Radio:Forte fortissimo

Sendemast

Überträgt Musik- wie Wortbeiträge: ein Sendemast des Hessischen Rundfunks.

(Foto: dpa)

Aus dem hessischen Kultursender HR2 könnte eine Klassikwelle werden. Noch bevor der Rundfunkrat dazu tagt, tobt der Protest.

Von Hans Hoff

So viel Liebe wie dieser Tage hat eine Radiowelle lange nicht erfahren. HR2 Kultur sei ein qualitativ hochwertiges und anspruchsvolles Kulturprogramm, lobt eine Hörerin, und Kulturschaffende preisen die Hörfunk-Institution des Hessischen Rundfunks. Es sei einer der besten Sender der ARD, jubeln sie. Allerdings ranken sich die Hymnen in der Regel rund um rüde Worte, mit denen die Lobpreiser jene Pläne verdammen, mit denen die Leitung des Frankfurter Senders die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Anstalt und damit auch die von HR2 plant.

Von hirnloser Barbarei ist da die Rede, und es fallen die üblichen Stichwörter die immer dann auftauchen, wenn Veränderungen im anspruchsvollen Radio drohen: Radio Gaga, Dudelfunk und Entwortung. Die Welle der Empörung schwappt hoch, denn aus dem Kulturradio HR2 soll eine Klassikwelle werden. Nicht gänzlich wortfrei, aber doch entlastet von langen Sprechstrecken, die auf andere Ausspielwege verlagert werden sollen.

Seit drei Tagen füllt die FAZ in einer Art Kampagne den für Medienberichterstattung vorgesehenen Platz größtenteils mit geharnischten Protestnoten von Schriftstellern, Intendanten und Politikern. Auch in der Freitagsausgabe soll das so sein, kündigte das Blatt an, denn am Freitag von 14 Uhr an wird angeblich die Zukunft von HR2 im Rundfunkrat des Senders verhandelt. "Strategische Ausrichtung des HR und damit verbundene Programminitiativen" steht als Punkt vier auf der Tagesordnung des Aufsichtsgremiums, das nach Ansicht der meisten Protestler die angedachte Reform von HR2 sofort stoppen soll.

Dabei gibt es noch gar keine konkreten Reformpläne. Die Geschäftsleitung hat sich Anfang Juli lediglich auf "strategische Leitplanken" verständigt. Eine dieser Leitplanken lautet "digital first" und steht für die Verlagerung von Inhalten in jenen Bereich, in dem man junge Nutzer erreicht. So solle die regionale Kulturberichterstattung verstärkt über das Onlineangebot hessenschau.de erfolgen und Kulturinhalte mit besonderem Fokus sollen für die ARD-Audiothek entwickelt werden. Das erzürnt viele, die um lieb gewonnene hr2-Wortsendungen wie Der Tag oder Doppelkopf fürchten, die zu einer Klassikwelle kaum noch passen würden. Kultur werde zu Konfetti, ausgestreut über die letzten Hörer, kommentierte etwa der Schriftsteller Bodo Kirchhoff in der FAZ.

Das mit den letzten Hörern markiert ein großes Problem des Hessischen Rundfunks. Erreichte HR2 im Jahr 2018 noch 96 000 Hörer am Tag, so waren es in der vergleichbaren Messung 2019 nur noch 87 000. Viel schlimmer aber als die allgemeine Schrumpfung wird im Sender die Abwanderung der jungen Nutzer empfunden. Die will man im Netz erreichen. Dafür aber werden die Zeitungsverleger naturgemäß wenig Begeisterung zeigen, denn wenn sich eine öffentlich-rechtliche Anstalt vermehrt abseits der klassischen Ausspielwege tummelt, macht sie damit den Verlagen Konkurrenz. Womöglich erklärt dies auch das Eintreten diverser Zeitungen für den Erhalt von HR2 in der jetzigen Form.

Die Vehemenz, mit der einige derzeit höhere Aufwendungen fürs Kulturprogramm von HR2 fordern, hat den Hessischen Rundfunk heftig getroffen und nicht durchweg geschickt reagieren lassen. So konterte der Sender den Vorwurf, er betreibe mit seiner angestrebten Junge-Leute-Strategie so etwas wie Altersdiskriminierung, mit dem problematischen Gegenargument, man betreibe mit der bisherigen Praxis ja quasi so etwas wie Jugenddiskriminierung.

Wirklich erfolgreich waren Hörerproteste, als es um den Frequenztausch beim BR ging

Ohnehin fällt es dem Sender schwer, eine ansprechende Vorwärtsverteidigung zu betreiben, denn zu den meisten Plänen können die Verantwortlichen nur sagen, dass sie noch nichts Definitives sagen können.

In Frankfurt sieht man sich nun mit ähnlichen Problemen konfrontiert wie im Jahr 2012 in Köln, wo selbsternannte Radioretter eine riesige Protestwelle gegen Veränderungen bei der Kulturwelle WDR 3 losgetreten haben. Auch damals saßen plötzlich Schriftsteller, Politiker und andere Kulturschaffende in einem Boot und machten ihrem Widerwillen lauthals Luft. Beruhigt wurden sie mit ein paar Kompromissen, und inzwischen sind die Reformen weitgehend so durchgesetzt worden, wie ursprünglich geplant.

Wirklich erfolgreich waren Hörerproteste hingegen, als es um den Frequenztausch beim Bayerischen Rundfunk ging. Dort sollte BR Klassik zugunsten der jungen Welle Puls ins Digitale wechseln, was aber nach viel Wirbel abgesagt wurde. Man habe die angestrebten Ziele durch Änderung der Rahmenbedingungen erreicht, ein Wechsel sei daher nicht mehr nötig, verkündete der BR letztlich.

Von der Rundfunkratssitzung am Freitag ist keine vergleichbare Reaktion zu erwarten. Zwar wird sich die medial bereits geäußerte Hörerempörung auch im Gremium Luft machen, aber sie wird zu keinem sofortigen Stopp der Pläne führen. Vielmehr wird der Rundfunkrat höchstwahrscheinlich die Senderleitung mahnen, die Proteststimmen ernst zu nehmen und zu prüfen, ob man deren Interessen nicht berücksichtigen könne. Danach wird viel geprüft werden. Womöglich, bis sich der Shitstorm gelegt hat.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: