Agnesbar:Unter Kranichen

Anna Ngoc-Nhu Do, 22, betreibt mit Marieke Behlen, 21, die Bar des Wohnheims in der Agnesstraße. Die Berlinerin bringt sich damit in die Münchner Subkulturszene ein, die sie als familiär und gemütlich schätzt

Von Amelie Völker

Schon der Aufkleber auf der dunkelgrünen Tür ist ein Versprechen: "Ein Ort zum Verlieben." Folgt man der Musik im Studentenwohnheim in der Agnesstraße, gelangt man an die Bar. "I have mixed drinks about feelings", ist darüber auf einem Schild zu lesen. Anna Ngoc-Nhu Do, 22, steht hinter der Bar. Um ihren Hals liegen feine Ketten. Sie trägt ein Nasenpiercing. Und an ihrem linken Handgelenk hängen bunte Festivalbändchen. Sie mixt besagte Drinks und tröstet gleichzeitig eine aufgelöste junge Frau, die von einem Streit mit einem anderen Partygast berichtet.

Anna leitet die Agnesbar zusammen mit Marieke Behlen, 21. Sie hat auch die Open-Air-Sommerparty mit dem Bushbash-Kollektiv an diesem Freitag auf die Beine gestellt und wird später selbst am DJ-Pult stehen und ein erfrischend verspultes Mid-Tempo-Techno-Set auflegen. Anna schmeißt diese Bar ehrenamtlich. Ganz nebenbei studiert sie Medizin - bekanntlich ein sehr zeitintensives Vorhaben. Und sie legt immer wieder als DJ Musik auf. Wie lässt sich diese Kombination meistern?

"Oftmals wird von einem Medizinstudium gesagt, dass man vieles aufgeben muss. Etwas, das für mich nie in Frage kam ", sagt Anna. Dafür nimmt sie auch in Kauf, dass ihre Noten nicht immer die allerbesten sind. Die junge Studentin lacht häufig. Ihr Auftreten ist sympathisch und selbstsicher - soziale Eigenschaften, die ihr sowohl im medizinischen als auch im kreativen Bereich hilfreich sein dürften. Das Fach Medizin wählte sie, weil sie dort mit Menschen in Kontakt sein und ihnen helfen könne. Doch in ihrem Studium fehlt ihr die kreative Komponente.

Daher entschließt sie sich bewusst für einen Mittelweg: Neben dem Studium engagiert sie sich in Münchens Subkultur, arbeitet mit Rave-Kollektiven zusammen, legt als DJ auf und leitet die Agnesbar. Zudem engagiert sie sich im feministischen Wut-Kollektiv sowie bei "Mindzone", eine Initiative von jungen Münchner Partygängern, die über Drogenkonsum aufklärt. Anna zählt zu den Menschen, denen die Energie nie auszugehen scheint.

Im nächsten Semester hat sie sich noch dazu im Nebenfach in Theaterwissenschaft eingetragen. Medizin und Theater, Wissenschaft und Subkultur, Krankheiten und Techno-Raves - Gegensätze, die für Anna wichtig sind, die sie nahezu in ihrem Leben braucht, damit beides für sie funktioniert: "Das faktische und das kreative Denken schließen sich für mich gar nicht unbedingt aus," sagt sie, "sondern ergänzen sich gegenseitig positiv."

Die Verbundenheit zu Subkultur und alternativen Raves hat Anna aus Berlin. Denn vor drei Jahren ist sie für ihr Studium aus ihrer ehemaligen Heimatstadt nach München gezogen. "Als ich hierher gekommen bin, hat mir zunächst Subkultur vor allem im Kontrast zu Berlin ziemlich gefehlt", sagt sie. Inzwischen sieht sie die Verhältnisse hier jedoch eher positiv: "Berlins Subkultur ist zwar sehr vielfältig, aber auch riesig. In München dagegen ist die Szene überschaubarer und familiärer, ja fast gemütlicher, mit viel Potenzial, das noch nicht ausgeschöpft wurde. Mich reizt es total, hier die Szene mitzugestalten", sagt Anna.

Vor allem in ihrer Agnesbar bringt sie sich aktiv in die Subkultur-Szene ein. Vor etwa einem Jahr haben Anna und Marieke die Leitung übernommen. Eigentlich gibt es die Bar schon, seitdem das Wohnheim existiert, aber immer neue Studentengruppen werden für die Verwaltung gewählt. Eine individuelle Bar im Wohnheim, von Bewohnern für Bewohner und deren Freunde. Seit Anna die Agnesbar leitet, läuft dort hauptsächlich Techno. Daneben organisieren die Macher Poetry-Slams, Konzerte oder Bier-Tastings. Außerdem erstellt die Crew ihre eigenen verrückten Cocktailkreationen. An diesem Abend gibt es den Drink "Ginny Weasley" - ein knallrotes Getränk, bestehend aus Gin, Tonicwasser und Grenadine. Auch die komplette Dekoration der Bar gestalten sie selbst: Von der Decke baumeln beispielsweise alte Schallplatten und bunte Origami-Kraniche.

Das Barteam, so sagt es zumindest Anna, versucht die Agnesbar nach drei Leitsätzen zu führen: Kunstfreiheit, ökologische Nachhaltigkeit und geschlechtliche Gleichberechtigung. Frauen sollen sich hier sicher fühlen. So hat die Crew ein sogenanntes präventives "Awareness-Konzept" in den Unisex-Toiletten der Agnesbar aufgehängt: Dort wird darauf hingewiesen, dass keinerlei (sexuelle) Belästigung toleriert werde. Hinweise, die offenbar immer noch nötig sind: "Ich habe schon Leute eigenhändig rausgeschmissen," sagt Marieke Behlen, 21. "Die Feierszene ist nun mal leider immer noch ein männerdominierter Bereich", sagt Anna, "daher kommen solche Sicherheitsaspekte auch in vielen Münchner Clubs oftmals zu kurz."

So existiert mit der Agnesbar momentan eine tolerante, kulturell vielseitige und nicht auf Kommerz ausgerichtete Bar, die natürlich nur deshalb auf diese Weise funktioniert, weil die verantwortlichen Studenten keine Mietpreise für die Location zahlen müssen und somit nicht auf Einnahmen angewiesen sind. Medizin ist eine Absicherung für Anna, "denn mir ist wichtig, in Dinge wie die Agnesbar mein Herzblut zu stecken, ohne kommerzielle Hintergedanken zu haben". So könne sie sich darauf konzentrieren, was sie wirklich gut findet und nicht auf das, was sich gut verkauft. "Für dieses Privileg, eine Bar allein nach unseren Überzeugungen führen zu können, bin ich unendlich dankbar." Vielleicht ist es vor allem diese unverkrampfte Einstellung, die aus der Agnesbar einen Mix aus entspannter Studentenkneipe und Underground-Rave macht - einen wahren Ort zum Verlieben eben.

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