Altersvorsorge:Grüne fordern deutschen Staatsfonds

Landtagswahl Hessen - Reaktion Die Grünen in Berlin

Robert Habeck, Co-Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, fordert einen Staatsfonds.

(Foto: dpa)
  • Die Grünen fordern in der Debatte um Negativzinsen die Einführung eines Staatsfonds. Dieser soll Sparer bei der privaten Altersvorsorge unterstützen.
  • Ein Vorbild dafür könnte Norwegen sein, das einen solchen Fonds schon vor Jahrzehnten einrichtete.
  • Auch die SPD fordert staatliche Angebote und sagt, die Finanzagentur solle wieder ins Privatkundengeschäft einsteigen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Die Grünen wollen die sich abzeichnenden negativen Zinsen für deutsche Sparer mit staatlichen Angeboten ausgleichen. "Negativzinsen sind teuer für Sparer und gefährlich für die Finanzmarktstabilität", sagte Grünen-Chef Robert Habeck der Süddeutschen Zeitung. Das könne nicht hingenommen werden: "Es ist Zeit für einen Bürgerfonds." Ein solcher Fonds könne zusätzlich zum gesetzlichen Rentensystem die private Altersvorsorge für die meisten Menschen verbessern. "Der Fonds sollte allen Bürgern offenstehen und langfristig in den Umbau der Wirtschaft investieren." Die Bürger würden von Gewinnzuwächsen profitieren; zugleich könne sich die Lage an den Finanzmärkten stabilisieren.

Habeck verwies auf existierende Vorbilder, etwa den norwegischen Staatsfonds. "Insofern wäre so ein Bürgerfonds kein Hexenwerk, sondern machbar". Auch die SPD im Bundestag will staatliche Angebote machen. Haushaltsexperte Johannes Kahrs forderte, das Privatkundengeschäft der staatlichen Bundesfinanzagentur wiederzubeleben. "Früher gab es Bundesschatzbriefe und die Tagesanleihe des Bundes", sagte Kahrs der SZ. CDU, CSU und FDP hätten diese Angebote abgeschafft. "Wir Sozialdemokraten waren dagegen", sagte er. "Jetzt sollte man mal durchrechnen, ob man das wieder einführen kann. Aber nicht für Leute, die 100 000 Euro auf der Bank liegen haben - das sind für mich keine Kleinsparer." Der Bundesbank zufolge hat die Hälfte der Deutschen weniger als 10 000 Euro auf einem Sparkonto.

Ausgelöst hatte die Debatte um die Negativzinsen Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Der CSU-Chef hatte gefordert, Negativzinsen für Guthaben von weniger als 100 000 Euro gesetzlich zu verbieten. Die ungewöhnliche Forderung nach staatlichen Eingriffen in die Geschäftspolitik von Banken traf auf heftigen Widerstand. Die Deutsche Kreditwirtschaft kritisierte, "gesetzliche Verbote sind systemfremd, helfen den Kunden nicht weiter und können letztlich zu einer gefährlichen Instabilität der Finanzmärkte führen". Wie alle anderen Kaufleute kalkulierten auch Kreditinstitute ihre Preise und Entgelte eigenverantwortlich und anhand von Marktdaten. "Dies gilt auch in Zeiten negativer Leitzinsen", stellte die Deutsche Kreditwirtschaft am Donnerstag klar. Banken könnten negative Zinsen nicht einfach ignorieren.

Grünen-Chef Habeck zeigte Verständnis für die Kritik der Banken und bezeichne Söders Verbotsforderung als populistisch. "Gegen die Negativzinsen helfen keine Verbote", sagt er. "Es ist populistisch, sonntags die Bedeutung regionaler Banken zu preisen und sie den Rest der Woche auf unverschuldeten Kosten sitzen zu lassen." Das Verbot, Kosten weiterzugeben, werde nur zu höheren Bankgebühren für die Bankkunden führen. "Stattdessen sollten wir an Ursachen ran." Gegen Negativzinsen helfe eine aktive Investitionspolitik in der Eurozone, sagte der Grünen-Chef. Weil die Idee, durch niedrige Zinsen Investitionen anzukurbeln, offenkundig nicht aufgehe, "müssen die staatlichen Ebenen stärker investieren und für ein gutes Investitionsklima sorgen".

