Gillamoos 2019:Ein Volksfest als Wahlnachlese

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Die AfD feiert sich als "Volkspartei", die SPD klagt über "politisches Gaffertum" in Ostdeutschland und die CSU will Klarheit vom Koalitionspartner: Die Auftritte beim Gillamoos drehen sich vor allem um die Landtagswahlen vom Sonntag.

Von Andreas Glas, Johann Osel, Helena Ott, Kassian Stroh und Wolfgang Wittl, Abensberg

Der politische Frühschoppen auf dem Gillamoos-Volksfest im niederbayerischen Abensberg ist ein besonderes Spektakel: In jedem der Bierzelte tritt ein anderer Politiker auf. An diesem Montag stand der Schlagabtausch vor allem im Zeichen der Landtagswahlen vom Sonntag in Brandenburg und Sachsen: Die AfD feierte ihre starken Ergebnisse, die CSU forderte die SPD auf, klar zu sagen, was sie denn eigentlich wolle - und die Grünen spotteten über den neuen Klimakurs von Markus Söder. Die wichtigsten Eindrücke im Überblick:

Gillamoos 2019
:"Wie in der U-Bahn in Berlin"

Kevin Kühnert (SPD) ist ganz überrascht davon, wie es in einem bayerischen Bierzelt zugeht. Die besten Sprüche vom Gillamoos.

CSU-Chef Söder will Klarheit von der SPD

Am Abend wird Markus Söder im Koalitionsausschuss in Berlin sitzen, die Botschaft nach den Landtagswahlen im Osten überbringt der CSU-Chef schon am Montagvormittag am Gillamoos. Gut eine halbe Stunde spricht Markus Söder im Hofbräuzelt. Und den gut 3000 Zuhörern ruft er zu: Wer glaube, man könne jetzt einfach zur Tagesordnung übergehen, "der liegt falsch". Den Erfolg der AfD erklärt Söder auch mit einem Versagen der Bundesregierung. Die Wähler hätten den Eindruck, "man kümmert sich nicht mehr ums Relevante". Die Berliner Politik dürfe nicht ständig um sich selber kreisen, sie müsse sich "endlich den Fragen der Zukunft zuwenden".

Er erwarte endlich Klarheit vom Regierungspartner SPD, wie es weitergehe, sagt Söder. Stattdessen beschäftige sich die SPD mit sich selbst. "Es bewerben sich so viele um den Vorsitz, fast mehr als bei Deutschland sucht den Superstar". Eine Grußadresse schickt Söder ins Nachbarzelt zu Kevin Kühnert: Wer auf Enteignungen setze, dem empfehle er, ein Jahr bei BMW zu arbeiten. "Dann weiß man, wovon man in der Realität spricht." Aber auch für den Freistaat hat Söder eine Botschaft mitgebracht. Die Staatsregierung werde alle Empfehlungen zu den Reformen beim Polizeiaufgabengesetz "eins zu eins" umsetzen, sagt der Ministerpräsident fast nebenbei. Erst am Freitag hatte eine Kommission teils gravierende Änderungen beim umstrittenen Polizeigesetz vorgeschlagen.

Die AfD sieht sich als "neue Volkspartei"

Die Anti-Parteien-Partei: Auch auf dem Gillamoos übt sich die AfD in Abgrenzung zu allen anderen politischen Parteien. (Foto: REUTERS)

Die Linkspartei war schneller - und zwar bei der Reservierung des Schlossgartens, in dem die AfD mittlerweile schon traditionell ihren Frühschoppen abhält. Ein Ausweichquartier auf einer Wiese neben dem Festplatz musste her, und das ist überfüllt. Gut 350 Besucher sind gekommen. Das liegt auch daran, dass die meisten Leute heute eine stolz geschwellte Brust haben: nach dem "Erdbeben" gestern, wie Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner mit Blick auf die Wahlen in Brandenburg und Sachsen sagt, die AfD sei "die neue Volkspartei". Wer hören wolle, wie man BMW enteigne und zu einem "sozialistischen Staatsbetrieb" mache, so Ebner-Steiner, der müsse rüber gehen zur SPD und Kevin Kühnert: "So ein Wahnsinn ist mit der AfD nicht zu machen, wir sind Autoland und bleiben Autoland." Nicht besser sehe es mit der Politik des Ministerpräsidenten aus. Markus Söder sei "benebelt von der grünen Schülersprecherin Katha Schulze" und "die Benebelung geht so weit, dass er in uns eine neue NPD wittert". Dabei sei es Söder, der sich von den Idealen eines Franz Josef Strauß entfernt habe - und sich ihm allenfalls "optisch annähert". Starker Applaus. Dass sich die AfD in Bayern zuletzt lieber zerfleischte als Politik zu machen, ist an diesem Tag weit weg.

