Schulranzen:Eine Alternative zu Feen und Fußbällen

Schulranzen

Rucksäcke, die Eltern nostalgisch machen: silbernen Schnallen, einfarbig, ordentlich.

(Foto: Arp Dinkelaker)

Das Design von Schulranzen folgt heute dem Geschmack von Vorschülern. Ein Berliner Architektenpaar hält dagegen. Und ist längst ausverkauft.

Von Nina von Hardenberg

Manche Kunden reagieren pampig, wenn sie merken, dass es in seinem Laden nur noch Ausstellungsstücke gibt, aber keinen, wirklich keinen einzigen Schulranzen, den sie kaufen können. Oder wenn sie die Lieferzeiten der Berliner Ranzenmanufaktur erfahren, die so lang sind, dass schon seit Juni keine neue Bestellung mehr rechtzeitig zur Einschulung ankommt, nicht mal für die Spätstarter in Bayern oder Baden-Württemberg. Einzelne Kunden hätten ihm einen Aufpreis geboten, sagt Arp Dinkelaker, für eine Nachtschicht an der Nähmaschine. "Aber das machen wir nicht, nie." Die Ranzenmanufaktur "Kundschafter" ist einfach an der Grenze ihrer Kapazität. "Die Menschen sind gewohnt, dass sie alles kriegen, was sie haben wollen", sagt Dinkelaker. Den Kundschafter-Schulranzen aber kriegen sie derzeit nicht, weil es nur so viele Exemplare gibt, wie Arp Dinkelaker und seine Frau Ilka Koss nähen können - mit leuchtend orangefarbenem Faden auf tiefblauem, grünem, rotem oder lila Grund. So schlicht, so schön.

1000 Stück haben sie dieses Jahr geschafft. Bedeutet: 1000 Alternativen zu den mit Einhörnern, Feen und Fußbällen verzierten Ranzenmonstern, die sonst in den Kaufhäusern die Augen der Eltern strapazieren. Dagegen sind sie angetreten, als sie vor mehr als zehn Jahren den ersten Ranzen entwarf. Ilka Koss suchte nach einer Schultasche für ihren Sohn. Sie fand keine schöne, und so erfanden die zwei gelernten Architekten eine eigene in Grün und Orange, den damaligen Trikotfarben von Werder Bremen, dem Lieblingsvereins ihres Sohnes. Und nebenher erfanden sie für sich ein neues Geschäftsmodell.

Mit altmodischen silbernen Schnallen und dem orangefarbenen Leuchtstreifen erinnert der Kundschafter-Ranzen Eltern an eine Zeit, als sie selbst noch jung waren. 1975 brachte Scout die ersten Kunststoffmodelle aus reflektierendem Material auf den Markt, auch die schon knallig, aber einfarbig. Anders als seine geistigen Vorfahren kommt der Kundschafter ohne Hartplastik aus, wiegt so gerade mal 770 Gramm. Das Design hat einen Nerv getroffen, die Nachfrage wächst; und als am ersten Schultag in Berlin Fotos vom stylishen Ranzen bei Instagram auftauchten, hyperventilierten reihenweise neidische Mütter: Wo bekommt man den? Am besten heute?

Der erste Schultag ist für alle ein emotionaler Moment. Da geben die Eltern viel Geld aus

Warum er die Produktion nicht auslagert und mehr Ranzen herstellt, will man wissen. "Kein Bock", sagt Dinkelaker. Und schiebt diplomatischer nach, dass der Ranzen dann nicht mehr der gleiche wäre. Jahrelang habe er als Manager in einer Digitalagentur gearbeitet. Er wollte raus aus den großen Strukturen. 189 Euro kostet so ein Kundschafter - viel Geld für eine Schultasche, die in der Regel vier, maximal sechs Jahre getragen wird - und doch steckt darin nur wenig Marge, wenn Dinkelaker oder seine Frau sechs bis acht Stunden daran nähen. Sie versuchen, die Kosten niedrig zu halten. Ihre Ladenwerkstadt in Prenzlauer Berg misst nur 44 Quadratmeter, der Verkaufstresen dient gleichzeitig als Tisch und Stofflager. Im Hintergrund stehen zwei Industrienähmaschinen. "Wir wollen frei sein, auch wenn das heißt, dass wir wieder studentischer leben", sagt Dinkelaker.

