Den Wald mit allen Sinnen erleben:Zeitreisen im Forst

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Im Herbst wird der Ebersberger Waldhörpfad eröffnet. In Zusammenarbeit von Waldmuseum und VHS entstehen derzeit die Audiofiles, die dann an verschiedenen Punkten im Wald zu hören sein werden

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Die Zeit kann man hören. Wenn man die Augen schließt. Nein, nicht ihr Vergehen, das nicht, aber die Geräusche, die den Moment bestimmen. Den Zeitpunkt. Vielleicht nicht, ob es zehn vor oder zehn nach drei Uhr am Nachmittag ist. Bei Morgen und Abend wird es dagegen schon wahrscheinlicher, dass man den Augenblick erkennt - am Vogelgezwitscher zum Beispiel, es kommt darauf an, wo man steht. Nacht oder Tag, Sommer oder Winter - ganz sicher, und das mitten im Wald genauso wie mitten auf einem Marktplatz. Und so ließe sich wohl auch das eine Jahrhundert vom anderen unterscheiden - der individuelle Lärm der menschlichen Zivilisation sowieso, aber auch die Arten der Stille weit draußen, im Herzen der Natur.

"Irgendwo fliegt ein Flugzeug, oder eine Autobahn rauscht in der Ferne", sagt Alexandra Hessler, "das ist schon ein klares Indiz." Aus einer Ton-Aufnahme - und darum geht es - höre man solche Geräusche heraus, erklärt sie und versucht so, die Sinne der kleinen Gruppe von Menschen zu schärfen, die sie begleiten. Hessler ist Medienpädagogin, Journalistin und Kulturwissenschaftlerin und leitet derzeit ein Projekt, das vom Ebersberger Waldmuseum in Zusammenarbeit mit der VHS Ebersberg ins Leben gerufen wurde. Die Kaufbeurer VHS-Dozentin Hessler ist dabei in Ebersberg keine ganz Unbekannte. Vor fünf Jahren hatte sie für das bayernweite Projekt "Hörpfade" ebenfalls gemeinsam mit Kursteilnehmern der Volkshochschule Audiofiles aufgenommen, welche die Ebersberger Geschichte zum Thema haben.

Um solche Audio-Files, kleine Erzählstücke die per Handy oder PC abgerufen werden können, geht es auch diesmal. Zu hören sind sie von Herbst an, wenn der neue Walderlebnispfad des Waldmuseums eröffnet wird. Sie sind Teil des VHS-Projekts "Klingende Landkarte", einem Netz aus Audio-Beiträgen, das sich mittlerweile über ganz Bayern zieht.

Die Leiterin des Ebersberger Waldmuseums, Ines Linke, freut sich schon darauf. Sie ist mit der Dozentin und den Teilnehmern des Audio-Projekts in den Wald gekommen, wo Hessler die ersten Naturaufnahmen machen will, die als akustischer Rahmen für die Erzählungen dienen. Und um den Wald geht es ja schließlich auch: den Wald als Lebensgrundlage, Erholungsfläche, Rückzugsgebiet für Tiere und Pflanzen, seine Bäume - vor allem um die Fichte -, und damit auch um sein Gesicht und wie es sich verändert hat und noch verändern wird im Laufe der Jahrhunderte.

Über Letzteres kann natürlich nur spekuliert werden, aber wenn man vom Museum aus zum Waldrand hinaufsteigt und in Richtung Egglburger See in die Ebene hinunterblickt, bekommt man einen guten Eindruck davon, wie die Gegend aussah, bevor sie zwischen Straßen und Felder, Bahnlinien und Stadtgebiete sortiert war. "Ganz viel früher ging der Gletscher mal bis hier hin", sagt Linke und deutet von der Anhöhe in die Ebene Richtung Südosten hinein, während Dozentin Hessler mit ihren Kursteilnehmern zwischen den Baumstämmen des Forsts verschwunden ist.

Laubbäume sind es, die an dieser Stelle stehen und das heiße Sonnenlicht filtern - angenehm ist das. Weniger angenehm die Mücken, die über die Gruppe Menschen und die teils nackten Beine und Arme herfallen, als hätten sie auf einen Startschuss reagiert. Die Dozentin erläutert die Funktionen des professionellen Mikros, das sie mitgebracht hat. Doch dann beendet sie den Aufenthalt im Wald zügig: Die Insekten sind lästig und die Geschichten die erzählt werden, sollten erst in der Rohfassung und noch nicht genug bearbeitet, um mit dem Rauschen der Blätter, dem Summen von Bienen in der Wiese oder auch dem Geräusch, das ein Kratzen auf Holz oder das Knacken eines Astes am Boden macht, unterlegt zu werden. Am besten sei es dennoch, so die Dozentin, die Unterhaltungen oder Erzählungen direkt im Wald aufzunehmen, die Atmosphäre mache die Aufnahmen schließlich erst richtig authentisch. "Man hört allein den Unterschied, ob man unter einem geschlossenen Blätterdach steht oder auf einer offenen Wiese."

Ausgedacht haben sich die Erzählungen die Kurs-Teilnehmer selbst - zwei junge Mädchen sind darunter, eine FSJlerin, ein älterer Herr und eine Frau, die wunderbar den bayerischen Dialekt einer Rolle lesen kann, die sich Stadtführer Thomas Warg ausgedacht hat. Auch er gehört zu den Teilnehmern und hat die Geschichte eines jungen Joggers erfunden, der durch ein Zeitloch fällt und ein Kind trifft, das aus einem armen Bauernhof stammt. In der nächsten Szene sieht er es als alte Frau wieder. Bei früheren Treffen des Kurses war der Rahmen für die Erzählungen festgelegt worden, wurden Ideen gesammelt, dann sind erste Teilstücke der Geschichten entstanden. Zeitreisen, in denen Menschen aus früheren Jahrhunderten auf moderne Menschen treffen - und natürlich auch umgekehrt -, sollen in allen Files eine Rolle spielen und die Veränderungen klarmachen, die der Wald und das Land erfahren haben. Kurze Erzählungen sollen das am Ende sein, jede ein paar Minuten lang und nicht unbedingt hoch anspruchsvoll, sondern so, dass auch Kinder sie verstehen können. Da kann sich dann schon mal Rudi Reh mit einer Fichte unterhalten.

Wenn der Walderlebnispfad eröffnet ist, sollen Tafeln an verschiedenen Stellen auf die dort verorteten Geschichten hinweisen, die per QR-Code unmittelbar aufs Handy übertragen werden. Und wer ganz still ist, wenn er ihnen lauscht, hört sie vielleicht, die Zeit früherer Jahrhunderte.

© SZ vom 27.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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