Auch Kahrs wandte sich ausdrücklich gegen das vom CSU-Chef geforderte Verbot. "Besser wäre es, wenn der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern ein vernünftiges Angebot macht: Jeder kann 10 000 Euro oder vielleicht auch 20 000 Euro sicher anlegen, ohne Negativzinsen."

Die EZB hat bereits angekündigt, die Politik der extrem niedrigen Zinsen fortzusetzen

SPD-Vizechef und Bundesfinanzminister Olaf Scholz hatte die Verbotsforderung von Söder am Mittwoch nicht direkt abgelehnt, was wohl der politischen Brisanz gerade geschuldet gewesen sein dürfte. In Brandenburg und Sachsen werden am 1. September neue Landtage gewählt. Stattdessen erteilte Scholz seinem Ministerium den Auftrag zu prüfen, ob die Idee des CSU-Kollegen "verfassungskonform" sei. Was de facto auf eine Ablehnung hinausläuft.

Es spricht einiges dafür, dass die Forderungen von Habeck und Kahrs über den Wahlkampf hinaus verfolgt werden dürften. Die Europäische Zentralbank hat bereits angekündigt, die Politik der extrem niedrigen Zinsen wegen des schlechten Wirtschaftswachstums fortzusetzen. Auch die amerikanische Fed hat den Leitzins erst kürzlich gesenkt. Sie steht zudem unter enormen Druck aus dem Weißen Haus, den Zins noch weiter zu senken. Präsident Donald Trump will im anstehenden Präsidentschaftswahlkampf gute Konjunkturdaten vorweisen.

Die Grünen hatten bereits im Europawahlkampf für staatliche Maßnahmen geworben. Habeck hatte zusammen mit dem Grünen-Spitzenkandidaten Sven Giegold einen Bürgerfonds für die Altersvorsorge als "risikoarme und extrem preiswerte Anlageform" präsentiert und erklärt, die private, kapitalgedeckte Altersvorsorge sicherer machen zu wollen. Der Bürgerfonds sei insbesondere für solche Bürger geeignet, die nicht genug Einkommen hätten, um selbst effektiv und kostengünstig in Aktien, Immobilien oder andere rentable Werte zu investieren. Öffentlich-rechtliche Anlagefonds gibt es bereits: in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg sowie in skandinavischen Ländern.

Die Zahlung soll auf einen maximalen Betrag gedeckelt werden

Der staatliche Fonds soll allen Beschäftigten und Selbständigen auf freiwilliger Basis offenstehen. Zur Finanzierung soll ein bestimmter, geringer Anteil des Bruttolohns automatisch einbehalten und eingezahlt werden. Die Zahlung soll auf einen maximalen Betrag gedeckelt werden, um zu verhindern, dass "Manager oder Fußballprofis" Millionen in einem öffentlichen Fonds ansparen. Bis zu diesem Maximalbetrag können weitere Zahlungen geleistet werden. Wer nicht mitmachen will, muss aktiv widersprechen. Das eingezahlte Geld soll in sozial, ethisch und ökologisch unbedenkliche sowie zugleich rentable Projekte investiert werden; vorzugsweise Aktien. Der Fonds soll unabhängig verwaltet werden.

Die SPD will ein altes Kriechtier flott machen, die Bundesschildkröte Günther Schild. Mit dem Reptil hatte der Bund 2008 für "die entspannendste Geldanlage Deutschlands" geworben, für Bundeswertpapiere und für die Tagesgeldanleihe. Sie war das erste neue Produkt bei den Bundeswertpapieren seit knapp 30 Jahren; der Salatfresser rühmte das Papier in Werbespots "nach über hundert Jahren an der Börse" als etwas wirklich "Neues". Zum Jahresende 2012 stellte der Bund dann allerdings das Privatkundengeschäft der staatlichen Finanzagentur ein - gegen den Widerstand der SPD. Anfang 2013 stellte die damalige Bundestagsfraktion den Antrag, wieder Bundesschatzbriefe und andere Sparbriefe für private Kunden aufzulegen. Zugleich sollte mit den anderen Eurostaaten darüber beraten werden, lukrative Euro-Schatzbriefe aufzulegen. Passiert ist damals - nichts. Das kann sich nun ändern.

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