G-7-Gipfel:"Macron tut alles, um diese Verwirrung zu kultivieren"

French President Macron attends ceremony for 75th anniversary of liberation of Bormes-les-Mimosas

"In Deutschland pickt sich jeder aus der Person Macron heraus, was er gern sehen möchte", sagt Claire Demesmay.

(Foto: REUTERS)

Konservativ, liberal oder links? Frankreichs Präsident werde je nach Land und Partei anders wahrgenommen, sagt die Politologin Claire Demesmay. Das schwäche seine Gegner, habe aber nicht nur Vorteile.

Interview von Nadia Pantel, Paris

Am Wochenende empfängt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Staats- und Regierungschefs von Japan, Kanada, Italien, Großbritannien, Deutschland und den USA in Biarritz. Der G-7-Gipfel bietet Macron die Chance, sich als weltpolitischer Vermittler zu zeigen. Die französische Politikwissenschaftlerin Claire Demesmay erklärt, warum die Deutschen Macron nur schwer einordnen können und warum der Gipfel schon schwächelt, bevor er überhaupt begonnen hat. Demesmay leitet bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik das Programm für deutsch-französische Beziehungen.

SZ: Welches Bild von Frankreich will Macron in Biarritz zeigen?

Claire Demesmay: Macron mag große Bühnen. Er setzt in der Innen- wie der Außenpolitik auf Symbole und für ihn ist der Gipfel eine Chance, zu zeigen, dass Frankreich etwas zu sagen hat. Er hat dabei ein doppeltes Publikum im Blick, die französische Bevölkerung und die ausländischen Partner Frankreichs. Außerdem setzt er Akzente mit seinen Lieblingsthemen, also bei der Erneuerung des Multilateralismus und beim Entwickeln neuer Formate.

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Macron hat nicht nur die G-7-Staaten eingeladen, sondern zur Vorbereitung auch afrikanische Staaten und unter anderem auch Indien und Australien einbezogen. Was verspricht er sich davon?

Er will die Bündnisse Europas erneuern und diversifizieren. Es geht ihm darum, die Sichtbarkeit und den Einfluss Frankreichs, und somit auch der EU zu erhöhen. Nicht nur die USA unter Trump sollen über die Weltordnung bestimmen, auch die Europäer sollen ihren Handlungsspielraum erhalten und erweitern. In diesen Überlegungen spielt auch Afrika eine große Rolle. Das ist nicht neu für die französische Außenpolitik, aber ich habe den Eindruck, dass Macron das mit einem neuen Ansatz angeht. Er möchte stärker die Zivilgesellschaft einbinden. Das hat Frankreich lange vernachlässigt und meist nur mit der wirtschaftlichen und politischen Elite eines Landes gesprochen.

Sie benennen die Chancen des Gipfels, aber welche Gefahren könnte er für Macron bergen?

Jede Bühne wird von Risiken begleitet. Es wird zum Beispiel am Ende kein Abschlussdokument geben. Man kann das so interpretieren, dass man bei wichtigen Themen eben keine Kompromisse eingehen will und lieber offen diskutiert. Aber es zeigt eben auch, dass man nicht in der Lage war, eine Übereinkunft zu organisieren. Das bedeutet kein Scheitern des Gipfels, aber trotzdem eine Schwäche.

Das offizielle Ziel des Gipfels liegt darin, eine gerechtere Welt zu schaffen. Die Proteste der Gelbwesten haben gezeigt, dass auch in Frankreich selbst viele das Gefühl haben, in einer sehr ungerechten Gesellschaft zu leben. Kann der Gipfel dabei helfen, Macrons Image als Präsident der Reichen zu verändern?

Nein, ich denke nicht, dass der Gipfel das vermag. Dass das Thema Gerechtigkeit das Hauptmotto des französischen G-7-Vorsitzes ist, stellt natürlich den Versuch dar, ein bestimmtes Bild von Macron zu kommunizieren. Die Kernbotschaft lautet: Ja, uns ist Liberalismus wichtig, aber wir suchen nach einem guten Gleichgewicht zwischen Welthandel und Gerechtigkeit. Das ist diese berühmte Suche nach dem "sowohl als auch", das Macron für sich reklamiert. Aber bei einem Großteil der französischen Bevölkerung ist das Gefühl tief verankert, dass die Globalisierung per se ungerecht ist und dass Macron diese Ungerechtigkeit nicht ernst nimmt. Das lässt sich mit dem Gipfel nicht korrigieren.

