Architekturnachwuchs:Leben im Pappmodell

Unprofessional Studio Berlin 2019

Bürogenossen und Mitbewohner, zwei mal in echt und einmal aus Pappe (Mitte), weil er beim Fototermin unterwegs war: Hannes Roth, Kristof Schlüßler, Martin Binder vom Architekturbüro unprofessional.studio.

(Foto: Natalie Neomi Isser)

Die drei Gründer des unprofessional.studio in Berlin wehren sich gegen "Copy-and-Paste"-Architektur und fordern andere Ausbildungs­ansätze für ihre Profession.

Von Laura Weißmüller

Was tun junge Künstler oder Wissenschaftler, wenn sie noch nicht etabliert sind? Sie denken über ihre Kunst oder Wissenschaft nach. In der Feuilleton-Serie "Am Start" erzählen sie, wie sie ihre Zukunft sehen - und die Zukunft ihrer Disziplin. Diesmal: das Berliner Architekturbüro unprofessional.studio.

Ausgerechnet Grunewald. In Kreuzberg, Wedding oder Neukölln hätte man junge Architekten in Berlin vermutet, in Bezirken mit hoher Hipsterdichte und dem notorischen Um-sich-selbst-und-seiner-eigenen-Blase-Kreisen. Aber nicht in einer der großbürgerlichen baumgesäumten Alleen mitten in Grunewald. Doch just hier befindet sich das Büro von unprofessional.studio. Kristof Schlüßler, Hannes Roth und Martin Binder haben es vor zwei Jahren gegründet. Und jung sind sie wirklich, nicht nur in der Architekturwelt, wo auch noch 50-Jährige als jung durchgehen. Schlüßler ist 35, Roth 30 und Binder 26.

Die Standortortwahl für ihr Büro war aber eher Fügung als Statement. Binders Vater, ebenfalls Berliner Architekt, hat Ende der Sechziger hier ein Haus brutalistisch begonnen und irgendwann postmodern aufgehört, was dem Gebäude eine gewisse exzentrische Persönlichkeit zwischen all den weißen Villen verleiht. Als darin eine Wohnung leer stand, zogen die Architekten mit ihrem Büro hier ein - und selbst gleich mit dazu. Alle drei wohnen auch in dem Haus in Grunewald. Ihre Zimmer sehen fast identisch aus, japanisch klein, Matratze auf dem Fußboden, Grünpflanzen links und rechts. Persönliches verschwindet hinter einem silbern schimmernden Vorhang im Flur.

Eigentlich ja ein Klischee. Architekten, die in ihrem eigenen Büro wohnen, weil die Arbeit nie aufhört, ein Projekt nie fertigentworfen ist, die Nächte zum Durcharbeiten da sind, tatsächlich ja schon im Studium vor der Abgabe eines Entwurfs. Schlüßler, Binder und Roth, die in ihren lockeren weißen Hemden und Stoffhosen so aussehen als würde sie gleich in den Urlaub aufbrechen, wollen das nicht. Halbwegs geregelte Arbeitszeiten, flache Hierarchien und eine gesunde Ernährung statt der Pizza um halb zehn Uhr abends sind ihnen so wichtig wie unterschiedliche Meinungen. Im Gespräch entwickeln die drei ihre Gedanken, indem sie einander widersprechen. "Wir versuchen es zu fördern, nicht einer Meinung zu sein", sagt Hannes Roth dazu.

"Die meisten Probleme, die wir haben, hängen mit der Ausbildung zusammen"

Das junge Büro möchte vieles anders machen als es in der Architekturwelt üblich ist. Was wiederum ja auch ein Klischee - und ein Privileg der Jungen - ist: die eigene Disziplin in Frage zu stellen. Nur dass beim Bauen die Rahmenbedingungen noch etwas starrer sein dürften als in den anderen Künsten, man könnte sagen fest zubetoniert. Ein Entwurf muss von der Baubehörde eben genehmigt, ein Haus vom Bauherren finanziert und von den Handwerkern errichtet werden, ganz egal wie jung ein Architekt ist. Oder wie Binder das formuliert: "Wenn du aus der Uni kommst, willst du die Welt verändern und crasht erst einmal auf die Realität."

