Kunst:Sehnsuchtsort Krankenhaus

Eigentlich wies der Weg von Omer Fast klar Richtung Hollywood. Doch der Videokünstler schätzt seine Freiheit - und zeigt lieber im Salzburger Kunstverein seine verstörende neue Arbeit.

Von Catrin Lorch

Es ist ein diesiger Tag, als die Skifahrerin - allein - in den Sessellift gleitet. In ihrem leuchtenden Sportanorak hebt sie sich ab vom hellen Grau des Winterhimmels und der verschneiten Landschaft. Als sie ihren Handschuh verliert, bückt sie sich reflexhaft. Und dann ist er plötzlich da: ein orthodoxer Jude mit hohem Hut und schwarzem Mantel, Bart und Schläfenlocken. Und er beginnt zu erzählen, eine lange, eigenartige Geschichte, die davon handelt, wie vor langer Zeit ein Goldschmied zu Reichtum kam, weil er einem Dämon verfiel, der ihn in Gestalt einer schönen Frau zum täglichen Beischlaf verpflichtete.

Das alte jüdische Märchen - dessen Szenen wie ein Spielfilm in das Winter-Video geschnitten sind - wirkt deplatziert, man kann gut verstehen, dass die Skiläuferin keine Lust auf diese Art von Small Talk hat. Vor allem die saftigen Stellen, bei denen der Schauspielerin die künstlichen Brüste aus dem Ausschnitt ihres kostbaren Kleides zu quellen scheinen. Aber der Mann hört nicht auf zu reden, blickt durch sie durch, als sie ihn bittet aufzuhören und setzt unverdrossen wieder an. Als die Frau ihm den Hut vom Kopf reißt und damit droht, diesen fortzuwerfen, setzt bei ihm Nasenbluten ein, rot trieft es in seinen Bart und irgendwann fällt ihr der Hut auch noch in den Schnee.

Omer Fast, The Invisible Hand

Auch die Videoarbeit „The Invisible Hand“ von Omer Fast setzt sich mit dem jüdischen Märchen über die menschliche Gier auseinander, das „Der Oylem iz a Goylem“ zum Ausgangspunkt hat.

(Foto: Omer Fast)

Man glaubt, die 24 Minuten des Videos "Der Oylem iz a Goylem" kaum aushalten zu können, die Omer Fast im Auftrag des Salzburger Kunstvereins produziert hat. Zumal die Geschichte an dieser Stelle noch nicht zu Ende ist: Am Abend beginnt die zutiefst verstörte Frau sich in ihrer Ferienwohnung ihre blonden Haare zu Schläfenlocken zu drehen, posiert in Funktionswäsche und Hut vor dem Spiegel, getrieben von der Erinnerung an den Vorfall, vor allem an die Geschichte. Es ist dann an ihr, das jüdische Märchen zu Ende zu erzählen: wie der Goldschmied, den seine Frau im Bett mit der Dämonin ertappt hat, am Ende auf einer Brücke zwei winzigen Särgen hinterherblicken muss, von denen es heißt, sie enthielten die Leichen seiner Kinder.

Seit "Spielberg's List" gehört Omer Fast zu den bedeutendsten Künstlern überhaupt

Wer sich an die berühmten Werke des im Jahr 1972 in Jerusalem geborenen Omer Fast erinnert, ist zumindest befremdet von der kalt beobachteten und gleichzeitig kitschig ausgemalten Geschichte. Werke wie "5000 Feet is the Best" (2011) sind weltberühmt und wurden bei Ausstellungen wie der Biennale von Venedig im großen zentralen Saal der Hauptausstellung gezeigt. "5000 Feet is the Best" handelte vom Drohnenkrieg, von der Distanz und Einsamkeit dieses zeitgenössischen Tötens. Wie andere, epochale Werke von Omer Fast nahm es Bezug auf die Rezeption eines Publikums, das mit Hollywood-Filmen aufgewachsen ist, mit Historien-Filmen und den Fernseh-News. "Spielberg's List" (2003) ist in dieser Hinsicht unübertroffen, das Video schneidet Aufnahmen vom Drehort des Films "Schindlers Liste" zusammen mit Interviews, in denen sowohl Holocaust-Überlebende, als auch Komparsen und Darsteller ihre Erinnerungen schildern. Erzählte und erlebte Geschichte, die von Regisseuren inszenierten Bilder und die Rhetorik der NS-Vernichtungsmaschinerie griffen gefügig ineinander.

