Kleine Altstadtgalerie Dachau:Ausbruchsversuche

In der Kleinen Altstadtgalerie bricht Mayumi Yamakawa mit westlichen Sehgewohnheiten, Klaus Eberlein erinnert an die Opfer des Ersten Weltkriegs und Robert Weissenbacher zeigt hintergründige Pferdegemälde. Alle drei Künstler beschäftigen sich auf ihre Weise mit menschlicher Selbstbestimmung

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Auf den ersten Blick hat das Bild etwas Nostalgisches: Eine offene Kutsche nebst Pferd wartet auf Fahrgäste. Auf den zweiten Blick schleicht sich ein unbehagliches Gefühl ein. Das Pferd schaut nicht gerade glücklich aus, wirkt vielmehr fatalistisch, schicksalsergeben. Ist es ein Gewohnheitstier? Schließlich hat Maler Robert Weissenbacher sein Gemälde "Gewohnheit" genannt. Es hängt derzeit neben einem weiteren überdimensionalen "Ross und Reiter" sowie vier Pferdekopfporträts in der Kleinen Altstadtgalerie. "Transfer" hat Weissenbacher diese kleine Werkschau und die vier Pferdeporträts genannt. Sie ist Teil der großen Jubiläumsausstellung "Raus" der Künstlervereinigung Dachau (KVD) und noch bis diesen Sonntag, 1. September, zu sehen. Die Kleine Altstadtgalerie zeigt zudem Arbeiten von Klaus Eberlein und Mayumi Yamakawa in jeweils eigenen Ausstellungsräumen.

Kleine Altstadt Galerie

Pferde haben den Münchner Künstler Robert Weissenbacher schon als Kind fasziniert. Im eingespannten Zugpferd erkennt sich so mancher Angestellte wieder.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Klaus Eberleins Installation "Raus in den Ersten Weltkrieg" - dominiert von einer Pickelhaube aus Ton mit zwei aufgespießten (tönernen) Friedenstauben - ist ein wenig unglücklich an der Wand platziert, was die Ausstrahlung dieses sehr persönlichen Mahnmals an die Toten des Ersten Weltkriegs etwas trübt. Schließlich lässt sich "Raus in den Ersten Weltkrieg" ebenso gut als Aufruf gegen die derzeitige fast weltweit grassierende verbale und reale Kriegstreiberei verstehen.

Kleine Altstadt Galerie

Mayumi Yamakawa zeigt, wie nur wenige Pinselstriche sich zu ganzen Landschaften formieren können.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Für das ungeübte Auge erscheinen die Kalligrafien von Mayumi Yamakawa sehr reduziert. Doch haben sie gerade deshalb eine ungeheure Anziehungskraft. Lässt sich in diesen wie hingeworfen wirkenden und doch so kunstvoll ausgeführten "Pinselstrichen" eine ganze Welt entdecken: Wasser, Berge, Seen, über den Himmel stürmende Wolken. Die Erklärung ist ebenso einfach wie einleuchtend: Die Arbeiten sind kalligrafisch verfremdete japanische Kanji, also Schriftzeichen, "die mit dem Draußen verbunden sind", wie in der Einladung zur Vernissage zu lesen ist. Sie sind aber auch Motivation, raus zu gehen aus der eigenen festgetackerten Bilderwelt und sich für Neues zu öffnen.

Kleine Altstadt Galerie

Mit einer blutigen Pickelhaube erinnert Klaus Eberlein an die mörderischen Folgen des Nationalismus,

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Das will auch Robert Weissenbacher erreichen. Weshalb Tiere in seinen Gemälden eine ganz besondere Rolle spielen, speziell Pferde. Diese hat er aus einem bestimmten Grund als Sujet für seinen "Raus"-Beitrag gewählt. "Ein Pferd ist ein Tier, das raus will. Es gehört nicht vor einen Karren gespannt", sagt er im Gespräch mit der SZ Dachau. Warum aber ausgerechnet Pferde, wo doch derzeit Katzenvideos der Renner sind? Weil "mich schon als kleiner Junge die Größe eines Pferdes beeindruckt hat", sagt Weissenbacher und weil ihn die Frage beschäftige "Inwieweit lasse ich mich dressieren, und inwieweit breche ich aus?" Womit - das sei ausdrücklich betont - Weissenbacher nicht die zu allen möglichen und unmöglichen Kunststückchen abgerichteten Hunde, Katzen und Pferde meint, sondern den Menschen. Das wird in seinen Arbeiten überdeutlich. Sein Kutschenpferd ist so ein ergebenes Wesen, eines das sich vor den Karren spannen lässt - Weissenbacher liebt solche Assoziationen - das sich nur leise grummelnd gegen Geschirr und Zaumzeug wehrt, aber sich nicht wirklich widersetzt, sei es aus Gewohnheit oder aus Bequemlichkeit.

Weissenbacher will keine Geschichten erzählen, dem Betrachter nichts vorgeben oder gar aufdrängen. "Ich stelle den Rahmen zur Verfügung, in dem kann jeder für sich zum Entdecker werden", sagt er. Seine Rahmen sind Farbe und Leinwand. Er malt mit selbst angerührten Eitempera-Farben. Diese traditionsreiche Rezeptur setzt er ganz bewusst ein. "Das ist für mich ein Gegenpol zur Smartphone-Wisch-Zeit, in der alles schnell, schnell kommt und wieder verschwindet." So gesehen, sei er ein konservativer Künstler, sagt er. "In einem Video und auf einem Bildschirm kann ich niemals diese Ergebnisse erzielen", ist Weissenbacher überzeugt und fährt fast liebevoll die vielen Schattierungen von Schwarz und Braun entlang, die eines seiner Pferdeporträts so lebendig machen.

Vier Stück hat er eigens für die "Raus"-Ausstellung gemalt. Sie sind sozusagen der hängende Beweis für seinen Ansatz von wechselseitigen Mensch-Tier-Verbindungen und vom Rahmen, den die Emotionen des Betrachters mühelos sprengen können. Nicht weil diese Tiere so menschlich wären. Vielmehr weil sie so gut als Projektionsfläche menschlicher Eigenschaften und Verhaltensmuster dienen können. Das gilt auch für das majestätische "Ross und Reiter". Vom Reiter ist nur wenig zu sehen auf diesem fast raumfüllenden Werk. Sie oder er ist hinter einem Farbschleier lediglich zu erahnen. Das Tier dagegen ist stolz, selbstbewusst, springt aus den grellen gelb-orangen Sonnenfarben förmlich heraus. Dieses Tier - oder dieser Mensch? - lässt sich nicht manipulieren, tut, was es oder er oder sie für richtig hält, trägt die ihm auferlegten Lasten freiwillig und mit einer Art selbstverständlicher Würde. Es ist raus aus seiner ihm zugedachten Rolle und könnte als Symbol einer inneren Befreiung stehen.

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