Das erste gebaute Werk von unprofessional.studio - ihr eigenes Büro, das räumlich klar zwischen Arbeit und Privatem trennt - schufen die Architekten dabei mit ihren eigenen Händen: Die drei haben Trockenbauwände hochgezogen, Estrichboden gegossen und Türen gebaut. "Es ist extrem wichtig, das alles mal auszuprobieren", sagt Binder. Den Dreck und Schweiß zu erleben, den ein solcher Umbau mit sich bringe. Das Material kennenzulernen und was es für den Handwerker bedeute, wenn der Baumeister runde Wände entworfen hat. "Viele Architekten lösen sich davon", sagt Binder, der mal in China einige Zeit für Gerkan, Marg und Partner (gmp), einem der größten deutschen Architekturbüros, gearbeitet hat. 15 Stunden pro Tag vor dem Computer waren da keine Ausnahme. "Irgendwann ist man eine Maschine."

Genau das wollen sie nicht. "Der Computer ist absolut wichtig für die Planung, aber er ist kein Entwurfswerkzeug", sagt Kristof Schlüßler. Viele Architekten handhaben das heute anders. Da werden Fassadenstücke am Computer kopiert und zu einem Haus zusammengesetzt. "Copy-and-Paste"-Architektur könnte man das nennen, was vielerorts in Deutschland komplette Neubauviertel prägt. Die Tendenz dazu wird offenbar bereits in Architekturfakultäten gelegt: "In den ersten zwei Semestern haben wir noch mit der Hand gezeichnet, ab dem Dritten hört das auf", sagt Martin Binder, irgendwann säßen alle nur noch am Computer. Sehr schnell werde man dabei an der Uni auf Effizienz getrimmt. "Dabei müsste man erst einmal lernen, was ein Fenster ist, eine Tür oder ein kleiner Raum."

Ähnlich verhielte es sich beim Modellbauen. Die Professoren forderten von ihren Studenten perfekte Abgabemodelle, späteres Um-, An- oder Weiterbauen unmöglich. Ein Unding findet unprofessional.studio. Die drei benützen Modelle, um ein Gespür für ihre Architektur zu bekommen. "Allein das Bauen von Modellen bringt dich unglaublich weiter", sagt Hannes Roth. Dementsprechend vollgestellt ist ihr Büro mit dreidimensionalen Entwürfen in den unterschiedlichsten Größen und Materialien. Regelmäßig fertigen die Architekten auch große eins-zu-eins Modelle von einzelnen Bauelementen an, einer Tür etwa oder einer Zimmerwand, und wohnen dann zwei Wochen mit dem Pappmodell. "Wenn wir damit leben können, kann es der Bauherr auch", sagt Binder.

Mit der Kritik an ihrer Ausbildung sind die drei Berliner Architekten nicht alleine. Im Frühsommer veröffentlichten Studenten mehrerer britischer Eliteuniversitäten einen offenen Brief mit der Aufforderung, den Lehrplan der Architekturfakultäten doch bitte der Gegenwart anzupassen und mehr darüber zu reden, was Bauen in Zeiten von Klimawandel und Gentrifizierung eigentlich bedeutet. Tatsächlich gehört die Bauindustrie zu den größten Klimasündern überhaupt, Verdrängung ganzer Bevölkerungsschichten in den Städten kündigen sich in Zeiten des Baubooms gerne mit cremefarbener Copy-and-Paste-Architektur an. Doch unprofessional.studio zielt mit seiner Kritik auf etwas anderes. "Im Studium geht es heute schon zu wenig um Architektur und zu viel um das Drumherum", sagt Binder. Zu viel Philosophie und Soziologie, zu wenig Grundlagen.

