Saison-Abrechnung:Wählerisch

Saison-Abrechnung: Los beim „Evening Sale“: Ernst Ludwig Kirchners „Drehende Tänzerin“, entstanden im Jahr 1931.

Los beim „Evening Sale“: Ernst Ludwig Kirchners „Drehende Tänzerin“, entstanden im Jahr 1931.

(Foto: Ketterer)

Ambitionierte Preise, zurückhaltende Bieter - die Auktionsbilanz der deutschen Häuser fällt durchwachsen aus. Die Alte Kunst ist zum Nebenschauplatz mutiert.

Von Dorothea Baumer

In den deutschen Auktionshäusern dürfte man eher mit gemischten Gefühlen auf die vergangene Saison zurückblicken. Die Stimmung auf dem Markt blieb gedämpft und die Ergebnisse in der Regel ebenso.

So verschieden die Häuser in Berlin, Köln und München auch agieren, das Geschehen kennzeichnete überall eine starke Zurückhaltung. Die Bieter verhielten sich denkbar wählerisch, waren auf gewisse Namen oder Topstücke fokussiert, verschmähten Mittleres und sorgten so für jede Menge Rückgänge. Der Markt scheint sich, einem internationalen Trend folgend, zunehmend zu verengen. Villa Grisebach konnte mit seinem Moderne-Angebot ausgewählter Werke erneut nicht überzeugen. Bei Lempertz und Van Ham spielten Sammlungen, die komplett veräußert wurden, eine entscheidende Rolle. Ketterer sah sich mit seinem neuen Format "Evening Sale" gut gerüstet, verbuchte zwei Höchstzuschläge und erzielte das beste Saisonergebnis. Zero-Kunst zeigte erstmals empfindliche Schwächen. Malerei von Ernst Wilhelm Nay reüssierte durchweg.

Es gibt Anzeichen, dass die Zero-Kunst ihren Zenit überschritten haben könnte

In der alten Kunst, inzwischen zum Nebenschauplatz mutiert, standen vielfachen Rückgängen nur einzelne Höhenflüge gegenüber. So animierten etwa bei Lempertz zwei nach langen Museumsaufenthalten restituierte niederländische Gemälde der Sammlung Gosschalk zu hohen Einsätzen: eine Felslandschaft von Joos de Momper und Jan Brueghel dem Älteren, die mit Aufgeld 248 000 Euro kostete, und eine weitere Landschaft Moyses van Uyttenbroecks, die auf die Rekordhöhe von 372 000 Euro stieg. Auch Jan Brueghels des Älteren Feinmalerei einer "Dorfstraße mit tanzenden Bauern" schien jeden der elf mal 16 Zentimeter auf Kupfer wert zu sein (360 000), was sich zu einem Umsatz von 3,6 Millionen Euro summierte.

Bei Villa Grisebach waren es Zeichnungen des 19. Jahrhunderts, die zu unerwartet lebhaften Bietgefechten führten, am erstaunlichsten im Fall von Adolph Menzel, dessen Kircheninneres zu Einsiedeln sich ein Schweizer Privatsammler statt maximal 80 000 Euro 275 000 kosten ließ, was Grisebachs Umsatz gegenüber der Erwartung auf 1,7 Millionen verdoppelte. Bei den Spezialisten für Altmeistergrafik, bei Bassenge und Karl & Faber, sorgten Dürer und Rembrandt zuverlässig für gute Zuschläge.

Die größeren Bewegungen, mithin die relevanteren Umsätze zeitigten die moderne, die Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst. Bei Van Ham, das am 29. Mai die Auktionsserie eröffnete, blieb die Moderne unauffällig. Erst mit Kunst nach 1945 nahm das Geschehen Fahrt auf, allerdings nicht störungsfrei. Beide Spitzenlose, Nagelbilder von Günther Uecker mit Taxen von 400 000 und 500 000 Euro, fielen durch. Zweifellos ein Anzeichen, dass die Zero-Kunst, die vor etwa 13 Jahren zu ihrem beispiellosen Höhenflug ansetzte, ihren Zenit möglicherweise überschritten hat, zumal auch in anderen Häusern die Arbeiten versagten. Im Zeitgenössischen gut positioniert, fuhr das Kölner Haus mit 11,2 Millionen Euro dennoch sein bisher bestes Ergebnis ein. Dazu trugen Gerhard Richters serielles "Fuji"-Bild (300 000) mit über 438 000 Euro brutto ebenso bei wie zwei Papierarbeiten von David Hockney, die bei Taxen von 60 000 und 80 000 mit 258 000 und gut 212 000 Euro übernommen wurden, Ernst Wilhelm Nay, der ausnahmslos gute Preise erzielte und die Sammlung SØR Rusche mit 130 zeitgenössischen Arbeiten, die restlos gefiel.

