Ausstellung im Dachauer Wasserturm:Ein schöner Verhau

In der gemeinsamen Ausstellung "Planetensystem 0.1" von Emanuel Wadé und Daniel Müller geht es um so gut wie alles: um den Himmel, ums Internet und um die eigene Position in einer sich rasant wandelnden Welt. Die beiden Künstler gehen dabei mit einer ungewöhnlichen Bild- und Formsprache zu Werke

Von Gregor Schiegl, Dachau

RAUS

Das Kunstwerk in der obersten Etage isteine verwegeneKonstruktion aus Dachlatten, Gemälden und skulpturalen Elementen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Früher standen in der dritten Etage des Dachauer Wasserturms riesige Wassertanks eingefasst von massiven Betonstützen. Heute ist der Wasserturm ein Ausstellungsort mit sehr, sehr vielen Treppen und einem wunderbaren Ausblick in den Schlossgarten. Die Tanks sind längst verschwunden, aber die alten Betonelemente, die das Gewicht der riesigen Wassertanks stützten, sieht man heute noch. Sie bilden eine Kolonnade, die entlang der Wände um das Zentrum des Raumes führt. Dort steht derzeit ein imposantes Werk der Künstler Emanuel Wadé und Daniel Müller, raumhoch und gut acht Meter lang: eine hölzerne Konstruktion, die Assoziationen mit dem Gerippe eines Schiffskörpers weckt oder auch mit einem Webstuhl.

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Eine vom Computer kolorierte Grafik von Daniel Müller.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Rund zehn Ster Dachlatten haben die beiden zusammengenagelt, verschraubt und bemalt, ein kunstvoller Verhau, durch das sich Taue und ein Netz von Paketschnüren ziehen. Darauf hängen wie auf einer Wäscheleine Gemälde auf Zeitungspapier, Meister Rubens mit Schweinsohr, ein Frauenporträt, irgendein modrig ausstaffierter Perückenmann mit schwarzem Gesichtsbalken. Dazwischen eine abstrakte Arbeit aus grauen Flächen unterschiedlicher Helligkeitsgrade, Eisenoxid und Ölfarbe, eine romantisierte Landschaftsdarstellung und Fähnchen, die allerlei Motive zieren, nur keine heraldischen. Das sieht alles sehr eindrucksvoll aus, schon aufgrund der schieren Größe und des unübersichtlichen Durcheinanders. Aber was ist das überhaupt? Eine Skulptur? Eine Installation? Und worum geht es hier in dieser gemeinsamen Ausstellung von Emanuel Wadé und Daniel Müller?

"Es geht um alles und nichts", erklärt Wadé apodiktisch, und es ist gleichermaßen eine Werks- wie eine Weltbeschreibung: Der Weltraum ist ja auch nichts anderes als ein Alles, das von einem Nichts begrenzt wird, einem Nicht-Raum ohne Zeit. Dass diese Welt, sofern wir von ihr wissen, von einem Menschenwesen nur in äußerst bescheidenem Maßstab erfassbar und zu durchdringen ist, ist natürlich auch den Künstlern klar. Der Titel der Ausstellung "Planetensystem 0.1" klingt wohl auch nicht zufällig wie die Alpha-Version eines kosmologischen Programms, das Wadé und Müller gemeinsam in Szene setzen.

Eine Zeit lang schickten sich Wadé und Müller, die gemeinsam an der Kunsthochschule in München studiert haben, mit dem Malprogramm Paint erstellte Bilder hin und her, die sie bearbeiteten, zum Teil auch wieder übermalten und so erst einmal einen nonverbalen Dialog über ihr jeweiliges Kunstverständnis führten und so auch die Schnittmengen aufzeigten, die Basis zur künstlerischen Verständigung. Man könnte auch sagen: Sie haben sich zuvor erst einmal aufeinander kalibriert.

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Je nach Blickwinkel gibt es unterschiedliche Details zu entdecken wie etwa die aus einem Stück Holz gesägten Arme.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Wer die Ausstellung systematisch ansehen will, sollte im untersten Raum des Wasserturms beginnen, wo Daniel Müller seine Arbeiten in Text und Bild zeigt. Müller fertigt Zeichnungen an, die er von einem selbstgeschriebenen Computerprogramm kolorieren lässt. Mal sind es Schriftzüge, mal Symbole, oft sind sie begleitet von kunterbunt befüllten Schachbrettmustern. Auf einer dunkelblauen Folie versammelt er 1140 Grafiken, die durch ihre einfache, archaische Gestaltung die Anmutung einer bedeutsamen Zeicheninschrift entfalten, irgendwo zwischen archaischen Hieroglyphen und den Piktogrammen auf den Plaketten der interstellaren Raumsonden Pioneer 10 und 11. Schöner Nebeneffekt: Wenn unter Tags die Sonne hinter der Folie durchs Fenster fällt, entwickelt das Tableau eine geradezu sakrale Aura.

