"Swell" im NDR:Die Dramaserie zum Klimawandel

Wenn die Deiche brechen

Ronnie (Thomas Rijckewaert, l.) und Samir (Sadettin Kirmiziyuz, r.) paddeln durch die überfluteten Straßen von Rotterdam.

(Foto: NDR/2016 JOCO Media/Menuet/EO/éé)
  • Die Klimawandel-Serie "Wenn die Deiche brechen" zeigt ein katastrophales Unwetter über der Nordsee.
  • Der NDR strahlt die niederländisch-belgische Koproduktion im Rahmen der Themenreihe "Wetter extrem" an.
  • Sie führt beeindruckend vor Augen, wie schnell alles, was man hat, von heute auf morgen weg sein kann.

Von Christine Dössel

Ein gewaltiger Sturm braut sich über der Nordsee zusammen und schickt unheilvolle Böen voraus. Der Vorspann läuft noch, da wird schon ein Kitesurfer vom Board gerissen und mit Orkanstärke gegen eine Hochhausfassade geschleudert. Im Verlauf der fiktionalen Miniserie Wenn die Deiche brechen wird es viele Opfer geben, manche in Sekundenschnelle aus dem Blickfeld verschwunden, weggefegt von einem Unwetter schlimmsten Ausmaßes.

Es ist ein noch nie dagewesener Sturm, der hier über Belgien und den Niederlanden tobt, wo ein Großteil der Landmasse unter dem Meeresspiegel liegt. Wie weit die Schauplätze - Ostende, Rotterdam, Amsterdam, Den Haag, Brüssel - unter oder über dem Meeresspiegel liegen, wird bei jedem Szenenwechsel samt Ortsangabe angezeigt. Das erhöht die "Breaking News"-Dramatik. Es regnet, schüttet, pisst. Die Dämme können den Wassermassen nicht trotzen; weite Teile der Länder werden überschwemmt. Vom Ausmaß der Katastrophe und den Folgen für die Menschen erzählt die niederländisch-belgische Koproduktion in sechs Episoden, die der NDR als Teil des Schwerpunkts "Wetter extrem" in deutscher Erstausstrahlung zeigt. In Holland und Flandern war The Swell, so der Originaltitel, 2016 ein Feger. Die Dramaserie zum Klimawandel.

In den ersten zwei Folgen breitet sich der Sturm tsunamihaft aus. Dabei gibt es gar nicht so viele dramatische Außenaufnahmen, wie man das erwarten würde - wir sind hier nicht bei Roland Emmerich. Vielmehr wird die Katastrophe vornehmlich aus Innenräumen heraus erzählt. Da sind Menschen, die sich verbarrikadieren; Politstrategen, die in "Situation Rooms" auf Videowände starren; ein greiser Musiker, der sich in der Badewanne umbringen will; Häftlinge im Knast. Eine zentrale Figur ist der niederländische Premierminister Hans Kreuger. Gijs Scholten van Aschat zeichnet ihn als einen menschlichen, ethisch denkenden, von der Sache schwer mitgenommenen Politiker. Der allerdings die falsche Entscheidung trifft.

Erzählt wird maximal unamerikanisch und seltsam undramatisch

Mit Blick auf die Wirtschaft lässt er die Metropolregion Randstad nicht evakuieren. So fliehen die Menschen ungeordnet. Es wird 25 000 Tote geben und in den weiteren Folgen mehr als zwei Millionen Menschen auf der Flucht. Ohne Hab und Gut, untergebracht in überfüllten Auffanglagern und Notunterkünften.

Anfangs ist es nicht ganz leicht, beim permanenten Schauplatz- und Personenwechsel den Überblick zu bewahren und den Protagonisten nahezukommen. Später werden private Schicksale plastischer, Personenprofile geschärft. Aber emotional mitzittern, mitfiebern kann man nicht. Dazu bleibt die Gesamtinszenierung in der actionarmen Regie von Hans Herbots doch zu sehr ein Was-wäre-wenn-Konstrukt und trotz des vielen Wassers erstaunlich trocken (Drehbuch: Karin van der Meer, Maarten Lebens und Wout Thielemans). Erzählt wird maximal unamerikanisch, seltsam undramatisch, in möglichst realistischer, aber auch etwas dröger Manier. Man will trotzdem wissen, wie es weitergeht, ist das geschilderte Katastrophenszenario in Zeiten des verschärften Klimawandels doch alles andere als abwegig, eine dystopische Fantasie am Umweltpuls der Zeit.

"Eine solche Krise bringt bei jedem von uns das Beste an die Oberfläche", heißt es einmal. Oft aber auch das Schlechte. Die Serie zeigt beides. Es gibt Plünderer, Geschäftemacher, Helfer. Eigennutz und Solidarität. Dem lebensmüden alten Stargeiger David Stein führt das Unwetter die kleine Kimmy zu, um die er sich fortan kümmert. Im Rotterdamer Gefängnis ersäuft der Häftling Ronnie beinahe in der Isolationszelle. Der muslimische Wärter Samir, der in der letzten Folge noch eine (etwas unglaubwürdige) Rächerrolle annimmt, rettet ihn. Und da ist Ronnies Familie: seine Frau Sonja mit den zwei Kindern und seiner Nervensäge von Schwiegermutter. Nachdem die kleine Tochter weggespült worden ist, suchen sie sie verzweifelt. Den Anblick von aufgebahrten, nicht identifizierten Kinderleichen muss man ertragen in dieser Serie.

In einem weiteren Erzählstrang geht es um die schon lange nicht mehr harmonische Familie Wienesse mit ihren zwei halbwüchsigen Töchtern, von denen die ältere eine echte Wohlstandszicke ist. Die Wienesses haben alles verloren. Es scheint so etwas wie eine existenzielle Freiheit auf, als sie das erkennen und anerkennen. Das berührt vielleicht am meisten an dieser nicht rundum gelungenen Katastrophenserie: vor Augen geführt zu bekommen, wie schnell alles, was man hat, von heute auf morgen weg sein kann. Wie schnell man selber zum Flüchtling werden kann. Und dass dann ganz andere Dinge im Leben zählen, wesentlichere.

Wenn die Deiche brechen, NDR, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag Doppelfolgen ab 22 Uhr.

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