Deutschland:Schlafen beim Wolf

Deutschland: Blick über den Schwarzwald: In diesem eckigen Ding kann campen, wer sonst eher nicht eine Nacht im Freien verbringen würde.

Blick über den Schwarzwald: In diesem eckigen Ding kann campen, wer sonst eher nicht eine Nacht im Freien verbringen würde.

(Foto: Sleeperoo)

Fast wie Campen: Die "Sleeperoo"-Zelte werden jede Saison an wechselnden Orten aufgebaut. Sie ermöglichen die Nähe zur Natur - und halten sie zugleich auf Abstand. Ein Selbstversuch in Bad Wildbad im Schwarzwald.

Von Evelyn Pschak

Bad Wildbad ist eine geruhsame Kurstadt im Schwarzwald. Entlang des Flüsschens Enz reihen sich Thermalbäder und Schindelfassaden; es gibt viel Wald und den Sommerberg, auf den vom Stadtzentrum aus eine Standseilbahn fährt, hinein in den Trubel des "Erlebniswalds", wo Baumwipfelpfad oder Hängeseilbrücke den Forst selbst dem erschließen, der gar nicht wirklich nach Natur sucht. An der Bahnstation grasen Heidschnucken, allerdings ein paar weniger als noch vor ein paar Wochen. Die Schafe des Gastronomen Tilman Blezinger hat der Wolf gerissen. Bad Wildbad liegt im Wolfsgebiet Nordschwarzwald.

Tilman Blezinger führt das Sommerberg-Hotel, das trotz seines Namens ein Gastronomiebetrieb ist und keine Zimmer mehr anbietet. Seit Mai empfängt der Wirt aber doch wieder Übernachtungsgäste - auf einer Wiese unterhalb der Bahnstation. Als "Sleeperoo-Host" kümmert Blezinger sich um Check-in, Reinigung und Bettwäsche für das "Cube". Was aussieht wie ein transparentes, würfelförmiges Zelt, hat mit Zelten nur bedingt zu tun, denn aufbauen muss man beim "Sleeperoo" selber nichts. Der Gast findet den Übernachtungsplatz fertig vor, samt Schafschurwollbettzeug und guter Matratze. Ein Sleeperoo steht auch immer allein. Es ist Camping für Leute, die ohne ein solches Angebot nie darauf kämen, eine Nacht im Freien zu verbringen.

Karen Löhnert ist die Gründerin des jungen Start-ups, und die Hamburgerin gibt sofort zu, selbst keine Camperin zu sein. Aber sie habe ein prägendes Erlebnis gehabt, als sie einmal im Baumhaus eines Vogelparks mit den Vögeln aufwachen durfte, erinnert sie sich. Solche Erlebnisnächte wollte sie dann auch anbieten. Das Design ihrer Cubes hat die Touristik-Fachwirtin in Zusammenarbeit mit der Hochschule Wismar entwickelt und von einem Bootsbauunternehmen den Prototyp fertigen lassen. Mit Wänden aus wasserfestem Gewebe, weißer Innenverschalung und einem Boden aus Kork mit Holzeinlage.

Man bucht bei Sleeperoo also ein immer gleich bleibendes, unverwechselbares Quartier an unterschiedlichen, möglichst besonderen Orten. "Die Orte müssen aber auch gut erreichbar sein. Und die Toilette sollte nicht weiter als 30 bis 50 Meter entfernt sein", sagt Löhnert. Ist das alles gegeben, schließt die Unternehmerin mit dem "Spotgeber" einen Aufstellvertrag für ihre Zeltwürfel, je nach Saison an Winter- oder Sommerstandorten. So wird das Sleeperoo auch am Sommerberg Mitte Oktober ab- und erst 2020 ab April wieder aufgebaut.

