Angela Merkel:Abschied von der Weltpolitik

Angela Merkel: Hat Angela Merkels Abschied von der Weltpolitik begonnen?

Hat Angela Merkels Abschied von der Weltpolitik begonnen?

(Foto: AFP; Bearbeitung SZ)

Es ist manchmal demütigend für die Kanzlerin: Macron stiehlt ihr die Schau, ihr internationaler Einfluss schwindet. Kann sie wirklich so bis zum Ende der Legislatur weitermachen?

Kommentar von Cerstin Gammelin

Als Angela Merkel beim G-7-Gipfel zur ersten Sitzung erschien, trug sie ein leuchtendes Rot. Es wirkte wie ein Signal der Kampfeslust: Ich, Merkel, bin fest entschlossen, mit Donald Trump über Handelskriege, China und Klimafragen zu reden und für unsere Werte und Interessen zu kämpfen. Wie weit die Bundeskanzlerin damit in der vertraulichen Debatte gekommen ist, wird sich erst noch zeigen. Aber niemand wird ihr nachsagen können, dass sie nicht zumindest alles gegeben hat, um ihre Aufgabe zu erfüllen.

Merkel findet sich zur Halbzeit ihrer vierten Kanzlerinnenschaft in einer neuen Rolle wieder. Die Welt des Liberalismus und der Freiheit, in der sie sich so gut eingerichtet hatte, in der sie als Regierungschefin des globalen Exportgroßmeisters jahrelang den Ton mitbestimmte, gibt es so nicht mehr. Man streitet über Werte, man sortiert sich neu. In Deutschland hat das veränderte Klima die Kanzlerin dazu gebracht, sich selbst ein Ausstiegsdatum zu geben. Sie will nicht wieder antreten zur nächsten Bundestagswahl, egal, wann sie stattfindet.

Merkels Abschied von der Weltpolitik hat begonnen

Die Ankündigung hat international für große Aufregung gesorgt. Kaum war Merkel zur Retterin westlicher Werte hochgeschrieben worden, kündigte sie den Abschied an. Die Gewissheit war dahin, dass Merkel weiter amerikanische und französische Präsidenten, Regierungschefs aus Italien, Kanada und Japan kommen und gehen sehen wird; dass sie immer da ist. In Biarritz war zu merken, dass ihr Abschied von der Weltpolitik begonnen hat.

Die Bundeskanzlerin ist politisch geschwächt, beinahe eine lame duck, wie man in Amerika über Präsidenten am Ende der zweiten Amtszeit sagt. Das Fatale an der Situation ist, dass gleichzeitig sehr viel Arbeit zu erledigen ist. Syrien, Iran, die Ukraine, Libyen, überall gibt es Krisen, die nach Europa ausstrahlen. Die deutsche Wirtschaft ist alarmiert wegen sinkender Auftragseingänge; die Ursachen dafür sind vor allem politische, was zwar den Vorteil hat, dass man sie leichter beheben kann. Die Frage ist nur, ob Merkel das noch selbst in die Hand nehmen soll - oder sich schon selbst im Weg steht.

Am Willen, den Nachlass zu regeln, fehlt es Merkel nicht. Sie hat eine potenzielle Nachfolgerin aufgebaut; sie versucht, mit den umtriebigen Präsidenten im Weißen Haus und im Élysée auszukommen; sie bereist Afrika, um die Migration zu begrenzen; sie bemüht sich um stabile Beziehungen zu China. Und natürlich kümmert sie sich um Europa. Das Problem aber ist: Nichts davon geht gerade richtig auf.

Eingeklemmt zwischen Macron, Trump und Xi

Die Beziehungen mit Frankreich waren selten so angespannt wie jetzt. Präsident Emmanuel Macron ist sichtlich ermüdet von den vergeblichen Bemühungen, die Deutschen ins Boot zu holen; er hat allein weitergemacht - mit Erfolg. In Biarritz war es für Merkel beinahe demütigend, dass Amerikaner und Franzosen einen Kompromiss für die umstrittene Digitalsteuer verkündeten. Paris hatte Berlin umworben, mit dieser Steuer gemeinsam in den Europawahlkampf zu ziehen; ein großes Projekt für Europa. Die Deutschen aber kuschten aus Sorge vor Trumps Zorn. Beim G-7-Gipfel zeigte sich nun, dass Macron beides gelungen ist. Er hat die Steuer eingeführt und das Einverständnis von Trump organisiert. Und, viel wichtiger: Er hat es sogar geschafft, dass sich Trump im Atomkonflikt mit Iran zumindest gesprächsbereit zeigt.

Merkel dagegen hat nicht nur einen Berg von Problemen vor sich, sondern ist noch dazu eingeklemmt zwischen Macron, Trump und Chinas Staatschef Xi Jinping. Die USA sind Deutschlands größter Exportmarkt für Autos, China ist der zweitgrößte Handelspartner überhaupt. Zwischen beiden Staaten tobt ein Handelskrieg, in dessen Sog deutsche Unternehmen gezogen werden. Real ist auch die Gefahr, dass Macron beim angestrebten Freihandelsabkommen der Europäer mit den USA weitermacht wie jetzt in Biarritz - auf eigene Rechnung. Macron will auf keinen Fall die Landwirtschaft für US-Produkte öffnen - was Trump aber zur Bedingung macht. Ohne Landwirtschaft aber gibt es keine Verhandlungen. Und ohne Verhandlungen drohen Autozölle. Was tun? Die Kanzlerin beantwortet solche Fragen gern mit dem Satz, sie wolle so arbeiten, dass alle profitieren. Aber wen hat sie noch als Verbündeten an ihrer Seite?

Das größte Problem ist wohl, dass Merkel mit ihrer Art, Politik zu machen, nicht mehr durchdringt. Selbst wenn man einräumt, dass Trump und Macron als riesige männliche Egos erscheinen, die mit großen Gesten Symbolpolitik betreiben - entscheidend ist etwas anderes: Merkels systematischer Ansatz, die großen Probleme in viele kleinere zu zerlegen und nacheinander abzuarbeiten, braucht Zeit. Das hat so lange funktioniert, wie sie unangefochten im Zentrum der Macht sitzen konnte. Indem sie angekündigt hat, aus der Politik auszusteigen, hat sie ihre Zeit selbst begrenzt. Seither steht sie immer wieder aufs Neue vor der Frage, ob sie es wirklich für verantwortbar hält, so bis zum Ende der Legislatur weiterzumachen.

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G7 summit in Biarritz

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