Kopftücher an Schulen:"Ein Verbot wird der Wirklichkeit nicht gerecht"

Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft

Stoff zum Streiten: Auch viele Lehrer wünschen sich, das der Staat muslimischen Schülerinnen verbietet, im Unterricht ein Kopftuch zu tragen.

(Foto: dpa)

Der Migrationsforscher Hacı-Halil Uslucan erklärt, warum der Konflikt ums Kopftuch an Schulen sich nicht durch staatlichen Bann lösen lässt - und wann man doch einschreiten muss.

Interview von Susanne Klein

Das islamische Kopftuch bietet immer wieder Anlass zum Streiten - vor allem dann, wenn Schülerinnen es tragen. Das will die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes verhindern und hat deshalb gerade das Gutachten eines Verfassungsrechtlers vorgelegt. Ein Kopftuchverbot für Schülerinnen unter 14 Jahren wäre mit dem Grundgesetz vereinbar, heißt es dort. Es diene der "Erziehung zur Freiheit", und der Gesetzgeber könne als Erziehungsziel auch die Befreiung aus traditionellen Rollenvorstellungen festlegen. Doch ist das wirklich seine Aufgabe? Und würde es den Schulen bei ihrer Integrationsarbeit helfen, wie Befürworter eines Verbots behaupten? Der Entwicklungspsychologe und Migrationsforscher Hacı-Halil Uslucan bezweifelt das.

SZ: Herr Uslucan, laut Terre des Femmes ist das Kopftuch ein Zeichen von patriarchalischer Indoktrination. Muslimischen Mädchen werde von klein auf ein rückständiges Frauenbild eingeimpft, bis sie sich, vorgeblich freiwillig, für das Kopftuch entscheiden. Trifft das zu?

Hacı Halil Uslucan: Dass es solche Fälle gibt, ist unbestritten. Aber als Erziehungspsychologe weiß ich auch: Jede Erziehung ist Beeinflussung. Linksliberale Eltern oder religiöse Christen beeinflussen ihre Kinder auch. Die Vorstellung, es gebe eine Erziehung, die dem Kind völlig freie Wahl lässt aus lauter gleich guten Möglichkeiten, ist realitätsfremd. Eltern leben das Modell vor, das sie für sich und ihre Kinder für richtig halten.

Was, wenn sie dabei Zwang ausüben?

Da bin ich bei Terre des Femmes: Bei einer Gefährdung des Kindeswohls muss man einschreiten. Das darf man nicht mit religiösen oder kulturellen Motiven entschuldigen. Die Frage ist nur, was ist Druck und was Identifikation? Wenn Kinder wie ihre Eltern sein wollen, spricht das in der Regel für eine gute Beziehung. Ein Eingriff ist nur gerechtfertigt, wenn Eltern nachweislich den kindlichen Willen einschränken. Das ist natürlich nur sehr schwer zu überprüfen.

Mit einem Kopftuchverbot könnte der Staat eine klare Grenze ziehen.

Damit würde er das Thema auf die Zwangsdebatte verkürzen. Das ginge an der Lebenswirklichkeit vorbei. Die Kopftuchfrage ist nicht eindeutig beantwortbar. Aus psychologischer Sicht liegen hier zwei Dimensionen vor: Zum einen die soziale Einbettung in die Familie und ihre Werte, die eine zentrale Ressource für Kinder ist. Zum anderen Emanzipation, Selbstbestimmung, eigenständiges Leben. Beide Aspekte haben Gewicht. Aber je nach Voreinstellung zur Welt kann der eine oder andere Übergewicht bekommen.

Was geschieht dann?

Favorisiert man die familiale Eingebundenheit, kann man sagen: Natürlich haben Kinder ein Recht, in der Wertewelt ihrer Eltern aufzuwachsen. Eltern haben auch ein genuines Recht, Kinder religiös zu erziehen. Gerade bei muslimischen Eltern wird das schnell mal in Abrede gestellt. Doch die liberale Gesellschaft muss religiöse und nicht religiöse Lebensformen gleichermaßen anerkennen. Es kann nicht sein, dass wir nur die Lebensform der Mehrheit zur Norm machen.