Seither gehört Omer Fast zu den bedeutendsten Künstlern überhaupt. Dass er nach einer Spielfilmversion seiner Videoarbeit "Continuity" im Jahr 2015 den Hollywood-Film "Remainder" vollendete - der von der Kritik durchaus gelobt wurde - schien fast zwangsläufig, weil auch Künstler wie Steve McQueen mit Hollywood kokettierten, die Arbeit als Regisseur wie ein Aufstieg wirkt. Doch nach den langen Dreharbeiten und dem komplizierten Schnitt des Spielfilms "Remainder" war Omer Fast entschlossen, einen anderen Weg zu einzuschlagen: Der Aufwand und die Absicherungen der Spielfilmindustrie schnürten ihn ein, vor allem im Vergleich zu den Freiheiten, die er als Videokünstler genießt. Dass man eine poetische Idee wie die der Umsetzung eines alten jüdischen Märchens, auch in wenigen Wochen fertigstellen kann, lag ihm mehr. Im Salzburger Kunstverein konnte man jetzt die Premiere eines Werks feiern, das erst im März gedreht wurde.

Omer Fast. Der oylem iz a goylem

Ganz offensichtlich nicht aneinander interessiert: Die Protagonisten in Fasts Video „Der Oylem iz a Goylem“.

(Foto: Omer Fast)

Dass es die zweite Version der gleichen Geschichte ist, die der Künstler fast spielerisch noch einmal aufgenommen hat, wäre in Hollywood gleichfalls undenkbar. "The Invisible Hand", gedreht im vergangenen Jahr, spielt allerdings in China, die Erzählerin ist ein kleines Mädchen, dessen Vater es nach der Begegnung mit einem Dämon zu Reichtum gebracht hat. Auch diese Fabel läuft auf die Moral hinaus, dass die Gier der Eltern von der nächsten Generation bezahlt werden muss - mit dem Tod in "Der Oylem iz a Goylem", oder indem sie an einem Fluch zu tragen hat -, auch wenn der Auftritt des chinesischen Dämons in klassischem Gewand und weißer Maske bei einer Hochzeit noch deplatzierter wirkt, als die Erscheinung des Orthodoxen im Skilift.

Diesen Gegensatz übersteigert das Setting, in dem die Filme präsentiert werden, noch einmal monströs. Der Salzburger Kunstverein ist nämlich in eine Folge von Fluren, Wartesälen und Behandlungsräumen umgebaut worden, es gibt Labore und einen Wartesaal als sei man in einer Klinik; die VR-Brillen für "The Invisible Hand" wird den Besuchern vor einer Behandlungsliege ausgehändigt. Noch lieber hätte Omer Fast seine Filme in einem Krankenhaus gezeigt, "aber sie hatten Wichtigeres zu erledigen" schreibt er bedauernd im Begleitheft. Für seine letzte New Yorker Schau hatte er die Räume seiner Galerie in einen schrammeligen Asialaden verwandelt. Der Künstler Omer Fast hat sich vom Kino, vom Glamour und der überwältigenden Wirkung seiner perfekten Breitwandinszenierungen verabschiedet. Die verschrobenen Fabeln, die man im Salzburger Kunstverein verabreicht bekommt wie eine Behandlung, sind aber womöglich noch verstörender. Ihr Geruch hängt beim Verlassen in den Kleidern wie Desinfektionsmittel, wie Skiwachs oder Leukoplast.

Omer Fast. Der Oylem iz a Goylem, bis zum 6. Oktober im Salzburger Kunstverein.

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