Pfingst-Unwetter:Die Unruhe nach dem Hagelsturm

Pfingst-Unwetter: Die Fassade des Hauses von Konstanze Dietl an der Weißensteinstraße ist am Pfingstmontag von Hagelkörnern zerschossen worden. Die Hausbesitzerin konnte die Schäden bis heute nicht beheben lassen.

Die Fassade des Hauses von Konstanze Dietl an der Weißensteinstraße ist am Pfingstmontag von Hagelkörnern zerschossen worden. Die Hausbesitzerin konnte die Schäden bis heute nicht beheben lassen.

(Foto: Robert Haas)

Am Pfingstmontag richtete ein schweres Unwetter im Münchner Westen große Schäden an. Seitdem warten Betroffene auf die Reparaturen. Doch Versicherungen und Handwerker sind überlastet.

Von Andreas Ostermeier und Jakob Wetzel

Am Ende hatten sie beim Roten Kreuz in Germering doch noch Glück: Sie haben Handwerker gefunden, die endlich ihre Rettungswache an der Augsburger Straße reparieren. Hagelkörner haben am 10. Juni, dem Pfingstmontag, Löcher in die Kunststoffteile der Tore und selbst in die Wände der Wache geschlagen. Die Feuerwehr zählte alleine in Germering mehr als 250 Einsätze wegen des Pfingsthagels. Wochenlang wartete das Rote Kreuz danach auf eine Reparatur. Und wenn nun nicht das Nebengebäude saniert würde, so dass Handwerker ohnehin vor Ort sind, sie würden wohl immer noch warten.

So wie Konstanze Dietl. Deren Haus an der Weißensteinstraße in München-Neuaubing wirkt von Westen betrachtet, als verfiele es seit Jahren, dabei sind die Schäden nur zweieinhalb Monate alt. Der Hagel hat die Schindelfassade durchlöchert, die Fensterläden ramponiert und die Scheiben durchschlagen. Dietl hat sie bis zur Reparatur mit Holzplatten abgedeckt. Nur eben diese Reparatur ist nicht in Sicht.

Dabei ist Dietls Problem noch nicht einmal, dass sie keine Handwerker findet; sie erzählt vielmehr von einem Gezerre um Gutachten mit ihrer Versicherung, der Versicherungskammer Bayern (VKB). Von ihr fühlt sie sich hingehalten. Es sei absurd, dass sie ihr Haus immer noch nicht reparieren lassen könne, sagt sie. "Die Fenster sind völlig zerstört, und wir fürchten uns vor jedem neuen starken Regen." Wenn kein Wunder geschehe, ziehe sich dieser Zustand bis in den Winter.

Zweieinhalb Monate sind vergangen, seit am Pfingstmontag ein schwerer Hagelsturm im Allgäu und im Münchner Westen gewütet hat. Doch die Mehrzahl der Betroffenen kämpft noch immer mit den Folgen. Denn die Schäden sind erheblich schwerer als anfangs gedacht. Wie groß sie insgesamt sind, lässt sich immer noch nicht abschließend feststellen. Der Branchenverband GDV meldete, deutsche Versicherungen müssten etwa 650 Millionen Euro zahlen. Doch diese Zahl stammt von Mitte Juni, eine aktuellere gibt es nicht. Und die VKB etwa, der regionale Marktführer unter den Versicherungen, musste ihre Zahlen mehrmals nach oben korrigieren. Kurz nach Pfingsten meldete sie etwa 30 Millionen Euro Gesamtschaden. Mittlerweile aber spricht sie von Schäden bei ihren Kunden in Höhe von 110 Millionen Euro. Die HUK Coburg, Deutschlands größter Auto-Versicherer, beziffert den an Autos und Gebäuden ihrer Kunden entstandenen Schaden auf etwa 90 Millionen Euro, die Allianz, die größte deutsche Versicherung, spricht von 190 Millionen Euro.

