Mord in Berlin:Wie im Kalten Krieg

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Polizeitaucher suchen in der Spree nach Beweisen. (Foto: Paul Zinken/AFP)
  • Im Fall des am Freitag in aller Öffentlichkeit in Berlin mit zwei Kopfschüssen getöteten Tschetschenen sind nach wie vor viele Fragen offen.
  • Weil der Täter aus Moskau einreiste und auch bereits ein Rückflugticket besaß, ist die Spionageabwehr in die Ermittlungen eingebunden.
  • In Berlin werden Erinnerungen an den Kalten Krieg wach, bisher will sich niemand auf eine Schuldzuweisung gegenüber Russland festlegen - auch, weil auch andere Erklärungen in Betracht kommen.

Von Florian Flade und Ronen Steinke, Berlin

Hat ein russischer Geheimdienst mitten auf der Straße und am hellen Tag in Deutschland einen politischen Gegner liquidieren lassen? In Berlin werden böse Erinnerungen an den Kalten Krieg wach, seitdem am Freitag ein Mann mit zwei Schüssen aus nächster Nähe erschossen worden ist, mit einer Pistole mit Schalldämpfer, Typ Glock 26, Kaliber 9 Millimeter. Der Tatverdächtige, beinahe auf frischer Tat von der Berliner Polizei gefasst, sitzt seither in Untersuchungshaft.

Weil dieser Verdächtige erst kurz vor der Tat aus Moskau eingereist war und offenbar auch schon das Ticket für seinen Rückflug besaß, ist nicht nur die Kriminalpolizei, sondern auch die Spionageabwehr der deutschen Verfassungsschutzämter in die Aufklärung eingebunden. Ein gutes Jahr nach dem Giftanschlag auf den russischen Geheimdienstüberläufer Sergej Skripal im englischen Salisbury ist die Politik alarmiert. Niemand möchte den Fehler machen, sich vorschnell auf eine Schuldzuweisung gen Moskau festzulegen. Auch deshalb, weil bislang ebenso andere Erklärungen in Betracht kommen.

Das 41 Jahre alte Opfer gehört einer muslimischen Minderheit in Georgien an

Das Opfer, der 41 Jahre alte Zelimkhan K., ist von seiner Vergangenheit eingeholt worden, so viel scheint klar zu sein. Erst 2015 reiste er nach Deutschland ein, er stammte aus einem Dorf im Pankissi-Tal in Georgien und gehört zur Volksgruppe der Kisten, das sind muslimische Tschetschenen, die in Georgien leben. In den Tschetschenienkriegen von 1999 bis 2009 soll er nach Erkenntnissen der deutschen Sicherheitsbehörden auf Seiten der tschetschenischen Separatisten gegen das russische Militär gekämpft haben, als Anhänger der Rebellengruppe "Kaukasisches Emirat".

Dabei war der Mann offenbar eine bedeutende Figur, so habe er als Vermittler zwischen georgischen Anti-Terror-Einheiten und Islamisten bei einer Geiselnahme in der Lopota-Schlucht eine Rolle gespielt. Auch nach seiner Flucht nach Deutschland soll ihn deshalb der russische Geheimdienst FSB im Blick behalten haben. So hatte der FSB den Deutschen nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR immer wieder Hinweise gegeben: Achtung, der Tschetschene unterhalte weiter Kontakt zu Terroristen im Kaukasus.

Zur Vergangenheit von Zelimkhan K. gehört aber auch, dass es Hinweise auf eine Verwicklung in organisierte Kriminalität gab. Nachdem sein Asylantrag am 1. März 2017 abgelehnt worden war, lebte er mit seiner Frau und den fünf Kindern zwischen zwei und 17 Jahren in Berlin. Ein gutes Jahr lang, von März 2017 bis 2018, beobachtete das Berliner Landeskriminalamt den Mann als sogenannten Gefährder, dem Anschläge aus tschetschenisch-nationalistischen oder islamistischen Motiven zuzutrauen seien. Danach glaubte man weniger stark an diese Gefahr, behielt ihn aber trotzdem wegen Verbindungen ins kriminelle Milieu im Blick. Wer könnte ihm nun nach dem Leben getrachtet haben? Da gebe es "tausend Möglichkeiten", hieß es am Montag in Sicherheitskreisen.

Der mutmaßliche Todesschütze sitzt in Untersuchungshaft

Der mutmaßliche Todesschütze, der in der Untersuchungshaft die Tat bestreitet und ansonsten schweigt, hat bislang nicht erkennen lassen, wer ihn geschickt haben könnte. Auffällig ist seine Reiseroute. So hat er angeblich Ende Juli in Moskau ein Visum für den Schengenraum beantragt. Sein Flug ging nach Paris, von dort soll er mit dem Zug nach Berlin gekommen sein - wenige Tage vor der Tat. Auffällig ist auch, wie routiniert er offenbar vorging, so wollen zwei Zeugen beobachtet haben, wie der Täter sich am Freitagmittag in der Parkanlage Kleiner Tiergarten auf einem Fahrrad von hinten seinem Opfer näherte, es mit zwei Schüssen niederstreckte und dann rasch weiterfuhr und das Fahrrad sowie die Waffe in die Spree warf.

Laut dem Pass, mit dem der Mann eingereist ist, soll er Russe sein, 49 Jahre alt. Der Name im Pass sagt den Sicherheitsbehörden bislang wenig. In den Datenbanken des Verfassungsschutzes gab es keinen Treffer. Vielleicht ist auch alles gefälscht. Die Behörden prüfen jetzt, ob es sich in Wahrheit um einen Georgier handelt. Und auch Details wie die Frage, wie der Mann es geschafft hat, nach der Tat binnen Minuten seine Frisur zu verändern. Die Polizei hat in der Spree nach einer Perücke gesucht. Taucher haben stattdessen ein Haarschneidegerät aus dem Wasser gezogen.

© SZ vom 27.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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