Inzwischen kenne sie nicht mehr alle deutschlandweit verteilten 40 Standorte aus eigener Erfahrung, sagt Löhnert. Anfangs habe sie viele ausprobiert. Die Bandbreite reicht von einer Plattform auf einer Seebrücke am Fehmarnsund im Ostseebad Großenbrode bis zum Science-Zentrum Phänomenta in Lüdenscheid, wo Besucher nachts im Schein der Taschenlampe experimentieren dürfen. Anfangs war Löhnert davon ausgegangen, dass vor allem Paare für eine romantische Auszeit bei ihr anfragen würden. "Aber es sind tatsächlich auch viele Familien." Die Matratze misst in jedem Cube 1,60 mal zwei Meter. Dennoch lässt die Unternehmerin ihre Gäste auch mit zwei kleinen Kindern anreisen, sofern sie sich die Nacht in der Enge zutrauen.

Der Vollmond projiziert die sich wiegenden Gräser an die Innenwände des Cubes

Im Schwarzwald steht das Sleeperoo an einem Abhang mit Farnwald. Kirchglocken aus Bad Wildbad klingen den Berg hinauf. "Herzlich willkommen bei der Sommerberg-Bahn", sagt eine freundliche Tonbandstimme an der nahen Station immer wieder zwischen 7 Uhr früh und 21.45 Uhr. Es sind die Toiletten der Bahn, die der Sleeperoo-Gast in der Nacht benutzen darf. Dann ist der Berg wie leergefegt, das Sleeperoo gemütlich, und der Vollmond projiziert die sich wiegenden Gräser in feinen Scherenschnitten an die Innenwände, allerdings wohl auch die eigenen Umrisse nach außen - was man wissen sollte. Der Sonnenaufgang ist für 5.22 Uhr angekündigt. Sonnenstrahlen fallen durch das transparente Konstrukt, man blickt weit über das Tal der Enz, auf rosa eingefärbte Bergwaldkuppen samt Tannen und Mobilfunkmasten.

Tilman Blezinger freut sich über die gute Auslastung seines Gästeraums auf Zeit. Dennoch sei es für ihn vor allem eine Marketingmaßnahme, sagt er, finanziell lohne sich das nicht: "Der Gast übernachtet nur einmal. Das treibt die Reinigungskosten automatisch nach oben." Die öffentliche Wahrnehmung kann der Schwarzwälder dennoch gut gebrauchen. Das Sommerberg-Hotel ging 1998 in Insolvenz, fünf Jahre später erwarb Blezingers Familie die den Berg dominierende Immobilie. Das 1963 eröffnete Hotel, in dem Mitte der Neunzigerjahre noch Richard von Weizsäcker abgestiegen ist, hat seine bauhausinspirierte Noblesse von einst verloren. Und seinem heutigen Besitzer die leicht atemlose Unruhe eines Mannes verliehen, der versucht, an mehreren Stellen gleichzeitig zu sein. Die Aufgabe, einen schwerfälligen Koloss wieder zum Laufen zu bringen, kann einen eben selbst in einem Luftkurort schon mal aus der Puste bringen.

Und die Region gleich mit: "Bad Wildbad muss sich touristisch neu erfinden", sagt der Gastronom. 2017 hatte der Ort 284 000 Übernachtungen, das sind rund zwei Drittel weniger als noch in den Achtzigerjahren. Seit der Kurtourismus nicht mehr gefördert wird, stehen einige der Hotels leer, wie auch viele Geschäftsvitrinen in der Fußgängerzone im Tal. Normalerweise könne man von der Panoramaterrasse seine Heidschnucken sehen, sagt Blezinger, den Rest der Herde habe er nun aber bei einem befreundeten Schäfer untergebracht, da der Zaun noch immer nicht wolfssicher ist. Aber nein, beruhigt der Gastwirt: Menschen meide der Wolf. Und tatsächlich ist dann die ganze Nacht hindurch kein großes Tier zu sehen, nur an der Außenwand krabbeln ein paar kleine. So viel Natur muss man selbst beim Luxuscampen wohl ertragen.

Im Sleeperoo kostet die Nacht ab 120 Euro, www.sleeperoo.de; Sommerberg-Hotel: www.sommerberg-hotel.de; Kombiticket Hängebrücke und Bergbahn, Erwachsener: 14 Euro, Kind: 10,50 Euro; Baumwipfelpfad: 10 Euro, Kind (6-14 Jahre): 8 Euro. Weitere Auskünfte: bad-wildbad.de

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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