Ein Ranzen, ein Lebenskonzept. Auch wenn er wie der Revoluzzer unter den Ranzen daherkommt, bedient der Kundschafter damit genau den allgemeinen Trend, dass eine Schultasche heute mehr sein muss als nur ein Transportmittel für Hefte und Stifte. Wenn das Kind zum ersten Mal Richtung Schule aufbricht, mit einem Ranzen auf dem Rücken, der noch viel zu groß ist und so schwer wie das ganze folgende Leben, das es bald auch alleine schultern muss, ist das für Eltern ein sehr emotionaler Moment. Sie können dem Kind diese Last nicht abnehmen, aber es soll doch gut gerüstet sein. Es ist ein Moment, in dem Eltern also durchaus Geld ausgeben. Schon 2013 kostete Eltern die Einschulung im Schnitt 238 Euro, wie damals eine große Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung ermittelte, die aktuellste zu diesem Thema. Es dürfte seither nur mehr geworden sein.

Schulranzen: Herzen für Mädchen, Autos für Jungs: Ranzen wie dieser hier von McNeill gefallen nicht allen Eltern.

Herzen für Mädchen, Autos für Jungs: Ranzen wie dieser hier von McNeill gefallen nicht allen Eltern.

(Foto: PR)

Die Hersteller kontern mit hochpreisigen Produkten. Ein Markenranzen mit Federmäppchen und Turnbeutel kostet schnell 260 Euro. Zwar laufen Kinder immer kürzere Stücke des Schulwegs tatsächlich zu Fuß, ihr Ranzen aber soll bitte so leicht sein, dass er die zarten Schultern geradezu beflügelt, und so leuchtend hell, dass es den letzten verpennten Autofahrer aufweckt und die Kinder beschützt. 20 Prozent der Seiten- und Vorderflächen aus fluoreszierendem Material, weitere zehn Prozent reflektierend, empfiehlt eine DIN-Norm für Schulranzen.

Wer glaubt, er könne kurz vor Einschulung mal eben mit dem Kind zu einem vergnüglich Einkauf aufbrechen, der irrt. Es gilt dabei nicht nur, die Kinder an den mit Serienhelden bedruckten Exemplaren vorbei zu lotsen, weil diese in höheren Klassen schnell an Strahlkraft verlieren. Ranzen sind eine Wissenschaft. Und wer vor dem Verkäufer nicht ins Stammeln geraten will, lernt lieber die Vokabeln. Kein höhenverstellbares Rückenteil, sind Sie sicher? Kein Bauchgurt? Die Gurtsysteme, die inzwischen an immer mehr Tornistern baumeln, verdanken die Kinder dem innovativen Hersteller Ergobag, der seit ein paar Jahren den Ranzenmarkt mit Modellen umkrempelt, die an Wanderrucksäcke erinnern mit Bauchgurt und Rückenbelüftung als gelte es, damit einen Bildungs-Himalaja zu besteigen.

Ranzen sind eine Wissenschaft für sich. Ein bisschen Retro kann da die Rettung sein

Wem bei dieser Auswahl schwindelig wird, der empfindet eine schlichte Retro-Optik womöglich als Rettung. Beim Kundschafter muss man auf maximale Rückenvergurtung verzichten und, das räumt Arp Dinkelaker ein, ebenso auf die optimale Signalwirkung. Die DIN-Empfehlung erfüllen ihre Modelle nicht, die nur seitlich und quer ein Reflektorstreifen ziert. Dafür erfüllen sie aber die Sehnsucht vieler Eltern nach übersichtlicher Ästhetik. Die Innenausstattung ist in einer Weise gradlinig, wie sie nur Architekten entwerfen können: Vier sinnvolle Fächer, ein Karabinerhaken - fertig. Schlichtheit ist das Gebot.

Wer Retrogefühl sucht oder einfach auf Plastik verzichten möchte, wird zum Beispiel auch beim Label Aruzzi Taugo fündig, das nur ein Kilo leichte, pastellfarbene Schultaschen aus Bioleder herstellt. Mit ihren Metallschnallen erinnern sie an Opas Schulzeiten, auch wenn das Design etwas runder und verspielter ist. Ebenfalls handgefertigte Ledermodelle, aber mit kleinerer Farbauswahl bietet die Berliner Manufaktur Hase Weiss. Die Entstehungsgeschichte ist bei all diesen Herstellern übrigens ganz ähnlich: Sie starteten vor etwa zehn Jahren mit der Suche nach einem schönen Ranzen für das eigene Kind.

Der Sohn mit dem Werder-Bremen Ranzen hat dieses Jahr übrigens Abitur gemacht. Ihr Zweitältester geht jetzt schon in die Oberschule. Ilka Koss und Arp Dinkelaker haben für ihn ein Rucksackmodell entworfen. Kaufen kann man das auch irgendwann bei ihnen. Nur nicht sofort. Die Produktpalette des Kundschafter wächst nur langsam. Sie müssen die Arbeit schließlich selbst schultern.

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