Bundesregierung:Je näher das Groko-Ende kommt, desto weiter entfernt es sich wieder

Kabinettssitzung

Bundeskanzlerin Angela Merkel(CDU) und Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Franziska Giffey(SPD) bei einer Sitzung des Bundeskabinetts

(Foto: dpa)

Nach den Landtagswahlen suchen Union und SPD ihre Kretschmers und Woidkes auf Bundesebene. Noch ist aber kein Kandidat in Sicht.

Kommentar von Nico Fried, Berlin

Zu Wahlabenden gehört der Versuch, noch im schlechtesten Ergebnis etwas Gutes zu finden - das Nugget im Schlick des Desasters. Ungekrönter König in dieser Disziplin ist seit Sonntag der sächsische SPD-Spitzenkandidat Martin Dulig. Er freute sich über eine stabile Mehrheit gegen die Rechten, wobei er seine 7,7-Prozent-Partei, die das historisch schlechteste SPD-Landtagswahlergebnis einfuhr, natürlich als Koalitionspartner für CDU und Grüne in Dresden sieht. Der sächsische Landesverband ist der erste, der den Wandel der SPD von der Volks- zur Funktionspartei klaglos angenommen hat - kurz: zu einer Art FDP des 21. Jahrhunderts.

In dieser Lesart der Ergebnisse steckt freilich auch der weit verbreitete und durchaus nachvollziehbare Gedanke, dass es sich am Sonntag um eine regelrechte Frontstellung gehandelt habe: Alle gegen die AfD, Demokraten gegen Systemverächter, wir gegen die. Nachdem es der AfD nicht gelungen ist, in einem Bundesland stärkste Kraft zu werden, können sich somit alle anderen als Sieger sehen, selbst die größten Verlierer.

Weil der Vormarsch der Rechten gebremst wurde, nimmt es zum Beispiel der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck ganz gelassen, dass potenzielle Grünen-Wähler dafür sogar mit anderen Parteien fremdgegangen sind. Auch Fraktionschef Dietmar Bartsch führt Verluste der Linken darauf zurück, dass manche ihrer Wähler sich diesmal für SPD und CDU entschieden hätten. Nur Christian Lindner findet es vielleicht nicht so toll, dass es derart taktierende Wähler auch in der liberalen Klientel gegeben haben mag. Es kann noch heikel werden für die FDP insgesamt, wenn ihre Anhänger dem Gedanken anheimfallen, es sei besser, nicht in einem Parlament vertreten zu sein.

Sollte nun aber tatsächlich ein solches neues Gemeinschaftsgefühl einer weit nach links reichenden Mitte im Entstehen sein, materialisiert es sich anscheinend nur, wenn es auch eine Person gibt, auf die man sich quasi intuitiv verständigt. In Sachsen war das Michael Kretschmer von der CDU, in Brandenburg Dietmar Woidke von der SPD. Es ist kein Zufall, dass es sich um die bisherigen Ministerpräsidenten handelt. Viel Macht haben Regierungschefs der Länder für sich genommen zwar schon lange nicht mehr, es sei denn, sie führen im Nebenberuf noch eine kleine, erfolgreiche Schwesterpartei. Aber das Amt erlaubt ihnen doch, sich prominent zu inszenieren, bevorzugt in heldenhafter Abgrenzungspose zum Bund.

Ohne einen Kandidaten mit Kanzlerbonus wird völlig neu gewürfelt

In der sich ändernden Bedeutung des Führungspersonals liegt eine Lehre der jüngsten Landtagswahlen für den Bund. Die konstant abnehmende Bindekraft der Volksparteien kann zumindest teilweise durch die Integrationskraft einzelner Persönlichkeiten kompensiert werden. Doch eine solche Figur, noch dazu mit Amtsbonus, wird es bei der nächsten Bundestagswahl nach dem Abschied Angela Merkels nicht geben. Ja, es ist geradezu die historische Besonderheit, dass spätestens 2021 zum ersten Mal seit 1949 kein Titelverteidiger und keine Titelverteidigerin antreten wird. Das würde vielleicht nicht formal, aber zumindest im politischen Sinne selbst dann gelten, wenn die Union vorher noch für kurze Zeit irgendjemanden an der Spitze einer Minderheitsregierung ins Kanzleramt tricksen sollte.

Das heißt: Die Personalfrage wird einerseits beim nächsten Mal noch wichtiger, als sie sowieso immer war. Ohne einen Kandidaten mit Kanzlerbonus wird aber andererseits auch völlig neu gewürfelt. Die größte Chance liegt darin für die SPD, wenn sie es schafft, in ihrer Neuaufstellung eine überzeugende Spitze zu installieren. Dass selbst ein sehr langweiliger Politiker wie Dietmar Woidke zu einer Art Integrationsfigur werden kann, ist grundsätzlich eine besonders gute Nachricht für Olaf Scholz - wohingegen Annegret Kramp-Karrenbauer von Michael Kretschmer lernen kann, dass es mehr Erfolg verspricht, das Zuhören zu praktizieren, statt nur zu postulieren.

Auch wegen dieser Personalfragen eint die Parteien der großen Koalition deshalb das Interesse, ihre Regierungsarbeit bis zum Ende der Legislaturperiode fortzusetzen - aus unterschiedlichen Motiven: Die CDU hat Merkels Nachfolge nur scheinbar geklärt. Sie hat eine neue Vorsitzende, aber die Union noch keine neue Kanzlerkandidatin. Die SPD könnte ein Mischwesen präsentieren, das die besten Eigenschaften von Brandt, Schmidt, Schröder und Lafontaine in sich vereinte, und würde doch nach einer Flucht aus der Regierung nicht so schnell wieder in eine hineingewählt werden. Insofern ist das Ende der großen Koalition ein Paradoxon: Je näher es mit jeder Wahl zu kommen scheint, desto weiter entfernt es sich doch wieder.

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