Feministischer Debütroman:Bis zur Ermüdung aktuell

Autorin Karen Köhler

Ihr Kurzgeschichtenband "Wir haben Raketen geangelt" war ein großer Erfolg, ihr Debütroman "Miroloi" steht jetzt auf der Longlist des Deutschen Buchpreises: Schriftstellerin Karen Köhler.

(Foto: picture alliance/dpa)

Karen Köhlers Debüt sorgt für Debatten im Netz: Es sei banal und nur für eine bestimmte weibliche Zielgruppe geschrieben. Tatsächlich ist der Roman schwach - was aber nicht am Feminismus liegt.

Von Theresa Hein

Auf ihrer Website postet die Schauspielerin und Autorin Karen Köhler unter dem Reiter "Lesereisebetten" Fotos von den Betten, in denen sie während ihrer Lesereisen übernachtet hat. Die Fotos sind unkommentiert, meistens nur mit dem Namen der Unterkunft und dem Ort versehen, eine bedrückende Reihe aus Braun-, Grau- und Blautönen von Bettwäschen, Tapeten und Hoteldekoration, die, je näher man den aktuellen Fotos kommt, immer liebevoller wird. Die Betten-Fotostory ist ein Beweis für Köhlers Sinn, Dinge, die vermeintlich überall herumliegen, so anzupacken, dass sie überraschend wirken. Ein einzelnes Reisebett? Nichts Besonderes. Dreißig nebeneinander? Eine Allegorie des Reisens als junge Autorin: je mehr Preise, desto schöner die Tapeten.

Fünf Jahre ist es her, seit Karen Köhler ihren Kurzgeschichtenband "Wir haben Raketen geangelt" veröffentlicht hat, gefeiert wurde die Autorin damals schon für ihre klare Sprache und ihr Gespür dafür, Dinge aufzuschreiben, die alle sehen könnten, aber viele übersehen. Während die Jury des Deutschen Buchpreises Köhlers Debütroman auf ihre Longlist setzte, haben andere Kritiker ihm direkt nach Erscheinen den seltsam kunstfernen Vorwurf gemacht, keine wahre Literatur zu sein, sondern nur eine Zielgruppe befriedigen zu wollen, was sich mit Geschäftskalkül erklären lasse: Bücher mancher Autorinnen würden nur veröffentlicht, so der Verdacht, damit sich Verlage richtige Literatur leisten können, die sich nicht an bestimmte Zielgruppen, zum Beispiel der Genussleserinnen, richtet, sondern an den universellen Menschen in seiner ursprünglichen Form - also den Mann. Diese Selbstentblößung einer bestimmten Sparte der Kritik ist ein Verdienst, das man Karin Köhlers Roman erst einmal anrechnen kann. Besonders gut ist er trotzdem nicht geraten, aber das hat andere Gründe.

Frauen werden verheiratet, sie dürfen weder lesen noch schreiben

"Miroloi" bedeutet aus dem Griechischen übersetzt "Klagelied", Sängerin des Klageliedes ist eine junge Waise, die in einem Dorf auf einer kleinen Insel lebt. Den klimatischen Gegebenheiten, Rezeptbeschreibungen und dem Titel nach zu urteilen befindet sie sich irgendwo vor Griechenland, zu einer nicht näher bestimmten Zeit im 20. Jahrhundert. Ohne zivilisatorische Errungenschaften wie Gewaltenteilung oder Gleichberechtigung existieren die Insel und ihre Bewohner vor sich hin, in einem sozialen Gefüge, in dem Steinigungen und ein Pranger-Pfahl auf dem Dorfplatz legitime Bestrafungsmöglichkeiten darstellen, in dem Frauen zwangsverheiratet werden und nicht lesen und schreiben lernen dürfen. Als der Ziehvater der Protagonistin ihr heimlich das Lesen beibringt, nährt er in ihr damit den Willen zur Rebellion. Das Mädchen hinkt, seit es sich mit einem Faustschlag gegen einen gleichaltrigen Jungen wehrte und ihr zur Strafe das Bein mit einem Prügel aus Olivenholz zertrümmert wurde. Eine Außenseiterin war sie schon vorher. Niemals darf sie, die als Baby in einer Kiste vor den Stufen des "Bethauses" ausgesetzt wurde, ein Teil der Dorfgemeinschaft werden, und so wird ihr alles verweigert, was Identität stiften könnte - allem voran ein Name.

Dieses Inseluniversum wäre vielleicht die perfekte Umgebung für einige der angerissenen Motive. Wenn es nur nicht so viele wären. Köhler begleitet ihre Protagonistin nicht nur bei deren wachsender Gier nach Wissen. Sondern auch bei der Erkundung ihrer eigenen Lust (kapitelweise), bei der Suche nach ihrer Mutter, dem Wunsch nach Flucht (beides sehr willkürlich), Erfahrungen von Missbrauch (mehrmals), Glaubenskrisen (häufig) und Misogynie (ständig). Was schon für ein reales Leben sehr viel Stoff wäre, ist in seiner Kondensation auf einer griechischen Insel nah am Erzählgulasch.

