnern rudert Franke meist Touristen ans andere Ufer, die von der kleinen Ruderfähre im Reiseführer gelesen haben. An diesem Tag sitzen eine junge Schwedin, die in Berlin lebt, und deren Mutter, die übers Wochenende zu Gast ist, bei Franke im Boot. Das hier sei besser als das Brandenburger Tor, sagen sie. Nur nicht so zentral.

DDR - Fährmann

Seit 1911 wird hier gerudert.

(Foto: Horst Sturm/dpa)

Doch Paule III und Fährmann Franke vermitteln mehr als das kurze Glücksgefühl von Touristen, ein Berliner Original entdeckt zu haben. Oder den Wunsch der Anlieger, möglichst schnell übers Wasser zu kommen. Paule III ist ein Gegenentwurf zum Globalen, ein freundliches Nostalgie-Relikt aus einer Zeit, in der Menschen noch per Muskelkraft die Natur bezwangen. Und die Fähre ist ein Beleg dafür, dass das Gigantische nicht immer das Bessere ist. Deshalb hatte sich der Heimatverein Köpenick auch stark dafür eingesetzt, dass die Fähre weiter im Einsatz bleibt. Im Jahr 2013 wollte die BVG den Fährbetrieb einstellen - er sei zu unrentabel, hieß es.

18 000 Unterschriften wurden gesammelt. "Wer ein Herz für etwas Besonderes hat, der muss sich dagegen wehren", hatte Andreas Thamm als Protestlosung ausgegeben, der Fischer von nebenan. Ohne die Fähre hätte er vielleicht schließen müssen. Der Senat ließ sich erweichen. Zusammen mit der BVG finanzierte die Stadt 2015 die Wiederaufnahme des Fährbetriebs.

2018 musste die Ruderfähre noch einmal renoviert werden. Ein Motorboot hatte es heftig gerammt. Glücklicherweise war der kleine Neffe von Marcel Franke gerade aus dem Boot gestiegen. "Sonst wäre Schlimmes passiert." Das Boot wurde überholt und umlackiert - früher war es blau nun ist es knallrot. Und der Unfall wurde zum Anlass genommen, den regen Partyverkehr auf dem Müggelsee zu überdenken. Dort darf alles, was weniger als 15 PS hat, ohne Führerschein gefahren werden; viele Hobbysportler kennen die Verkehrsregeln auf dem Wasser nicht. Für Binnenschiffer Franke, der unter der Woche größere Fähren lenkt, wird das zum Problem: Auch Paule III muss öfter warten, bis das Partyvolk lautstark vorübergezogen ist.

Wer die Ruderfähre nutzen möchte, hat dazu an Wochenenden und Feiertagen von Mai bis Oktober die Gelegenheit, jeweils von elf bis 19 Uhr. Empfehlenswert ist die Anreise von der Anlegestelle Müggelwerderweg in Rahnsdorf. Dort startet stündlich die größere Fähre F23 - solarbetrieben und ebenfalls im BVG-Tarif inbegriffen. Sie fährt auch zur Anlegestelle Kruggasse. Während der 25-minütigen Fahrt mit Panoramablick über den Müggelsee, vorbei an Strandbad, Naturschutzgebiet, Gartenhäuschen und braun gebrannten Wassersportlern, bekommen Besucher einen schönen Eindruck von der Gegend. Dann lohnt sich die Anfahrt für die ja nur einminütige Überfahrt mit Paule III erst recht.

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