In Frankreich selbst gilt Macron für viele als ein klassisch konservativer Politiker, auf internationaler Ebene hingegen als großer Reformer. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?

Ich beobachte schon seit dem Wahlkampf 2017, dass Macron nicht nur von Land zu Land anders wahrgenommen wird, sondern auch von Partei zu Partei. Es gibt eigentlich kein Gesamtbild von Macron. In Deutschland pickt sich jeder aus der Person Macron heraus, was er gern sehen möchte. Und ich denke, das hat auch mit seinem Anspruch zu tun, eine Synthese zu verkörpern. Er verwischt die Linien. Das hat einen verwirrenden Effekt. Manche in Deutschland sehen ihn als konservativ, manche als liberal, andere sogar als Linken. Und er tut auch alles, um diese Verwirrung zu kultivieren.

Bleibt er auch für die Franzosen verwirrend?

Nein, da haben sich die Gleichgewichte inzwischen so verschoben, auch innerhalb seiner Partei, dass Macron inzwischen klar eine konservative Rolle einnimmt. Die Franzosen nennen das rechts. Also jemand, der eine wirtschaftlich liberale Politik macht, eine Wirtschaftspolitik der Unternehmen, nicht der kleinen Leute. Gleichzeitig gibt es dann aber auch Bereiche, wo er auch für die Franzosen die Linien verwischt. In den kommenden Wochen wird das Parlament über das Recht lesbischer Paare auf künstliche Befruchtung diskutieren. Das ist ein Wahlversprechen von Macron, das man eben nicht im konservativen Lager verorten kann.

Profitiert er denn davon, dass er politisch so schwer festzulegen ist?

Das hat nicht nur Vorteile. Er profitiert davon insofern, als dass er seine Gegner schwächt. Es ist bei so einer Taktik viel schwerer, eine klare Gegenposition zu finden beziehungsweise eine frontale Opposition zu führen. Die Nachteile sind aber, dass es auch schwieriger ist, Bündnisse zu bauen. Das sieht man auch in Deutschland, da hat er ja auch versucht mit der FDP zu sprechen oder mit der CDU. Da wissen dann diese Partner aber nicht mehr genau, auf welcher Seite er zu verorten ist. Das macht diese Allianzen kompliziert.

Dr. Claire Demesmay

Claire Demesmay, Expertin für französische Außenpolitik.

(Foto: Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik)

Im Rahmen des Gipfels wird Macron auch auf die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel treffen. Im Europawahlkampf hat Macron gesagt, dass es zwischen ihm und der deutschen Regierung "fruchtbare Konfrontationen" gäbe. Wie bewerten Sie das Verhältnis der beiden heute?

Mein Eindruck ist, dass es nach der Europawahl und nach der Wahl von Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin wieder entspannter geworden ist. Dabei ist es wichtig, zwischen kurzfristigen und langfristigen Entwicklungen zu trennen. Es gibt natürlich eine Ungeduld in Frankreich gegenüber der Bundesregierung, es wird erwartet, dass sie mehr für die europäische Integration unternimmt, zum Beispiel in Bezug auf eine europäische Digitalsteuer. Gleichzeitig haben Paris und Berlin im Januar mit dem Aachener Vertrag, der Neuauflage des Élysée-Vertrages, das Fundament für eine Vertiefung der gemeinsamen Politik gelegt und für eine Annäherung der strategischen Kulturen. Deutschland bleibt für Frankreich der Hauptpartner. Das erklärt auch diese Ungeduld gegenüber der Bundesregierung.

Was bedeutet es für Deutschland, dass Frankreich nun von einem deutlich machtbewussteren Mann geführt wird, als Macrons Vorgänger François Hollande es war?

Für Deutschland ist es unbequemer geworden, es müssen Entscheidungen getroffen werden und man muss sich klarer positionieren. Indem man den französischen Vorschlägen eben zustimmt oder sie ablehnt. Es reicht nicht mehr aus, zu sagen, man sei Pro-Europäer. Die Parteien müssen erklären, was das heißt. Was heißt das für die Euro-Zone? Was heißt das für die Sicherheitspolitik? Da würden viele in Deutschland gerne klare Antworten vermeiden.

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