Köhlers kurzatmige Sätze rattern vor sich hin wie sorgsam aufeinander abgestimmte Zahnräder. Egal, ob die Erzählerin gehetzt ist ("Ich eile, fliege, renne mit meinen neuen Schuhen durch den Schimpfwortregen, zickzacke durchs Dorf, die Treppe hoch, unter dem Torbogen hindurch, durch die Küche, zur Kammer, überbringe die Botschaft") oder einfach nur ein Panorama des Dorflebens beschreibt ("Das Holz wird jetzt schon knapp in den Bergen, und der Händler kommt immer seltener und bringt jetzt fast nur noch Kohlen und Gas, dagegen häkeln die Frauen in Schwarz an, bitten die Götter mit jeder Masche um einen milden Winter in diesem Jahr, beklagen ihre Hüften, Knie und was sonst noch wehtut"). Aber es gelingt den Aufzählungen von Namen und Gebräuchen nicht, das Gewicht der verschiedenen Geschichten bis zum Ende zu tragen. Das Rattern hört nicht auf, die Erzählform stagniert. Und zurück bleibt das Gefühl, sehr oft Luft holen zu müssen.

Feministischer Debütroman: Karen Köhler: Miroloi. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2019. 464 Seiten, 25 Euro.

Karen Köhler: Miroloi. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2019. 464 Seiten, 25 Euro.

Schade ist das deswegen, weil Köhler zwischendrin immer wieder beweist, dass sie die Fähigkeit, kleine Alltäglichkeiten zu etwas Besonderem zu machen, nicht verloren hat. Ihre Dialoge sind komisch und tieftraurig zugleich, und man erwischt sich bei dem Wunsch, sie hätte alles andere weggelassen und ein Theaterstück geschrieben. Als die Protagonistin lesen lernt, erklärt ihr Ziehvater ihr anhand der Buchstaben des Alphabets, dass es Dinge im Leben gibt, die man nicht mehr rückgängig machen kann: "Wenn du sie einmal kennen gelernt hast", sagt der Vater zu ihr "gibt es kein Zurück mehr, du kannst dann nicht mehr nicht lesen, nicht mehr nicht wissen. Verstehst du?" "Nein", antwortet die junge Frau daraufhin ehrlich, und es ist einer von vielen Wortwechseln, in denen Köhler auf minimalem Raum wie nebenbei die großen Selbstverständlichkeiten des Heranwachsens illustriert.

Ganz nett auch die Idee des Nachrichtensprechers: Auch an einem Ort, an dem es kein Fernsehen gibt, haben die Menschen ein Bedürfnis nach Neuigkeiten. Der Nachrichtensprecher liest deswegen aus Zeitungen vor, die vom Händler ab und zu auf die Insel gebracht werden. Dafür steigt er auf eine Holzkiste, das ganze Dorf versammelt sich um ihn. Jannis, der Nachrichtensprecher, hat einerseits eine sehr angenehme Stimme, deswegen wurde er ausgewählt, vorzulesen. Andererseits ist er sehr schnell beleidigt und darf auf keinen Fall unterbrochen werden. Genau deswegen tun es die Dorfbewohner ständig, Köhlers Wortwechsel zwischen einem stillen und vielen lauten Menschen ist schmerzlich treffend.

Jeder Romankonflikt muss auf aktuelle Debatten anwendbar sein

Es sind Ideen wie diese, die den Roman auszeichnen. Aber sie ertrinken unter den viel zu bemühten sprachlichen und inhaltlichen Konstrukten. Zum Beispiel die Wortneuschöpfungen der Protagonistin, die nur verdeutlichen, dass einfache Sprache und kitschige Sprache gefährlich nahe beieinander liegen, wenn sie von "Augentoren", "Wortpinseln" und "Schmerzenbändigerstöhnen" erzählt. Oder die permanente Erinnerung daran, dass die Erzählerin menstruiert ("Ich blute"), die den Leser darauf hinweist, dass jetzt wohl wieder ein Monat rum ist, und die einen ungewollt komischen Kalender bildet.

Die existenziellen Fragen, die der Roman auch aufwirft, werden von der Erzählerin nur angetastet. Die vorsichtig geschmiedeten Allianzen der jungen Frau mit anderen halten nicht, ohne dass recht begründet würde, wieso. In einer intimen Küchenrunde mit den Dorffrauen verglimmt eine kurz aufflackernde Möglichkeit zum Aufstand gleich wieder, wohl, weil es in diesem Dorf nur eine junge Rebellin geben kann, die es ernst meint.

Der Roman, dessen wichtigstes (und lästigstes) Ziel es ist, dass die inhaltlichen Konflikte unbedingt auf die Debatten der Gegenwart übertragbar sein sollen, entwirft ein verbissen zeitloses Gegenmodell zu einer modernen, vernetzten Gesellschaft. Miroloi, im griechisch-orthodoxen Glauben ein Begriff für einen Gesang, der für Verstorbene gesungen wird, ist am Ende ein künstliches Erzähl-Band, das zu viele Einzelgeschichten zusammenhalten soll. Verweise auf König Ödipus und die Odyssee, von der hinkenden Protagonistin auf der Suche nach ihrer Herkunft bis zur abgeschlossenen, unbelehrbaren Inselgemeinschaft, bringen das Paket schließlich zum Implodieren. Sie lassen den Leser nicht nur atemlos zurück. Sondern ermüdet.

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