Breiten Raum nimmt bei der AfD das Thema Flüchtlinge ein. Der niederbayerische Bezirkschef Stephan Protschka fordert eine "Remigration","mit uns wird es auch keinen Islam mehr geben". Landesvorsitzender Martin Sichert rechnet die "alte Oma im Bayerischen Wald", die kein Geld zum Heizen habe, mit den Asylbewerbern auf, für die man "unser Steuergeld mit beiden Händen zum Fenster" rauswerfe. Die ganze Sozial- und Asylpolitik sei eine "Sauerei", Sicherts Rede ist schärfer als gewohnt, weniger fahrig als bei früheren Auftritten. Und massiv islamkritisch: Sichert will in gut zwei Wochen auf einem Parteitag wieder als Landeschef gewählt werden. Und der Hauptredner, der Bundestagsabgeordnete Gottfried Curio, sagt über Angela Merkel und die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer: Die "Kanzlerin und ihr Klon gehören abgewählt." Großer Jubel. Wobei auch einer im Trachtenjanker in seiner Gruppe anmerkt: "So an Saupreißn mog i eigentlich a ned."

Kevin Kühnert: Redet mit den Menschen, nicht nur über sie!

Im Jungbräu-Festzelt, auf der SPD-Bühne, gibt es in diesem Jahr ein Novum. Statt eines Bundes- oder Landtagsabgeordneten steht Kevin Kühnert am Redner-Pult, der Bundesvorsitzende der Jusos, des Parteinachwuchses. Es ist die erste Rede des 30-jährigen Berliners in einem bayerischen Bierzelt. "Wie in der U-Bahn in Berlin", sagt Kühnert mit Blick in ein Publikum, das schon vormittags Bier trinkt. Dem Scherz folgt eine ebenso nachdenkliche wie kämpferische Rede.

Sein erster Auftritt in einem bayerischen Bierzelt: Kevin Kühnert (SPD) in Abensberg. (Foto: dpa)

Das SPD-Ergebnis von 7,7 Prozent bei der Landtagswahl in Sachsen sei "enttäuschend", sagt Kühnert. Auf den Wahlkampf und darauf, dass die Partei in Brandenburg besser abgeschnitten hat als befürchtet, dürfe die SPD aber "auch mal stolz sein". Selbstkritisch sagt Kühnert: "Wir betrachten die Entwicklung im Osten wie einen Autounfall, wo alle vorbeifahren und traurig sind, was da denn passiert ist. Aber keiner kommt auf die Idee mal anzuhalten, auszusteigen und nachzufragen." Es müsse endlich Schluss sein "mit diesem politischen Gaffertum", sagt Kühnert. Man dürfe nicht nur über die Menschen in Sachsen und Brandenburg reden, man müsse mit ihnen sprechen.

Zugleich warnt er davor, der AfD "mit Schulterzucken" zu begegnen. Wenn "Nazi in Deutschland erst bei Hitlerbart und Gaskammer anfängt", sagt Kühnert, "dann ist was aus dem Lot geraten". Weiter wirbt Kühnert für mehr Engagement beim Klimaschutz und für die Einführung einer Vermögensteuer für "Multimillionäre und Milliardäre". Es gebe "keine Politik für die Mehrheit, ohne eine Politik gegen die Interessen einer egozentrischen Minderheit".

Bei der Linken darf auch die Jugend ran

Zum ersten Mal am Gillamoos vertreten bespielt die Linke die Bühne, die im vergangenen Jahr noch der AfD zugewiesen wurde, im Schlossgarten. Ungefähr 50 Gäste sind gekommen, statt Blasmusik und Bierzeltromantik spielt eine Zwei-Mann-Dread-Lock-Band. Schlechte Stimmung wegen der niedrigen Wahlergebnisse in Brandenburg und Sachsen merkt man den Linken nicht an. Vor dem Hauptredner, dem Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, darf der politische Nachwuchs ans Redepult: Fabian Rainer Huber ist 17 Jahre alt und im Frühjahr der Partei beigetreten. Er sollte eine humorvolle, lockere Rede halten, sagt er, aber viel Lustiges gebe es aus seiner Generation nicht zu berichten. "Keine Generation zuvor hatte in so hoher Anzahl Depressionserkrankungen wie diese. Keine Generation zuvor hat sich so viele Gedanken um die Zukunft des Planeten gemacht."

Ramelow beginnt seine Rede mit den Worten: "Es gibt Tage, da wünschte ich mir, ich wär' mein Hund." Es geht natürlich auch bei ihm um die Landtagwahlen, Deutschlands einziger Ministerpräsident der Linken steht selbst Ende Oktober zur Wahl. "Die AfD hat nichts Anderes auf dem Programm als Empörung, Empörung gegen Merkel, Empörung gegen Geflüchtete", ruft Thüringens Regierungschef. "Aber wenn ich dem nicht mehr entgegenzusetzen habe als Empörung gegen die AfD, ist das zu wenig. Ich bin auch empört über Kalbitz und Höcke, aber was wir jetzt brauchen, sind Antworten auf soziale Fragen, wie die Mieten in den Ballungsräumen und eine Grundsicherung im Alter."

