Neue Heimat:Die Münchner Weisheit am Mittag lautet Zeit ist Geld

Prozess um Döner-Verkauf Kempten

In Uganda würde man nur auf der Straße essen, wenn man direkt neben dem Imbissstand steht.

(Foto: dpa)

Unserer Autorin wurde in ihrer Heimat Uganda beigebracht, sich beim Essen hinzusetzen, auch wenn es nur ein Stück Brot war. In München sieht sie Menschen nicht nur im Gehen essen.

Kolumne von Lillian Ikulumet

Sie greifen in eine Box mit Chicken Wings in scharfer Soße, beißen in eine saftige Bratwurst oder vertilgen eine Pizza, von der noch der Mozzarellakäse tropft. All das passiert, während sie die Straße entlanggehen. Die Stadtbewohner schlemmen im Gehen. Man könnte das Münchner Freiheit nennen. Andere würden sagen: schlechte Münchner Manieren.

Überall auf der Welt wird gegessen. Die Regeln beim Verzehr sind dabei alles andere als allgemeingültig. Wo ich aufwuchs, wurde mir etwa beigebracht, mich beim Essen stets hinzusetzen, auch wenn es nur ein Stück Brot war. Mir wurde ein Verständnis vermittelt, wonach das Gehen beim Essen eine der höchsten Formen der Missachtung ist. Seit ich meine ugandische Heimat jedoch verlassen habe, begegne ich Menschen auf der ganzen Welt, die Straßen, öffentliche Verkehrsmittel und Parks zu Cafeterias machen. Es sind die Vertreter der To-go-Mentalität.

Zeit ist Geld, so lautet die Münchner Weisheit am Mittag. Die Stadtbewohner sparen Minuten, indem sie ihre Spareribs in der S-Bahn kauen. Ich erinnere mich an eine Szene in einer ziemlich überfüllten U-Bahn. Da saß eine Frau im Business-Kostüm. Sie las keine Zeitung oder Illustrierte, nein: Sie verspeiste Chicken Wings. Sie breitete Servietten auf ihrem Schoß aus und legte los. Die Frau aß sie mit den Fingern und pausierte zwischendurch, weil die Fahrt arg ruckelig war. Als wir im Tunnel festgehalten wurden, nutzte sie den Moment und verputzte alles bis auf den letzten Happen. Immerhin: Sie saß, als sie aß.

Schlimmer ist es, jemandem beim Essen zuzusehen, während er raucht oder telefoniert. Passivrauchen ist ungesund, Passivessen ist hingegen ungenießbar. Einen Döner in der einen Hand, das Handy in der anderen, eine Fluppe im Mund - die Gefahr ist groß, dass so einer in einen hineinläuft, schon hat man Knoblauchsoße auf der Bluse. Oder die Zigarette im Gesichte. Und es geht noch wilder: Neulich habe ich einen Mann im Fitnessstudio beobachtet, der auf einem Ergometer in die Pedale trat und nebenher China-Nudeln aus einem Pappcontainer mampfte - und zwar mit Stäbchen.

Was mich fasziniert, ja fast beeindruckt: Wenn sie ihren Döner im Bus runterschlucken, sind die Leute offenbar völlig unbeeindruckt davon, dass ihnen wildfremde Menschen dabei zuschauen.

In Uganda wäre das undenkbar. Dort würde nur auf der Straße essen, wer direkt neben dem Imbissstand steht - und erst dann weitergehen, wenn das Mahl beendet ist. In meiner alten Heimat gibt es Rolex, nicht die Uhrenmarke, sondern ein Omelett, das mit Naan, einem Fladen, und Gemüse serviert wird. Viele junge Leute essen diese Speise unterwegs an einem Stand. Aber man wird keinen sehen, der damit herumschlendert. Für viele Münchner ist Essen to Go ein doppelter Genuss: Ernährung und Bewegung in einem. Für mich hat Essen hingegen nur einen Reiz: Der Speise meine volle Konzentration zu widmen. Und so mehrere Sinne gleichzeitig anzuregen.

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Neue Heimat - Der andere Blick auf München
Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Die Autorin: Lillian Ikulumet, 36, stammt aus Uganda. Bis 2010 arbeitete sie dort für mehrere Zeitungen, ehe sie flüchtete. Seit fünf Jahren lebt Ikulumet in München.

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Ikulumet für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie sie die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite...

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