Taktik in der Fußball-Bundesliga:Liga der pressenden Gentlemen

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Eine von vielen Grätschen: Kölns Birger Verstraete (vorne) wird von Dortmunds Marco Reus attackiert. (Foto: AP)

Rasante Konter, schnelle Zerstörung: Diese Szenen werden die Bundesliga-Saison prägen. Ralf Rangnick ist weg, hat aber sein Erbe hinterlassen.

Kommentar von Johannes Kirchmeier

Eine Grätsche im Mittelfeld und einen Pass brauchte es am Freitagabend, und fast wäre der 1. FC Köln schon 2:0 in Führung gegangen gegen den großen Favoriten Borussia Dortmund, im Nachhinein war es daher vielleicht eine entscheidende Szene, die sich da kurz nach der Halbzeitpause abspielte. Kingsley Ehizibue erkämpfte sich den Ball gegen Dortmunds Julian Weigl, Dominick Drexler passte nach einem schnellen Solo zu Jhon Cordoba, ebenso flink flankte der. Doch weil der BVB-Verteidiger Manuel Akanji noch den Ball abfälschte, traf der schussbereite Anthony Modeste hinter ihm nicht, die Dortmunder siegten 3:1.

Die beschriebene war natürlich nicht die einzige Szene, in der die Kölner mit Karacho vors BVB-Tor kamen - ganz im Sinne ihres Trainers Achim Beierlorzer, der seit Jahren auf diesen Stil setzt. Abwarten ist für ihn stets falsch, nach einem flinken Ballgewinn auch schnell Angreifen dagegen immer richtig. In der vergangenen Woche sah er seinen Fußball sogar in der Idealform und aus nächster Nähe mitsamt des entscheidenden Torabschlusses - nur dummerweise auf der falschen Spielfeldseite: Der Wolfsburger Xaver Schlager hatte sich gegen Drexler den Ball erkämpft, flink umgeschaltet und ihn zum Torschützen Wout Weghorst weitergeleitet.

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Die Szenen der schnellen Zerstörung und rasanten Konter, so viel lässt sich nach zwei Spieltagen schon sagen, werden diese Spielzeit bestimmen. Denn die Bundesliga erlebt gerade eine Renaissance der pressenden Gentlemen. Ballbesitzliebhaber mussten im Sommer ihre Tätigkeit beenden. Fast alle der acht Trainer, die vor einer Woche ihre Bundesliga-Premiere gaben, schwören dagegen auf den Fußball des Jagens und Bälleaufsammelns, den in den vergangenen Jahren erst RB Salzburg und in Deutschland dann RB Leipzig prägten, der sich aber auch in andere Länder ausbreitete und so den europäischen Fußball in wenigen Jahren beachtenswert beschleunigt hat.

Selbst der FC Bayern hat sich vom reinen Ballbesitzfußball emanzipiert

Die Debütanten Glasner (Salzburg) und Beierlorzer (Leipzig) arbeiteten einst an den Red-Bull-Standorten - unter dem Vater der Konzepttrainer, Ralf Rangnick. Mit Rangnick werkelten aus der Bundesliga noch David Wagner, Julian Nagelsmann (beide noch in Hoffenheim), Adi Hütter und Marco Rose (jeweils Salzburg). Und Hoffenheims neuer Coach Alfred Schreuder war bis vor anderthalb Jahren Co-Trainer von Nagelsmann, nur um dann als Co-Trainer bei Ajax Amsterdam anzuheuern und dort mit demselben Fußball ins Halbfinale der Champions League einzuziehen.

Auch wenn Rangnick selbst nach seinem Engagement als Leipziger Trainer die Liga im Sommer verließ: Sein Erbe des rasanten Fußballs hat er hinterlassen. Wie sehr, merkt man daran, dass selbst der eiserne Ballbesitzverfechter und Bundestrainer in Personalunion Joachim Löw inzwischen lieber flink umschalten lässt als den Ball um des Ballbesitzes willen zu besitzen.

Nun wollen eben auch andere Klubs von Rangnicks Idee profitieren. Ihr Problem könnte dabei nur werden, dass so auch schnell Eintönigkeit droht. Wie sehr nicht perfekt ausgeführtes Pressing und Gegenpressing eine Partie lähmen kann, zeigten am ersten Spieltag die Teams Rose (Gladbach) und Wagner (Schalke) im direkten Duell - das war karges Gekleckere, das Destruktivisten erfreute, statt Fußballkunst für Liebhaber am Samstagabend. Dem Spiel fehlte augenscheinlich ein Einzelkönner, der es schafft, auch mal aus den starren Systemen auszubrechen.

Wenn das allerdings mal so gelingt wie es auch (das natürlich finanziell überlegene) Salzburg in Österreich zeigt, dann dürfte es trotzdem eine äußerst rasante Saison in der Bundesliga werden. Es hatte sich ja in der vergangenen Saison auch noch der FC Bayern unter Trainer Niko Kovac vom reinen Ballbesitzfußball emanzipiert und setzte vermehrt auf flinke Konter - wenngleich er damit auf europäischer Ebene und in seinem Selbstverständnis noch seine Probleme hatte, wie das Champions-League-Aus im Achtelfinale gegen den FC Liverpool im März zeigte. Aber vielleicht ist ja auch das im Sinne des Konzeptvaters: In der Champions League schieden Rangnicks Mannschaften fast immer früh aus.

© SZ vom 25.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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