Den Gegenwind in voller Stärke bekam nur einen Tag später Villa Grisebach zu spüren, wo von den 50 ausgewählten Werken der Abendauktion 19 scheiterten: darunter Hochdotiertes von Alexej Jawlensky, Otto Mueller und Karl Schmidt-Rottluff wie auch das Spitzenlos, Max Pechsteins mit bis zu 700 000 Euro geschätztes "Stillleben in Grau" aus dem Jahr 1913. Diese Gemälde begeisterten nicht, ambitionierte Schätzpreise taten wohl ein Übriges. Ein Fischer-Motiv von Max Pechstein aus den 20ern, Gabriele Münters Murnauer "Heuhocken" von 1909 und ein Spätwerk von Paul Klee zählten zu den Ausnahmen, die sich für den Abend zur schmalen Ausbeute von 4,8 Millionen Euro summierten. Bei den Zeitgenossen wendete sich das Blatt nicht. Gravierenden Rückgängen standen gerade drei Lose gegenüber, von Sigmar Polke, Günther Förg und Tony Cragg, die mit Aufgeld in den sechsstelligen Bereich gelangten. Zehn Millionen Euro bilanzierte das Haus.

Was für Van Ham die SØR Rusche Collection, waren für Lempertz 40 Arbeiten aus der Vorstandsetage der Kölner Kaufhofzentrale. Willkommener Treibstoff. In der Moderne steuerte sie das Spitzenlos bei, Max Liebermanns monumentale Marktszene "Judengasse in Amsterdam" von 1908. Auf 600 000 geschätzt, bei 700 000 zugeschlagen, mit Aufgeld und einer 19-prozentigen Regelsteuer auf Firmenbesitz für über eine Million Euro in neue Hände gelangt. Größere Überraschungen gab es nicht. Die Zuschläge blieben, von wenigen Ausnahmen abgesehen, im Rahmen der Taxen. Auch die seltenen Kurt-Schwitters-Werke, "Gustav Finzlerbild" (1926/36) und die Collage "Counterfoil" (1942/45), wurden entsprechend mit Aufgeld für 500 000 und knapp 400 000 Euro weitergereicht. Bei den Zeitgenossen waren die Arbeiten von Imi Knoebel, Günther Förg und, flott gesteigert, von Norbert Kricke gefragt. Gerhard Richters rote "Ölskizze" (1998), die 300 000 bringen sollte, interessierte nicht. Und auch Heinz Macks Aluminiumstruktur "Silberfächer" (200 000) schied aus dem Rennen. An die 30 Prozent des zeitgenössischen Angebots gingen zurück, auf knapp zwölf Millionen Euro belief sich der Umsatz.

Für Warhols "Portrait of a Lady" bezahlt ein süddeutscher Käufer mehr als eine Million Euro

Das Muster wiederholte sich auch bei Karl & Faber, wo überschaubaren Erlösen im sechsstelligen Bereich, darunter für Ernst Wilhelm Nays Gemälde "Blauklang" von 1953 (325 000) und Max Pechsteins "Calla-Stillleben" (237 500), zahlreiche Rückgänge gegenüberstanden. Sie betrafen expressionistische Grafik ebenso wie das Titellos der zeitgenössischen Kunst, Heinz Macks frühe Zero-Arbeit "Dynamische Struktur Schwarz" (200 000). Nicht anders ließ sich auch die Kundschaft bei Neumeister für Vieles im Angebot nicht gewinnen, hatte dafür einen Ausreißer mit einem sozialkritischen Heinrich-Zille-Blatt aus dem Kriegsjahr 1916 (rund 80 000).

Ketterer startete mit einer der besten Offerten und lag mit seinem neuen Konzept richtig. Statt eine ausgedünnte Moderne und eine um ihren Nachschub nicht verlegene Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst in separaten Katalogen zu präsentieren, bot man Topstücke aus beiden Bereichen, knapp hundert Lose, gebündelt zum "Evening Sale". Das auf 1,5 Millionen taxierte Starlos, Wassily Kandinskys "Treppe zum Schloss (Murnau)", ein Frühwerk von 1909, das im Dezember 2018 in New York gescheitert war, übernahm bei einem Zuschlag von zwei Millionen mit Aufgeld für 2,5 Millionen ein deutscher Sammler. Andy Warhols elegantes "Portrait of a Lady" (400 000) ließ sich ein süddeutscher Käufer über eine Million kosten, der zudem Ernst Ludwig Kirchners "Drehende Tänzerin" (300 000) für 625 000 Euro übernahm. Für Daniel Richters Gemälde "Alles ohne Nichts" (2006/07), von 250 000 auf 500 000 Euro gehoben, fuhr man einen Rekord ein; mit mehr als fünfzig 100 000-Euro-Zuschlägen und 26,5 Millionen Euro Umsatz das beste Moderne-Ergebnis der Saison. Doch auch in Ketterers Evening Sale wurde etwa ein Viertel der Lose verschmäht.

Der Rückblick auf die internationalen Auktionen folgt kommende Woche.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: