Politik-Analyse:Dokumentar langer Linien

Günter Bannas: Machtverschiebung

Günter Bannas: Machtverschiebung. Wie die Berliner Republik unsere Politik verändert hat. Propyläen-Verlag, Berlin 2019. 336 Seiten, 24 Euro. E-Book: 22,99 Euro.

(Foto: Ullstein Buchverlage)

Der frühere Berlin-Korrespondent Günter Bannas beleuchtet 30 Jahre Bundespolitik nüchtern und doch heiter.

Von Stefan Braun

Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss? So schön und ewigwährend dieser wunderbare Filmtitel aus dem Jahre 1988 klingt - so wenig gab er wieder, was sich an Umbrüchen in dieser Komödie tatsächlich ereignet hatte. Und noch viel weniger passt er als Beschreibung zu dem, was man heute gemeinhin mit der sogenannten Politik verbindet. Hektik, Unruhe und Übertreibungen prägen zu oft das Bild; ergänzt durch eine mediale Begleitung, die mit Zuspitzungen und Beschleunigungen häufig ein noch schnelleres Rad dreht.

Umso bemerkenswerter sind Journalisten wie Günter Bannas. Ausnahmeerscheinungen im Aufgeregtheitsbetrieb der Hauptstadt, die noch viel gegeben haben auf Erinnerung und Einordnung. Berichterstatter also, die zuvorderst von Erfahrung und Gelassenheit gelebt haben. Und zwar gerade dann, wenn andere schon längst wieder einen neuen vermeintlichen oder tatsächlichen Skandal entdeckt hatten. Der frühere Hauptstadtkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat über seine Zeit in Bonn und Berlin nun ein Buch geschrieben. Und wer immer sich danach sehnt, einen klugen Blick auf die Zeitläufte der vergangenen 30 Jahre zu erhalten, wird mit diesem Buch glücklich werden. Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss? Bannas hat es tatsächlich geschafft, sich und seinen Lesern auch in verrückten Zeiten ein bisschen was von diesem Lebensgefühl zu erhalten.

Dabei hat er in seinem Buch die Entwicklungen vom Fall der Mauer bis zum Scheitern der Jamaika-Verhandlungen nicht einfach nacherzählt. Er hat den zum Teil großen Veränderungen durch seinen persönlichen Blick eine kluge Ordnung gegeben. Mal lenkt er den Blick aufs Vorzimmer der Mächtigen, die oft genug viel mächtiger sind, als sich viele das vorstellen würden; mal schildert er, wie sich zwischen einem Kanzler (Gerhard Schröder) und einem Außenminister (Joschka Fischer) ein ungemein spannender Wettstreit der Alphatiere entwickelte, bei dem am Ende trotzdem unverrückbar klar blieb, wer Koch war und wer Kellner bleiben musste.

Die wohl interessanteste Veränderung, die Bannas beleuchtet, ist der Wandel der politischen Kultur. Ein Wandel, den viele vor der wackelig-glücklichen Wahl Angela Merkels 2005 nie für möglich gehalten hätten. Die Kanzlerin verabschiedete die Egomanen und lebt seither einen politischen Stil vor, der vor allem eines ist: unprätentiös und sachorientiert. "Schröders Führungsstil war männlich-dominant", schreibt Bannas. "Merkels Führungsverhalten ist moderierend." Was nur andeutet, wie radikal der neue Stil die Herangehensweise an Amt und Rolle verändert hat.

Günter Bannas ist kein Poet der Politik; er ist ein Dokumentar mit einem heiter-kühlen Blick. Leider sind diese Berichterstatter selten geworden.

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