Prof. Dr. Haci Halil Uslucan
Zweck: Interview Kopftuchverbot

Hacı-Halil Uslucan, 54, ist Psychologe, Migrationsforscher und Professor für moderne Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen. Er hat die wissenschaftliche Leitung des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung.

(Foto: oh)

Und was geschieht, wenn man die Emanzipationsbestrebungen favorisiert und davon ausgeht, dass das Kopftuch aufgezwungen wird?

Dann kann man sagen: Kopftücher müssen zumindest bis zur Religionsmündigkeit unterbunden werden. Diese Auffassung vertritt Terre des Femmes. Aber auch im Islam gibt es eine breite Debatte über Kopftuchpflicht und Kopftuchfreiheit. Der Islam wird auf vielfältige Weise gelebt, das sieht man schon daran, dass viele Muslima eben kein Kopftuch tragen. Auch deshalb wird ein Verbot der Wirklichkeit nicht gerecht.

Wie stehen Sie persönlich dazu, wenn sehr junge Mädchen, etwa in der Grundschule, Kopftuch tragen?

Das finde ich bedenklich, auch wenn es meines Wissens selten vorkommt. Muslimische Organisationen sollten viel stärker herausstellen, dass das Kopftuch im Kindesalter kein islamisches Gebot ist. Sie müssten sagen, dass Eltern ihre Kinder zumindest bis zur religiösen Mündigkeit, das ist im Islam die Geschlechtsreife, nicht zu religiösen Praktiken wie dem Kopftuchtragen anhalten sollten.

Sie fordern muslimische Gruppen zu liberaleren Ansichten auf?

Die Eingebundenheit des Kindes in die islamische Gemeinde ist wichtig, aber genauso wichtig ist die Frage, wie das Kind für die größere Gemeinde fit gemacht wird. Also für die andersreligiösen oder areligiösen Sphären der Gesellschaft. Die Toleranz, die Muslime von Christen und Andersreligiösen erwarten, muss genauso von ihnen erwartet werden.

Auch zwischen Schülern verursacht das Kopftuch Streit und Ausgrenzung. Manche Lehrer sind des Debattierens müde, sie glauben, Toleranzgebote reichen nicht mehr und fordern ebenfalls ein Verbot.

Die Vorstellung, ein Verbot könne die Schule vor weltanschaulichen Konflikten bewahren, ist irrig. Die Schule ist keine sterile Umgebung, gerade dort muss gelernt werden, Unterschiede zu managen, auch Konflikte mit der religiösen Vielfalt. In der Schule sollten Kinder auf das Leben in der pluralen Gesellschaft vorbereitet werden.

Wäre es nicht gerade deshalb besser, Kinder unter 14 mit dem zugespitzten Thema Kopftuch zu verschonen?

Dann müsste der Staat den Eltern vorschreiben, ihre Kinder bis dahin aufwachsen zu lassen, wie sie wollen, und sie erst dann religiös zu erziehen. Das wäre ja eine fast bürokratische Anschauung der Welt. Kein Mensch sucht sich die Religion im Sinne einer rationalen Wahlentscheidung aus: Mit 14 guck' ich, was es gibt auf dem Sinnmarkt, Katholizismus, Protestantismus, Islam, Buddhismus, Judentum, aah, ich will das.

Trotzdem sind Lehrer zu Recht irritiert, wenn ein Mädchen in der fünften Klasse plötzlich mit Kopftuch im Unterricht sitzt und den Eindruck macht, das war nicht seine Idee.

Natürlich, da wäre ich auch irritiert. In einem solchen Fall sollten Lehrer mit den Eltern sprechen und sie wenn nötig an das Kinderrecht auf Entwicklung zur Selbstbestimmung erinnern. Was Lehrer nicht tun sollten: ein Leben mit Kopftuch abwerten. Ein Leben mit Kopftuch ist genauso gut wie ein Leben ohne Kopftuch.

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