Ergänzt werden die Bilder an den Wänden durch Gedichte, die bildstark den kreativen Prozess reflektieren und assoziativ weiterspinnen. Das hört sich dann beispielsweise so an: "Wie blau du auch die Sprache an dich gewöhnst / lila ist nicht gelb und wird nie Kuhmilch sein." Lila Kühe und so, kennt man ja aus der Werbung.

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Emanuel Wadés Figur hat ihr Territorium bereits mit einer Flagge abgesteckt.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Wenn man den Blick zur Wand lenkt, sieht man eine zweiteilige Arbeit Wadés aus weiß lackiertem Holz, der untere Teil besteht aus mehreren hintereinander gereihten Rahmen der untere Rahmen weist Farbstreifen und Kleckser auf, die wie das Versprechen eines Bildes erscheinen, doch umrahmt wird nur der Blick auf die leere Wand. Darüber findet sich eine weiße Holzfläche mit verwischten schwarzen Linien. Da muss mal etwas gewesen sein. Oder auch nicht. Das Suchen, das Finden und das Verstehen-Wollen, das macht auch den Reiz beim Besuch so einer Ausstellung aus.

Es hilft vielleicht zu wissen, dass Wadé sich auch viel mit Architektur beschäftigt. Der 37-Jährige repariert den Stuck bröselnder Kirchen. Derzeit arbeitetet er daran, die verrotteten Zementstalaktiten in der Blauen Grotte des Ludwigs II in Schloss Linderhof zu erneuern. Sowohl die katholische Kirche als auch der bayerische Märchenkönig nutzten ihre Bauten, um die Welt, wie sie diese sahen oder ersehnten, zu inszenieren. Wobei sich Wadé weniger für Schnörkel und Effekte interessiert als für Formen von zeitloser Gültigkeit. Auf zwei verschraubten Laminatplatten zeigt er die Bögen eines Viadukts und das Rund eines Kolosseums: beides Formen, um den Himmel - etwas Ungreifbares - zu manifestieren. Diese Rundbögen als Sinnbild des Himmlischen findet man in Wadés Arbeiten immer wieder.

Finale in den Galerien

Die Kunstwerke der KVD-Freiluftausstellung "Raus" stehen noch bis 13. September im Stadtgebiet Dachau. In den Galerien enden die begleitenden Ausstellungen aber bereits am Sonntag, 1. September. In der Galerie Lochner präsentieren die Künstlerinnen Camilla Nicklaus-Maurer und Eva Zenetti multisensorische Kunst, nämlich Holzmasken mit Geruch. In der KVD-Galerie sind Maria Detloffs "4 Jahreszeiten" zu sehen, eine Lichtinstallation von Denise Hachinger und das "Extravivarium" von Simona De Fabritiis und Stephanie Olszewski. In der Kleinen Altstadtgalerie zeigt der Gastkünstler Robert Weissenbacher aus München unter dem Titel "Transfer" seine expressiven Arbeiten; mit einem historischen Thema beschäftigt sich Klaus Eberlein, er wagt sich "Raus in den ersten Weltkrieg"; die in Japan geborene KVD-Künstlerin Mayumi Yamakawa wiederum zeigt kalligrafisch verfremdete japanische Schriftzeichen: "Goldstern trifft Silbermond". In der Neuen Galerie ist die multimediale Installation "Die Farben des Gartens" von Paul Havermann zu sehen sowie die Schau "house@home" der Dachauer Keramikerin Claudia Flach die dazu Amelia Rosenberg und Eva von Ruckteschell eingeladen hat. In den Programmheften der KVD ist für Sonntag, 1. September, um 19.30 Uhr eine Finissage im Dachauer Wasserturm angekündigt. Sofern das Wetter mitspielt, soll die Veranstaltung nun um 19 Uhr am Tiny Atelier von Anna Dietze stattfinden. gsl

Wadé teilt die Welt in vier Kategorien ein: Muster, Figur, Landschaft und Schiff - wobei ein Schiff auch ein Auto sein kann, ein Haus oder das Raumschiff Erde. Dieses ontologische Raster ermöglicht es, ästhetische und inhaltliche Querverbindung sichtbar zu machen, die in der Kleinteiligkeit der Realität sonst im Verborgenen bleiben. Das schiffsähnlichen Konstrukt ist letztlich auch ein Bild der gesellschaftlichen Wirklichkeit, das Modell einer digital vernetzten Welt, die die Grenzen von Zeit und Raum mehr und mehr in den Hintergrund rücken lässt und die sich dem Betrachter aber auch je nach Standort ganz anders darstellt. Nur aus wenigen Perspektiven sind die beiden ineinander gehängten Hände zu erkennen, die Wadé mit der Kettensäge aus einem einzigen Stück Zwetschgenbaumholz gesägt hat, und man beginnt zu verstehen, wie die expandierende Komplexität unserer Welt zunehmend den Blick auf das Wesentlich-Menschliche verstellt.

"Planetensystem, Version 0.1": Die Ausstellung im Dachauer Wasserturm ist noch bis Sonntag, 1. September, zu sehen. Öffnungszeiten Samstag und Sonntag von 14 bis 19 Uhr.

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