Das Pfingstunwetter sei ein "sehr großes Schadensereignis" gewesen, "sehr regional, aber dort sehr heftig", sagt ein Sprecher der Allianz. Für die VKB wiederum sei der Hagel das "mit Abstand größte Unwetterereignis" seit dem verheerenden Hagel von 1984 gewesen, sagt Christian Krams vom Vorstand der VKB. Wie schwer das Unwetter war, werde dabei öffentlich kaum wahrgenommen - wohl weil weniger Menschen betroffen waren und sind als etwa bei einem Sturm. Ebenso registriere kaum jemand, dass die Wetterlage seither außergewöhnlich instabil sei. Es habe immer wieder weitere Stürme und Hagelschläge gegeben. Die ganze Branche beobachte seit Jahren, dass Naturgefahren zunähmen.

Pfingst-Unwetter: Die Rettungswache des Roten Kreuzes in Germering wird jetzt saniert; an den Türen sind noch Schäden zu sehen.

Die Rettungswache des Roten Kreuzes in Germering wird jetzt saniert; an den Türen sind noch Schäden zu sehen.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Für die Versicherten heißt das, dass womöglich die Beiträge steigen. In den Verträgen stehe eine Anpassungsklausel, erklärt Krams; die Risiken und die Höhe der Beiträge würden deshalb regelmäßig überprüft. Es sei aber nicht geplant, den Umfang der versicherten Schäden einzuschränken.

Speziell beim Pfingstunwetter sind dabei laut VKB vor allem die Schadenssummen ungewöhnlich hoch gewesen. Es gebe zahlreiche Schäden in Höhe von mehr als 100 000 Euro und mehr als 100 Schadensfälle im Bereich von 50 000 bis 100 000 Euro, sagt Krams - deutlich mehr als die Versicherung erwartet hatte. Beigetragen habe dazu, dass die Hagelkörner mit bis zu sieben Zentimetern sehr groß gewesen seien; noch dazu habe der Wind die Körner seitlich gegen die Häuser geschleudert. "Vielfach sind komplette Häuserfassaden sowie teilweise Verbundglasscheiben und Schiebedächer von Autos zerschlagen worden", sagt Krams. Das sei eine neue Dimension.

Zusätzlich teuer ist es, weil ein Hausbesitzer seine Fassade nicht einfach reparieren lassen darf, sobald sie zu mehr als einem Zehntel zerstört ist. Die neue Fassade muss dann vielmehr den aktuellen Energiespar-Richtlinien genügen. Bei älteren Häusern heißt das, dass die Fassade komplett neu errichtet werden muss. Rund um Germering gebe es eine ganze Reihe solcher Fälle, sagt Krams.

Um der Schäden Herr zu werden, haben Versicherer wie die VKB, die HUK Coburg oder auch die Allianz Besichtigungszentren eingerichtet, zu denen ihre Kunden mit ihren beschädigten Autos fahren konnten. Gemeinsam mit der Allianz und dem ADAC habe man darüber hinaus ein weitläufiges Netz von Werkstätten geknüpft, in denen die eigenen Kunden bevorzugt behandelt würden, erklärt die VKB. Analog hat der Versicherer etwa 30 Kooperationen mit Handwerkern abgeschlossen, damit seinen Kunden rasch geholfen wird.

Pfingst-Unwetter: Kurz nach dem Hagelschlag wurden viele Dächer provisorisch gesichert.

Kurz nach dem Hagelschlag wurden viele Dächer provisorisch gesichert.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Doch in der Praxis dauert trotzdem manches etwas länger. Die HUK etwa sah sich zuletzt Kritik ausgesetzt, sie komme mit der Schadensaufnahme nicht hinterher. Es habe in der Telefon-Hotline Engpässe gegeben, bestätigt ein Sprecher. Die HUK habe kurzfristig die Zahl der Mitarbeiter am Telefon aufgestockt, der Normalzustand sei aber immer noch nicht ganz eingekehrt. Und wer bei der VKB einen Schaden melden will, der hört derzeit diese Bandansage: "Aufgrund der Unwetter ist der Schadensservice sehr stark ausgelastet. Bitte gehen Sie davon aus, dass es in den nächsten Wochen zu längeren Bearbeitungszeiten kommen kann."