Als der Bauherr aufgrund von schlechten Feng-Shui-Werten einen Rückzieher machte, waren sie froh.

"Viereckige Augen vom Arbeiten am PC?" So haben die drei Architekten deswegen ihre Summerschool beworben, die sie gerade in Neuruppin durchführen. Zwei Wochen arbeiten sie in der brandenburgischen Kleinstadt mit 15 Studenten, am Ende sollen Entwürfe für konkrete Baulücken entstehen und zwar jenseits der strengen Gestaltungssatzung, die sich Neuruppin selbst verordnet hat. "Hör auf zu viel zu denken und arbeite mit den Händen" fasst Martin Binder den Arbeitsauftrag an die Studenten zusammen.

Haben sie schon mal unterrichtet? "Nö", sagt Hannes Roth. Aber während des Studiums an der TU Berlin, bei dem sich die drei kennengelernt haben, hätten sie viel darüber nachgedacht, was nicht gut laufe. "Die meisten Probleme, die wir haben, hängen mit der Ausbildung zusammen", sagt Roth. Ihre Kritik daran habe sie motiviert, selbst zu unterrichten und zu versuchen, den Studenten das beizubringen, was ihnen am meisten gefehlt hat: zu lernen, an die Grenzen zu gehen und zu verstehen, was der Treiber von Gesetzen sei. Die Hürden des Baugesetzbuches dürften in der Tat das zentrale Leidensthema deutscher Architekten sein. Das Dickicht an Vorgaben wird größer, Entschlackungsmaßnahmen stehen noch aus. Wer nicht die Ausdauer eines Marathonläufers mitbringt, dem streicht so manche Baubehörde noch die letzte Raffinesse aus dem Entwurf.

Unprofessional.studio hat das bei seinem Gründungsprojekt selbst leidvoll erfahren. Vor zwei Jahren erhielt das Büro den Auftrag, einen denkmalgeschützten Eiskeller in der Nähe von Neuruppin in ein Atelierhaus umzubauen. Nahezu perfekt haben die drei eine minimalistische, streng geometrische Kubatur in das Baudenkmal eingefügt - zumindest auf dem Papier. Der Bauantrag steckte lang im Genehmigungsverfahren fest, die Auflagen von Denkmalschutz und Naturschutzbehörde waren hoch: "Statt den Energieaufwand darauf zu verwenden, ob unser Entwurf gut ist, saßen die Beamten nur mit der Checkliste da", sagt Kristof Schlüßler. Gerade kam zumindest die Baugenehmigung. Doch Geld verdient man mit solchen Projekten nicht. Die spartanischen Schlafzimmer der drei passen bislang zum Umsatz des jungen Büros. Für den Umbau eines Kreuzberger Cafés, bei dem die Architekten eigenhändig die Tresenplatte aus Beton gegossen haben, rechnete sich Martin Binder mal zum Spaß den Stundenlohn aus. Auf nicht einmal 50 Cent kam er.

Dass es bei unprofessional.studio um etwas anderes geht als ums Geld, zeigt ihre "Räuberpistole": Nach sechs Monaten bei gmp in China gründeten Binder und Roth dort ihr erstes Architekturbüro - mit 60-Euro-Anzügen, einer gefälschten Homepage und dem Entwurf für ein 90000 Quadratmeter-Hochhaus in Shenzhen. Prompt erhielten sie bei einem Wettbewerb den Zuschlag und dachten sich ein "Theaterstück" aus. Den Investor trafen sie in einem Hotel, Konferenzen ließen sie so aussehen, als hätten sie viele Mitarbeiter und nicht nur acht. Als der Bauherr aufgrund von schlechten Feng-Shui-Werten dann einen Rückzieher machte, waren sie trotzdem froh. Lieber echte Pappmodelle im Grunewald entwerfen als falsche Renderings in China.

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