Archäologie:Tempel im Schlick

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  • Vor mehr als 2000 Jahren rutschten große Teile der antiken Stadt Thonis-Herakleion ins Meer.
  • Nun haben Unterwasser-Archäologen Bruchstücke von Tempeln, Statuen, Münzen, Schmuck und religiöse Gegenstände aus dem Meeresboden geborgen.

Von Hubert Filser

Es war eine Folge dramatischer Ereignisse für die Stadt am Mündungsarm des Nil. Zunächst bebte die Erde, dann folgte ein gewaltiger Erdrutsch, der wiederum eine meterhohe Flutwelle auslöste. Diese drei katastrophalen Ereignisse trafen Thonis-Herakleion im Jahr 140 vor Christus mit voller Wucht und zerstörten in kurzer Zeit große Teile der Stadt. Der Erdstoß hatte den sandigen Boden schlagartig aufgeweicht, er setzte vor allem den mächtigen Bauten der Stadt zu, den Tempeln und Verwaltungsgebäuden. Die Stadt rutschte durchschnittlich fast sechs Meter tief ins Meer. Nur einige kleine Inseln blieben übrig.

Schriftliche Quellen zu diesem Naturereignis gibt es nicht, aber soeben haben Franck Goddio und sein Team vom Europäischen Institut für Unterwasserarchäologie (IEASM) neue Belege für die Vorgänge in der Bucht von Abukir gefunden, also dort, wo in der Antike der Nil ins Mittelmeer mündete. Unter einer dicken Schlammschicht, rund 3,5 Meter unterhalb des heutigen Meeresbodens, fanden die Unterwasserforscher im Sediment Bruchstücke zweier wichtiger Tempel, eines großen ägyptischen und eines kleineren griechischen. Ihre Ergebnisse publizierten die Forscher allerdings nicht in einem Fachjournal, sondern gaben sie in einer Pressemitteilung bekannt.

Demnach lagen gut erhaltene Mauerteile, Statuen und rituelle Gegenstände eines zentralen Tempels, der der obersten Gottheit Amun-gereb geweiht war, in einem ehemaligen Kanal. Dieser war regelrecht aufgefüllt mit Steinbrocken des Tempels. Der südlich der Wasserrinne stehende Tempel war vermutlich durch das Erdbeben komplett eingestürzt. Nilschlamm hatte die Überreste jahrhundertelang überspült und perfekt konserviert. Zur Blütezeit der Stadt fuhren auf dem weit verzweigten Kanalsystem flache schwere Barken mit Waren aus der griechischen Welt ins Landesinnere. In früheren Grabungen hatte Goddio entsprechende Schiffe entdeckt, eines war sogar von herabfallenden Trümmern versenkt worden. Jetzt gibt es einen weiteren Schnappschuss aus der Zeit des Untergangs.

Westlich der ersten Fundstelle stießen die Taucher auf Säulen eines griechischen Rundtempels sowie auf griechische Keramiken und Gegenstände aus Silber und Bronze, die vermutlich bei religiösen Zeremonien Verwendung fanden. Viele Gegenstände sind weitgehend unversehrt. Der Tempel hatte einen Durchmesser von 5,5 Metern; er stürzte während des Erdbebens im 2. Jahrhundert vor Christus ein.

Thonis-Herakleion war mit seinen zahlreichen Tempeln ein religiöses Zentrum im Pharaonenreich. Beide Bauwerke stammen aus dem Beginn des 4. Jahrhunderts vor Christus, aus der Zeit der 30. Dynastie. Thonis-Herakleion war nördlicher Grenzposten des Königreichs und gleichzeitig das wichtigste Tor zum Mittelmeer und zur griechischen Welt. Hier mussten sich alle Schiffe, die Handel mit Griechenland treiben wollten, registrieren lassen.

Unweit von Thonis-Herakleion lag in der Bucht von Abukir mit Kanopus eine zweite Stadt, die beim Erdbeben ebenfalls nahezu ausgelöscht wurde. Auch hier taucht Frank Goddio mit seinem Team seit mehr als zwei Jahrzehnten nach Spuren der versunkenen ägyptisch-griechischen Welt. Bekannt sind auch von dort verschiedene Tempel und ein christliches Kloster.

Bei der aktuellen Ausgrabung stieß Goddio nun auf römische Gebäude, ein Wasserleitungssystem und ein Badehaus. Die Gebäude erzählen vom Wandel der Zeiten und den vielfältigen Einflüssen in Unterägypten. Gleichzeitig entdeckten die Taucher im Sediment unter dem Meeresboden islamische und byzantinische Goldmünzen sowie einen goldenen byzantinischen Ohranhänger mit grünlichen Steinen. Münzen und Schmuck ließen sich auf das 8. Jahrhundert nach Christus datieren. Spätere Spuren gibt es weder in Kanopus noch in Thonis-Herakleion. Die Forscher vermuten, dass eine zweite Naturkatastrophe die letzten, auf Inseln verbliebenen Siedlungsreste in die Tiefe riss.

© SZ vom 26.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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