Katharina Schulz wirft Söder "Tarnung" beim Klimaschutz vor

Bei den Grünen treten gleich zwei Fraktionsvorsitzende auf: Katharina Schulze (Landtag) und ihr Bundestagskollege Anton Hofreiter (rechts). (Foto: dpa)

Bei den Grünen geht es vor allem um die Klimakrise. Die bayerische Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze hält den Klimakurs von Ministerpräsident Söder nicht für glaubwürdig. "Markus Söder ergrünt, ohne rot zu werden", sagt sie beim Gillamoos. Er gebe neuerdings gerne den Öko. Aber: "Wer nimmt ihm ernsthaft die Fotos "Söder neben einem Baum" ab?" Der Ministerpräsident komme einem vor wie ein Heiratsschwindler, spottet Schulze. "Man kann sich nicht vorstellen, dass er wirklich die Liebe zur Umwelt entdeckt hat." Vielmehr nutze Söder seine "grüne Tarnung, um das Überleben der eigenen Art, der CSU, zu sichern". Aber die Lage sei zu ernst: Das Klima könne nicht warten, bis der Ministerpräsident "Umweltschutz aus Überzeugung tut". Und Anton Hofreiter, Fraktionschef der Bundestags-Grünen, sagt, man dürfe in der Klimadebatte nicht "auf die Pessimisten hören, die sagen: Es ist schon zu spät". Zwar dränge die Zeit, aber noch gebe es "für alles technische Mittel", um die Dinge "in den Griff" zu bekommen.

Die FDP geht in den Nahkampf

Nach dem schlechten Abschneiden bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen fordert Bayerns FDP-Landeschef Daniel Föst von seiner Partei noch mehr Einsatzbereitschaft. "Im kommenden Jahr stehen für uns die wichtigen Kommunalwahlen an. Wir müssen auf die Bürgerinnen und Bürger vor Ort zugehen, ihre Probleme anhören und lösen", sagt Föst. "Das Ziel der FDP ist es, zu Helden der Nachbarschaft zu werden. Selten waren die Kommunalwahlen wichtiger als 2020." Die Ost-Wahlen, bei denen die FDP in beiden Bundesländern den Einzug in die Landtage verpasste, seien "voll in die Hose" gegangen.

Aiwanger greift Grüne als "Kifferpartei" an

Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger hat es vor allem auf die Grünen abgesehen. "Wir müssen die grüne Ideologie stoppen, bevor die noch mehr Unheil anrichten", sagt er. Politiker der Grünen nennt der bayerische Wirtschaftsminister "Großstadt-Ökologen" und Mitglieder einer "Kifferpartei". "Die haben häufig noch nie eine echte Sau gesehen, höchstens ein Marzipanschweinchen." In den Bundesländern, in denen die Grünen mitregieren, sei die Partei eine Enttäuschung und setze ihre eigenen Forderungen nicht um. Der SPD rund um Juso-Chef Kevin Kühnert warf Aiwanger vor, "Enteignungen von Firmen" zu fordern. Rot-grüne Politiker seien "Deutschland-Vernichter".

Neubeginn in neuem Look

Neuerdings trägt Manfred Weber (rechts) Vollbart: Der Niederbayer wollte Kommissionschef der EU werden, scheiterte aber. Da brauche man "ein dickes Fell", sagt CSU-Chef Markus Söder (links). (Foto: dpa)

Nach der für ihn persönlich enttäuschenden Europawahl trägt CSU-Vize Manfred Weber nun einen Vollbart - und muss Spott ertragen. Innerhalb der CSU gehen die Meinungen über den Haarwuchs weit auseinander, viele sehen darin einen optischen Neuanfang nach der Europawahl. Weber hatte sich als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei große Hoffnungen auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten gemacht, scheiterte aber am Widerstand einiger europäischer Regierungschefs und ist nun wieder Fraktionschef im Europaparlament. Auf dem Gillamoos muss Weber auch Spott über sich ergehen lassen: "Die EU hat zwar die Leistung von Staubsaugern auf 900 Watt begrenzt, aber nicht die der Rasierapparate", witzelt Martin Neumeyer, der CSU-Kreisvorsitzende im niederbayerischen Kelheim. Parteichef Söder sagt, Weber habe sich "ein dickes Fell" wachsen lassen, wie es Politiker bräuchten. Weber wiederum gibt sich kämpferisch: "Eine Niederlage ist erst eine Niederlage, wenn man nach einem Genickschlag nicht mehr aufsteht. Ich stehe wieder auf."

Mit Material der Nachrichtenagentur dpa.

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