Ausstellung:Öffentliche Selbstoptimierung

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Erkenntnis im Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten: „You don’t have to be a genius“, aus der Serie „Public Paintings“ von Caro Jost.

(Foto: Caro Jost)

Die Konzeptkünstlerin Caro Jost zeigt ihre "Public Paintings" in der Galerie Britta von Rettberg

Von Evelyn Vogel

Natürlich war New York schon immer irgendwie seiner Zeit voraus. Da mag die Welt erst seit Kurzem über den allseits herrschenden und immer grenzwertiger werdenden Selbstoptimierungswahn in Zeiten sozialer Medien, von Snapchat, Instagram & Co. diskutieren. Doch die Stadt, die niemals schläft, forderte ihre Bewohner nach dem Motto "anything goes" schon immer zu krasseren Vergleichen, Zielen und Rekorden heraus. Und immer gab es welche, die Hilfe zur Selbsthilfe anboten. Natürlich nicht selbstlos - aber wen kümmerte das schon, wenn es darum ging, mit Hilfe von Seminaren und Überlebensstrategien zu mehr Zeit, Geld, Glück, Liebe und Erfolg zu gelangen.

In gewisser Weise war auch die Münchner Konzeptkünstlerin Caro Jost auf der Suche nach Glück und Erfolg, als sie - Jahre bevor sie an der Münchner Kunstakademie studierte - um die Jahrtausendwende nach New York an die Art Students League ging. Fasziniert von der von Gewinnern und Verlierern geprägten Stadt und all den Angeboten für Abendkurse zur Selbstoptimierung, sammelte sie die Flugblätter, die sie auf Plätzen, in den U-Bahnen und in den Straßen der Stadt fand. Einer Stadt, die sich bald schon radikal änderte, denn es kam der Sommer 2001 und mit ihm die Zeitenwende von 9/11. Es war jenes Schicksalsjahr, in dem New York, in dem ganz Amerika und mit ihm die Welt im Mark erschüttert wurde.

Die Glücks- und Heilsversprechen auf dem Found-Footage-Material übertrug Caro Jost malerisch auf Leinwand, überdeckte oft in kraftvollen Farben ganze Passagen, hob einzelne Sätze oder Schlagwörter hervor. Und konstruierte mit Hilfe der Dekonstruktion neue inhaltliche Zusammenhänge. Entstanden sind so teils heiter-ironische, mitunter auch radikal-kritische Kommentare zu den Sehnsüchten einer urbanen Gesellschaft, die sich im ständigen Wettbewerb befindet. Zahlreiche dieser Botschaften, die Caro Jost als "Public Paintings" bezeichnet, sind in der Ausstellung "walk the talk" in der Galerie Britta von Rettberg zu sehen.

Die Serie der etwa ein Meter hohen Formate zieht sich durch die Räume der Galerie, ergänzt durch eine Art Foto-Assemblage, die auf digitalen Aufnahmen aus New York von 2001 basieren. Damals hat Jost die Fotos auf zwei Bildschirme projiziert, die an zwei öffentlichen Terminals am Münchner Flughafen standen. Eine Internet-Präsentation, die sehr an aktuelle mediale Kommunikationsformen erinnert.

Der Umgang mit gefundenem Material, das sie archiviert, wie auch die künstlerische und an der Kunstgeschichte orientierte Spurensuche in New York, aus der zahlreiche andere Serien entstanden sind, prägen seither Josts Arbeitsweise. Ihre konzeptuellen Werke erinnern an die Appropriation Art. Aber das wäre zu rückwärtsgewandt gedacht. Mit der Aneignungen fremden Materials geht Caro Jost einen anderen Weg. Auch wenn das Material fast 20 Jahre alt ist, die Art damit umzugehen ist ausgesprochen aktuell.

Caro Jost - walk the talk, Galerie Britta von Rettberg, Gabelsbergerstraße 51, bis zum 27. September, Di.-Fr. 10-18 Uhr, Sa. 11-15 Uhr

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