Die Versicherer beteuern dennoch, es gehe gut voran. Bei der Allianz heißt es, fast alle Schäden an Autos seien mittlerweile abgearbeitet, und man habe auch nahezu alle beschädigten Häuser besichtigt. Die Reparaturen freilich zögen sich hin, das habe man nicht in der Hand. Und es gingen auch nach wie vor neue Schadensmeldungen wegen des Pfingstunwetters ein. Das sei normal: Gerade bei kleineren Schäden, etwa bei kaputten Markisen, würden sich Hausbesitzer häufig erst später melden.

Die VKB räumt ein, dass von 40 000 wegen des Pfingstunwetters eingegangenen Schadensmeldungen 15 000 noch von der Versicherung bearbeitet würden. Doch Vorstandsmitglied Krams versichert: "Wir haben alle im Blick. Wir wollen nicht, dass ein Kunde lange warten muss." Die Abteilungen täten ihr Bestes. "Einige Mitarbeiter haben wegen des Hagels ihren Urlaub ausfallen lassen oder verkürzt."

Insgesamt gehe die Bearbeitung sogar schneller voran als bei anderen, kleineren Unwettern, sagt Krams. So seien unter den Kunden der VKB bereits 50 bis 60 Prozent der Schäden an Autos abschließend geklärt oder behoben. Bei Gebäuden seien es 25 bis 30 Prozent, darunter freilich viele kleinere Schäden. Die großen Fälle zu reparieren werde noch dauern, sagt Krams. "Dieses Unwetter wird uns noch mehrere Monate lang beschäftigen. Nicht nur uns als Versicherung, sondern auch unsere Kunden und die Handwerker, die mehr als ausgelastet sind."

Pfingst-Unwetter: Bei Dachdeckern herrscht Hochbetrieb.

Bei Dachdeckern herrscht Hochbetrieb.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Tatsächlich bringt das Pfingstunwetter bis heute die Dachdeckerbetriebe in der Region an ihre Grenzen. Beispielhaft ein Anruf bei der Firma Knodel in Germering: Dort sind die Mitarbeiter nur noch bis elf Uhr vormittags zu sprechen. Danach teilt eine Bandansage mit, wegen der vielen Aufträge wegen des Hagelunwetters sei das Telefon nicht mehr besetzt. Bei anderen Firmen ist es ähnlich. Hilda Hromadka leitet die Geschäftsstelle der Dachdeckerinnung von München und Oberbayern. Sie erzählt, dass Hausbesitzer in ihrer Not bei ihr anfragen würden, ob sie einen Betrieb kennt, der noch Kapazitäten habe. Sie rate dann, auch weiter entfernt nach Firmen zu suchen. Die Betriebe in München und Umgebung hätten alle Hände voll zu tun.

Zu den Geschädigten in Germering gehört auch die Feuerwehr. Seit Pfingstmontag tropfe bei jedem Regen Wasser ins Büro, heißt es dort. Die Hagelkörner haben Dachziegel zerschossen, und der Schaden konnte bis heute nicht beseitigt werden. Alfons Ritt von der Stadt Germering sagt, das Dach werde in der zweiten Septemberwoche repariert. Früher gehe es nicht. Die Aufnahme des Schadens durch die VKB sei zwar zügig verlaufen, sagt Ritt. Eine Firma, die den Schaden beheben werde, sei auch bereits gefunden. Doch bis deren Dachdecker kommen können, dauert es eben. Sie haben einfach zu viele Aufträge.

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