Baubranche:Feriencamps sollen Schülern Lust auf das Handwerk machen

Baubranche: Angehende Bauingenieure bei der Arbeit? Szene im Feriencamp der Branche, hier im oberbayerischen Stockdorf.

Angehende Bauingenieure bei der Arbeit? Szene im Feriencamp der Branche, hier im oberbayerischen Stockdorf.

(Foto: Martin Hillebrand)
  • Den Handwerksbetrieben in Bayern fehlen die Auszubildenden.
  • Die Baubranche will selbst ihr Image aufpolieren und bietet darum Feriencamps für Jugendliche an.
  • Die Teilnehmer können dabei ausprobieren, ob eine Ausbildung am Bau, ein Studium als Bauingenieur oder ein duales Angebot in der Branche etwas für sie ist.

Von Johann Osel, Nürnberg

Nicht 22 Spieler, sondern einige Dutzend Leute ohne Fußballtrikots stehen beim TSV Johannis 1883 im Nürnberger Norden mitten auf dem Rasen - eine neue Auswechselbank mit Hülle wird offiziell abgenommen. Daher legt Herbert Dechant, Leiter des Bauindustriezentrums Nürnberg-Wetzendorf, die Wasserwaage an dem Häuschen an. "Oh, oh, oh", murmelt er, und man weiß nicht, ob es nur Spaß ist. Bevor aber den Jugendlichen, die das Ding aus Beton und Holz gebaut haben, die Gesichtszüge entgleiten, schiebt er hinterher: "Bisserl schief, aber in der Toleranz". Aufatmen.

Dechant mimt den Bauherrn und Auftraggeber, das Geschenk für den Sportverein haben Jugendliche - auch unter seiner Ägide - in einem Ferienkurs errichtet. "Da könnt's schon mal sehen, wie das läuft", meint Dechant, es liege im Naturell von Bauherren, immer was zum Meckern zu finden. "Wichtig ist, dass es hält, wenn der Ball rankracht", ruft jetzt einer. Es gibt Urkunden, es blüht der Elternstolz, Väter knipsen mit dem Handy das Werk und ihre Kinder. Auf deren weißen T-Shirts steht: Baumanager-Camp.

Eine Woche lang haben gut 20 Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren in Nürnberg den Job des Bauingenieurs kennengelernt, haben eine Großbaustelle besucht, mit Studenten gesprochen - und eben selbst etwas geschaffen: ein kleines Haus. Das Projekt des Bauindustrieverbands und des Bildungswerks der Bayerischen Wirtschaft läuft seit gut zehn Jahren, es richtet sich an Schüler an Gymnasien, Berufs- und Fachoberschulen sowie Realschulen. In der Ferienwoche davor gab es schon ein Camp in Stockdorf im Kreis Starnberg.

Man will Nachwuchs in die Baubranche locken, Jugendliche probieren lassen, ob das etwas für sie ist: eine Ausbildung am Bau, ein Studium als Bauingenieur oder ein duales Angebot, das Hochschule und eine Lehre kombiniert, meist zum Stahl- und Betonbauer. Dabei soll wohl auch das Image der Branche aufpoliert werden, demonstrativ gibt es bei der Abschlussveranstaltung des Camps den Hinweis, die Erkenntnisse des Tages doch bitte ja in die Familien, Freundeskreise und Schulen weiterzutragen.

Hört man sich um in der Branche, erfährt man rasch, mit welchem Image die konfrontiert ist: Schuften bei Wind und Wetter, monotone Arbeiten, Kerle mit Bierflaschen, die vom Gerüst aus Frauen hinterherpfeifen, überspitzt gesagt. Und wenn in der Öffentlichkeit von Baufirmen die Rede ist, dann geht es tendenziell um Sachen, die nicht klappen, Pfusch oder Schmu. "Es bestehen die Klischees wie vor 40 Jahren", sagt Beate Hagemann, Referentin für Nachwuchswerbung im Verband. Eltern und Lehrer wüssten dagegen selten Bescheid über die Aufstiegsmöglichkeiten und die immer modernere Arbeitswelt, bis hin zu digitalen Prozessen. "Wir wollen gute Fach- und Führungskräfte, das ist die zentrale Herausforderung."

