Kommentar:Alle gehören dazu

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Der Bundesgerichtshof hat die Rechte der Arbeitnehmer gestärkt. Bei der Besetzung von Aufsichtsräten sind die Leiharbeiter mitzuzählen. Das ist eine gute Entscheidung. Denn wenn Leiharbeiter für Betriebe wichtig sind, sollten sie auch mitbestimmen dürfen.

Von Sibylle Haas

Das ist eine gute Botschaft für die Arbeitnehmer in Deutschland und ein großer Erfolg für die Mitbestimmung: Bei der Bildung von paritätischen Aufsichtsräten sind Leiharbeiter als Beschäftigte zu zählen. Dieses Urteil des Bundesgerichtshofs stärkt nicht nur die Leiharbeiter selbst, sondern die gesamte Belegschaft von Unternehmen. Konkret wurde entschieden: Wenn Zeitarbeitnehmer länger als sechs Monate im Betrieb eingesetzt sind, müssen sie bei der Berechnung des sogenannten Schwellenwerts für die paritätische Besetzung von Aufsichtsräten berücksichtigt werden.

Das ist wichtig. Denn erst wenn mehr als 2000 Menschen in einem Unternehmen arbeiten, sind Arbeitnehmer gleichberechtigt im Aufsichtsrat vertreten. Das bedeutet, Gewerkschaften und Betriebsräte dürfen genauso viele Vertreter in den Aufsichtsrat schicken wie die Anteilseigner. Das stärkt die Durchsetzungskraft und Macht der Beschäftigten. Durch die gleichberechtigte Mitbestimmung können sie unternehmerische Entscheidungen zugunsten der Arbeitnehmer beeinflussen. Auch wenn der zumeist von den Anteilseignern kommende Aufsichtsratsvorsitzende ein Veto-Recht hat, ist der Einfluss der Arbeitnehmer groß. In Firmen mit weniger als 2000 Arbeitnehmern steht der Belegschaft gerade einmal ein Drittel der Sitze im Aufsichtsrat zu. Entsprechend machtlos ist sie auch und entsprechend stark ist das Bestreben der Arbeitgeber, den Einfluss der Beschäftigen möglichst kleinzuhalten.

Wenn Leiharbeiter dauerhaft im Betrieb arbeiten, dann steht ihnen auch Mitbestimmung zu

Dabei geht es der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat vor allem um das Wohl ihres Unternehmens. Oft sind sie es, die an der Basis sitzen und früher als die Anteilseigner mitbekommen, wo es in der Firma hakt und welche unternehmerische Entscheidung halsbrecherisch sein könnte. Und: Die deutsche Mitbestimmung, egal ob in Aufsichts- oder Betriebsräten, hat über Jahrzehnte dafür gesorgt, dass der soziale Friede in den Firmen geschützt ist - weil sich Belegschaften auf besonnene Arbeitnehmervertreter verlassen und nicht gleich auf die Barrikaden gehen.

Der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung aber nicht nur die Mitbestimmung der Arbeitnehmer gestärkt und den Status von Leiharbeitnehmern geklärt. Er hat es Arbeitgebern auch schwer gemacht, das Urteil auszuhebeln. Interessant an der Entscheidung ist nämlich, dass bei der Berechnung des Schwellenwertes nicht der individuelle Leiharbeiter zählt, sondern wie viele Arbeitsplätze länger als sechs Monate mit Zeitarbeitnehmern besetzt sind - auch wenn diese wechseln. Dahinter steckt folgender Gedanke: Wenn der Einsatz von Leiharbeitnehmern dauerhaft erfolgt, dann sind deren Arbeitsplätze für ein Unternehmen so prägend wie die Arbeitsplätze der übrigen Arbeitnehmer, also die sogenannten Stammarbeitsplätze.

Dass dies das Kernelement der Entscheidung ist, zeigt, dass die Richter sich mit der betrieblichen Praxis beschäftigt haben und die Mechanismen durchschauen. Denn bezöge sich die Sechs-Monats-Frist nicht auf den Arbeitsplatz, sondern auf den individuellen Leiharbeiter, könnten Arbeitgeber immer wieder jemand anders anheuern und somit unter dem Schwellenwert von 2000 Arbeitnehmern bleiben. Dies böte Firmen die Möglichkeit, die von ihnen ungeliebte paritätische Mitbestimmung zu umgehen.

Mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs ist die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Leiharbeit und zur Mitbestimmung wieder einen Schritt weiter. Bereits 2013 hatte das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass Zeitarbeitnehmer bei der Berechnung der Betriebsratsgröße mitzuzählen sind. Auch das ist wichtig, denn je mehr Mitarbeiter es gibt, desto mehr Mitglieder hat ein Betriebsrat und desto stärker ist er dann. Die Richter orientierten sich sicher auch hier an dem, was ihnen die reale Arbeitswelt bot: immer mehr Leiharbeiter in den Betrieben. Sie wurden eingesetzt, weil sie billiger waren als die Festangestellten. Die kluge Idee, Zeitarbeitnehmer dann zu holen, weil die Stammbelegschaft eine plötzliche Auftragsflut nicht mehr schafft, wurde so missbraucht.

Es hat lange gedauert, bis die Politik tätig wurde und den Status der Leiharbeiter gestärkt hat. Inzwischen ist einiges geschehen. Das zeigt sich bei der Bezahlung, bei den Arbeitsbedingungen, aber auch bei der Höchstdauer für den Einsatz von Zeitarbeitnehmern in einem bestimmten Betrieb. Dass sie nun auch mitzählen, wenn es um die Bildung von Aufsichtsräten geht, ist richtig und gerecht. Wenn der dauerhafte Einsatz für den Betrieb wichtig ist, dann steht ihnen auch die Mitbestimmung zu.

© SZ vom 22.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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