TV-Doku:Schaut auf diese Stadt

Chemnitz - Ein Jahr danach

Wie ging es weiter in Chemnitz? Der Karl-Marx-Kopf ist ein Symbol der Stadt.

(Foto: MDR)

Die MDR-Dokumentation "Chemnitz - ein Jahr danach" will erzählen, wie es weiterging in der Stadt nach den Ereignissen im Sommer 2018. Schon vor der Ausstrahlung sorgte eine geplante Podiumsdiskussion für Ärger.

Von Elisa Britzelmeier

Vermutlich wäre es falsch zu sagen, dass gerade alles auf Sachsen schaut, aber es sind dann doch ein paar Menschen mehr, als sich sonst für den Osten Deutschlands interessieren. In wenigen Tagen sind Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg, und so schafft es "der Ossi" aktuell auf Magazintitel und in Fernsehsendungen. Besonders viele Menschen schauen auf Chemnitz, wo es vor einem Jahr nach dem Tod Daniel H.s zu Ausschreitungen kam und wo in dieser Sache gerade ein umstrittenes Urteil gefallen ist. Der aus Syrien geflüchtete Alaa S. wurde auf unsicherer Basis zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt.

Die MDR-Dokumentation "Chemnitz - ein Jahr danach" zeigt, wie es weiterging in Chemnitz, nach dem Angriff und nach den Krawallen. Auf den Fall selbst und die Unstimmigkeiten rundherum geht der Film kaum ein. Es geht ihm um die Stadt. Um die Bürger von Chemnitz, die sich so fühlen, als sei ihrer Stadt ein extrem rechter Stempel aufgedrückt worden. Zu Wort kommen jene Einwohner, die diesen Stempel als ungerecht empfinden und ihm etwas entgegensetzen wollen. Und andere, die ihn sich womöglich verdient haben.

Der Film ist auch deshalb interessant, weil es zu ihm eine Podiumsdiskussion hätte geben sollen. Zu der hatte der MDR auch den Rechtsextremen Arthur Österle, heute Mitglied der AfD, eingeladen. Erst sagte Margarete Rödel von den Grünen ab, dann die Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD), beide wollten nicht gemeinsam mit Österle aufs Podium. Dann strich der MDR die Veranstaltung. Die Doku aber läuft trotzdem.

In dieser Dokumentation kommt nun ebendieser Österle ausführlich zu Wort, an dessen Person und politischer Gesinnung sich die Debatte entfachte. Man sieht ihn bei einer - nicht allzu gut besuchten - AfD-Kundgebung, beim Plakateaufhängen, bei einer Tatortbegehung. Da ist seine Lebensgeschichte, sein Wahlkampf, seine Sicht der Dinge, einschließlich der Rechtfertigung dafür, dass im August 2018 auch Neonazis der Partei "Der dritte Weg" mitdemonstrierten.

Man sieht aber auch: die junge Krankenpflegerin Rödel, politisiert durch die Wahlerfolge der AfD, die eine Grünen-Ortsgruppe gründet und mit dafür sorgt, dass heute die Gegendemonstrationen wesentlich größer sind als die der Rechten. Man sieht Polizisten bei der Arbeit, Menschen am Stammtisch, einen Gastronomen, eine Wissenschaftlerin, einen IT-Unternehmer und eine syrische Familie, die sich während der Krawalle tagelang nicht aus dem Haus traute. Migranten, die Chemnitz verlassen, und Migranten, die sich dort wohlfühlen.

Die Bilder aus Chemnitz zeigen Schlossteich und Rasenflächen, Musikveranstaltungen und Diskussionen, große Brunnen und Fahrradfahrer. Die Stadt wirkt lebenswert und gleichzeitig abweisend, fröhlich, bedrohlich, schwer zu fassen. Der Ausdruck "besorgte Bürger" wird hier noch unironisch verwendet, die Polizei sagt "Tschüssi", und man erfährt, dass der Durchschnitts-Chemnitzer relativ alt ist und lieber auf dem eigenen Balkon sitzt als im Café in der Innenstadt.

Was den einen als Belebung und Internationalisierung des Zentrums erscheint, bedeutet den anderen Verunsicherung. In vielem also unterscheidet sich das Chemnitz des Films nicht groß von anderen Städten. Eine Stärke der Dokumentation liegt nicht nur in dem differenzierten Blick, sondern auch darin, dass sie das - nicht nur in Chemnitz zu findende - Misstrauen gegen die Medien zum Thema macht. Am Stammtisch, wo gerade noch geplaudert wurde, muss die Kamera plötzlich weg, wenn es um Neonazi-Hooligans geht.

Besonders eindrucksvoll ist eine Szene, in der Angehörige des getöteten Daniel H. auf Freunde des mittlerweile verurteilten Alaa S. treffen. Es ist ein emotionaler Moment. Sie sind am Tatort, und kurz sieht es so aus, als könnte die Situation gleich eskalieren. Aber sie reden miteinander.

Chemnitz - ein Jahr danach, ARD, 22.45 Uhr.

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