Lehrstellen bleiben unbesetzt

Nicht nur die Bauindustrie sucht Lehrlinge. In dieser Woche haben in Bayern zwar etwa 48 000 junge Menschen eine Ausbildung begonnen. Wie der Bayerische Industrie- und Handelskammertag aber unter Berufung auf Zahlen der Arbeitsagentur mitteilte, wurden für weitere 33 000 Plätze keine passenden Bewerber gefunden. Somit sei noch gut jede dritte Stelle frei, die Bewerberlücke sei "auf Allzeithoch", hieß es zuletzt schon. Angesichts der hohen Zahl an unbesetzten Lehrstellen nahm dagegen der Deutsche Gewerkschaftsbund in Bayern die Betriebe in die Pflicht: "Über den Fachkräftemangel jammern und gleichzeitig Lehrlinge und solche, die es werden wollen, mit schlechten Arbeitsbedingungen vergraulen - das passt nicht zusammen", erklärte der Vorsitzende Matthias Jena. Viele Unternehmen missbrauchten ihre Azubis als billige Arbeitskräfte. SZ

Die Konjunktur auf dem Bau läuft gut, die Auftragsbücher sind voll. Nun hat das Lehrjahr begonnen, die Lage ist "grob stabil", heißt es. Was bedeutet: Wieder dürften unzählige Lehrstellen frei geblieben sein, manche Unternehmen melden ihre Plätze als Betonbauer, Maurer oder Fliesenleger gar nicht mehr, weil es eh keine Interessenten gebe. Analysen zur Altersstruktur zeigen zudem: Jeder fünfte Arbeitnehmer in der Branche in Bayern ist 55 Jahre und älter.

Bei Bauingenieuren gibt es inzwischen, nach langem Sinkflug, zwar wieder viel mehr Studienanfänger; doch in Konkurrenz zu anderen Techniksparten tut man sich schwer, womöglich rächt sich das Image. "Keine Entspannung", meldet die Bayerische Ingenieurkammer Bau, jedes zweite Büro habe offene Stellen: "Wer soll nur die ganze Arbeit machen?" Kritisch wird es bei der öffentlichen Hand, Kommunen melden Planungsstau, weil ihnen Fachkräfte fehlen - oder sogar über gewiefte Headhunter abgeworben werden.

Was sie in der Ferienwoche gemacht haben, während ihre Mitschüler ins Freibad gingen, präsentieren die Teilnehmer im Bauindustriezentrum Wetzendorf. Von Material, Zeitplänen und Konstruktion sprechen sie; zuerst kam eine Maschineneinweisung, auch zur Kreissäge. "Wir mussten unterschreiben, dass wir das verstanden haben", sagt Teilnehmer Jakob. "Zeigt mal alle Hände her, ob noch alle zehn dran sind", wirft Zentrumschef Dechant ein. Doch, so versichern die Schüler: Kein einziges Pflaster wurde benötigt. Wie die Profis berichten sie davon, was es mit Luftbläschen beim Betongießen in eine Schalung auf sich hat; oder was der Unterschied zwischen Tellerkopf- und Senkschrauben ist.

Die Mädchen - fast die Hälfte der Gruppe - sind beim Projektbericht ebenso bei der Sache, ein wenig Rollenklischee aber bleibt: Die Spielerbank musste schön bemalt werden, ein Junge nennt das "eher eine Sache für die Mädchen". Wobei das zur Arbeit gehörte: ein Team bilden und schauen, wer sich wo ausprobieren möchte. Mira und Lilli, 17 und 18 Jahre alt, sind genau deshalb dabei - ein Job mit Gestalten komme in Frage, "einfach mal schnuppern". Bei Jakob ist es konkreter: Der 16-Jährige hat schon ein Schülerpraktikum beim Architekten gemacht; was genau der Unterschied zum Bauingenieur ist, wurde ihm nicht ganz klar. Jetzt habe er bessere Einblicke: Der Architekt sitze mehr im Büro, der Ingenieur habe mehr direkt mit Materialien zu tun. "Und der hat mehr zu sagen auf der Baustelle." Dass er Ferienzeit geopfert hat, sei nicht tragisch. "Es geht ja um was, um die eigene Entwicklung."

Herbert Dechant verfällt ins Oberpfälzische. "Hintre, auffe, obe, viare gwuselt", das rege Treiben auf der Schülerbaustelle habe ihm gefallen. Und es würde ihm gefallen, wenn mancher oder manche in seine Branche komme. Noch mal ein Appell an Eltern und Lehrer. Und ein letzter Tipp: "Das schönste an dem Beruf ist: Wenn der Chef im Büro am Morgen ein unfreundliches Gesicht zieht, kann man sich immer schnellstmöglich auf die Baustelle absetzen."

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