Philipp Ruchs neues Buch:Hilfloser Stress

Aktion vom 'Zentrum für Politische Schönheit'

Philipp Ruch im Dezember 2018.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
  • "Schluss mit der Geduld" heißt das neue Buch von Philipp Ruch, Gründer des "Zentrums für politische Schönheit".
  • Ruch ist für Mitmenschlichkeit, die er mit Provokation und Radikalität erreichen will - und einem Selbstbild nahe dem Größenwahn.

Von Johan Schloemann

"Aggressiver Humanismus" - diese Formel sagt eigentlich schon alles. Auf sie bringt der Aktionskünstler Philipp Ruch, der Kopf der Gruppe "Zentrum für Politische Schönheit", sein Tun und Denken.

Aggressiver Humanismus, das ist das riesige Strategieproblem, das sich in Ruchs neuem Buch "Schluss mit der Geduld" ausdrückt. Das gute, aufrichtige Ziel ist mehr Mitmenschlichkeit. Die Methode aber ist: die Radikalität der extremen Rechten durch radikale Sprache und krasse Symbolik reizen; bürgerkriegsartiger Aufheizung mit einer "Macht der Fantasie" begegnen, die selbst von bürgerkriegsartiger Aufheizung schwer zu unterscheiden ist.

Philipp Ruch, das belegen diese 190 Seiten atemloser Appell-Prosa in signalfarbenem Einband, glaubt ernsthaft, man könne demokratische Vernunft durch demonstrativen Rigorismus erzwingen. Dies führt zu ständigem Übertouren. Vier Beispiele dafür. Erstens enthält sein Buch Passagen der Selbstheroisierung, die nah am Größenwahn sind: "Es steht schlecht um den Humanismus. Seit zehn Jahren kämpfe ich gegen seine Vernichtung. Das Zentrum für Politische Schönheit ist zum moralischen Widerstand in der Republik mutiert." Oder an anderer Stelle: "Jede Tugend braucht ihren Homer, der sie besingt. Ich möchte deshalb zuletzt das Lied anstimmen auf die Ächtung." (Hervorhebung vom Autor, der überhaupt viel hervorhebt.)

Zweitens bringt Philipp Ruch als Mittel des Kampfes gegen Verschwörungstheoretiker eine eigene Verschwörungstheorie ins Spiel: Bei den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht von 2015/16 in Köln und andernorts könnte es sich, so vermutet er, um eine inszenierte Aktion im Auftrag der russischen Regierung gehandelt haben.

Drittens entwirft Ruch über Seiten ein Szenario der nahen Zukunft, in dem paramilitärische Terrortruppen der AfD dieser den Weg zur Macht in Berlin gewaltsam bereiten, wofür der Bundeskanzler und Koalitionspartner Jens Spahn als Steigbügelhalter dient. Die heutige Lage der Nation setzt Philipp Ruch dabei mit dem Ende der Weimarer Republik gleich, ohne auch nur eine Sekunde über die historischen und soziologischen Unterschiede nachzudenken. Und viertens vergleicht er die politischen Talkshows im Fernsehen, weil man sich in der Tat oft über sie ärgern kann, gleich mal mit der Propaganda von Joseph Goebbels; eine Maischberger-Sendung sei ebenso schlimm für die Demokratie wie der Völkische Beobachter.

Es macht eher traurig als verärgert, das alles zu lesen, weil es statt der beabsichtigten Ermutigung eine lautstarke Hilflosigkeit vorführt, eine Hilflosigkeit gegenüber den aktuellen Risiken der Demokratie und gegenüber der Mobilisierung von Ressentiments. Während Philipp Ruch zwischendurch Werbung für das "Zentrum für Politische Schönheit" mit der Behauptung macht, dieses sei mit seinen kontrafaktischen Aktionen gegen die AfD und gegen den Umgang mit Flüchtlingen "der mit Fiktionen bewaffnete Arm der Aufklärung", hat sein Buch leider überhaupt nichts Aufklärerisches. Es ist vielmehr - dem eigenen Postulat "Wörter sind das Besteck des Denkens" zum Hohn - ein wildes, assoziatives, erkenntnisarmes Pamphlet ohne jede Einführung oder Hinführung, ein aufgepeitschtes Textmeer, in dem man wie in einem überlangen Facebook-Post immer wieder unversehens zwischen Medienkritik, dem Zustand der SPD oder dem Jahr 1932 hin- und hergeworfen wird. Für "Schluss mit der Geduld" müssen Leserinnen und Leser daher einiges an Geduld aufbringen, um bis zum Schluss zu gelangen.

Dabei ließen sich aus diesem Gewoge ja durchaus auch richtige, bedenkenswerte Ansichten bergen. Etwa diese: Moralische Abstumpfung gegenüber Ertrinkenden, Opfern von Hunger und Krieg dürfen wir nicht zulassen. Die Medien sollten weniger mit Politikern und mehr über Politik reden. (Ein Standpunkt, den ähnlich die gerade erschienene Streitschrift "Talkshows hassen" von Oliver Weber vertritt.) Die Polizei hätte in Chemnitz vielleicht Wasserwerfer einsetzen sollen, als Neonazis den Hitlergruß zeigten. Das öffentliche Reden mit rassistischen Rechten macht diese stärker, solange man mit ihren menschenfeindlichen Ansichten zu nachsichtig umgeht.

"Machen wir Stress!"

Wie aber schafft man Besserung? "Demonstrationen, Mahnwachen, Lichterketten, Online-Petitionen, Twitter-Hashtags oder Eiskübel-Videos müssen wir lernen zu fürchten", schreibt Ruch: "Sie sind die Pest. Sie sind nicht ernst gemeint." Stattdessen will Philipp Ruch nun offenbar - obwohl er viel von Demokratie redet - von der künstlerischen, emotionalen Übertreibung direkt zur Tat schreiten: "Verweigern wir Steuerzahlungen. Besetzen wir Nachrichtensender. Machen wir Stress!" Denn: "Wir stehen in einer Zeit der Schlacht."

Dass Philipp Ruch auf die nervöse, recht instabile politische Lage der letzten Jahre mit einem solchen Machwerk reagiert, ist umso betrüblicher, je mehr falsche Freunde bekommt, wer das "Zentrum für Politische Schönheit" mit Skepsis betrachtet. Selbstverständlich ist auch seine umstrittene Aktionskunst, wenn sie am Rand der Legalität stehen bleibt, von der Kunst- und Meinungsfreiheit geschützt. Dass ein AfD-naher Staatsanwalt in Thüringen wegen des Nachbaus des Berliner Holocaust-Mahnmals nahe dem Wohnhaus des rechtsradikalen Politikers Björn Höcke Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung aufnahm - wie im April dieses Jahres bekannt wurde -, ist unsäglich. Und man versteht gut, dass Philipp Ruchs Langmut begrenzt ist, wenn er auf Todeslisten gewaltbereiter Rechter landet.

Liest man aber "Schluss mit der Geduld", so muss man leider feststellen: Mit seinem brachialen Verständnis von politischer Kunst und seiner entgrenzten Emphase dürfte Philipp Ruch dem Kampf gegen Unvernunft keinen guten Dienst erweisen.

Philipp Ruch: Schluss mit der Geduld. Jeder kann etwas bewirken. Eine Anleitung für kompromisslose Demokraten. Ludwig Verlag, München 2019. 191 Seiten, 12 Euro.

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