Französischer Literaturbetrieb:Wie zerknirscht ist zerknirscht genug?

Lesezeit: 2 min

Wird vom ansonsten so unnachgiebigen französischen Literaturbetrieb wieder mit offenen Armen empfangen - Yann Moix. (Foto: AFP)
  • Der französische Schriftsteller und Polemiker Yann Moix bildet den Mittelpunkt einer Antisemitismus-Affäre des französischen Literaturbetriebs.
  • Moix hatte als Zwanzigjähriger in einer rechtsextremen Studentenzeitung Comics massiv antisemitischen Inhalts veröffentlicht.
  • Jetzt zieht der Autor zernkirscht durch die Fernsehstudios und bittet um Vergebung - und das sonst unerbittliche Milieu wird plötzlich weich. Das lehrt so einiges über den Literaturbetrieb.

Von Joseph Hanimann

Eigentlich sah man in Paris einem eher ruhigen Literaturherbst entgegen ohne überragende Autoren und Titel. Doch nun platzte eine Affäre herein, wie der Betrieb sie liebt: brisant, nervös, pathetisch. Thema: Antisemitismus. Im Mittelpunkt steht der einundfünfzigjährige Schriftsteller, Filmautor und Polemiker Yann Moix, eine hoch intelligente und hochgradig verstörte Persönlichkeit des Literaturbetriebs. Sein gerade erschienener autobiografischer Roman "Orléans" ist eine virulente Abrechnung mit seinen Eltern, denen er krasse Kindsmisshandlung vorwirft und eine Gefängnisstrafe wünscht. Gleichzeitig ist es eine Huldigung an den rettenden Ausweg durch die Literatur.

Nun tauchten in der Presse aber Comics massiv antisemitischen Inhalts auf, die der heute für seine Talmud-Kenntnis und seine Israel-Liebe bekannte Moix als Zwanzigjähriger in einer rechtsextremen Studentenzeitung veröffentlichte. Auch wurde ihm der Umgang bis vor sechs Jahren mit Shoah-Leugnern aus dem Kreis Robert Faurissons vorgehalten. Nach anfänglich verstockten Teilgeständnissen steht er jetzt zu fast allem, zieht mit zerknirschter Miene durch die Fernsehstudios und bittet um Vergebung. Er sei damals ein widerlicher, verwirrter, sich selbst hassender Typ gewesen, dem er heute ins Gesicht spucken würde, erklärt er. Hätte er das Zeug dafür gehabt, hätte er sich umgebracht, doch habe es nur zu einem moralischen Selbstmord gereicht. Umso verbissener kämpft er nun um sein literarisches Überleben.

Bücher des Monats
:Mit dem Florett durch die Zeilen tänzeln

Dana von Suffrin holt in "Otto" die jiddische Erzähltradition in die Gegenwart und den bedeutenden Roman "T. Singer" gibt es endlich auf Deutsch: die besten Bücher im August.

Aus der SZ-Redaktion

Sein Verleger Olivier Nora vom Haus Grasset gestand, von den Karikaturen schon seit Längerem gewusst zu haben. Vor über zehn Jahren habe Moix ihm einen Umschlag auf den Tisch gelegt mit der Bemerkung, er solle sich das einmal ansehen und dann entscheiden, ob er ihn weiter verlegen wolle. Auch der Intellektuelle Bernard-Henri Lévy (BHL), den Moix in einer der Zeichnungen als jemand verspottet hatte, "dem die Freunde Adolfs leider den Schädel nicht kahlgeschoren" hätten, will davon gewusst haben. Er hatte dem jungen Wirrkopf einst die Tore der Pariser Literaturszene geöffnet. Und seiner "Lichtgestalt" zollt Moix nun ewige Dankbarkeit, denn er habe ihm aus dem schwarzen Loch seiner Versagernatur geholfen.

Entsprechend groß war die Erwartung, wie BHL auf die Enthüllungen reagieren würde. Ein Mensch könne sich ändern und die Beteuerungen von Moix erschienen ihm aufrichtig, schreibt der einst streitfreudige Intellektuelle nun in seiner Wochenchronik des Magazins Le Point und bekennt in der Pose des Weisen: "Ich glaube an die Reue, ich glaube an Wiedergutmachung." Ähnlich mild fallen die Urteile vieler anderer in dem sonst unerbittlichen Milieu aus. Moralin sei die Moral der Morallosen, kommentiert der Philosoph Michel Onfray den Fall. Der Literaturbetrieb demonstriert, wie gut er sich zu schützen vermag, sofern der Reumütige im Rampenlicht der Öffentlichkeit genügend Kniebeugen vor dem Altar der aus dem Unsäglichen ins Positive gespiegelten Selbststilisierung zustande bringt.

© SZ vom 03.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Französische Literatur
:Das Friedensangebot der Tochter

Violaine Huisman schreibt in "Die Entflohene" voller Verständnis über ihre manisch-depressive Mutter. Genau darin liegt die Stärke des Romans: im Verzeihen.

Von Alex Rühle

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: