Merkel-Dokudrama:Die wichtigste Frage bleibt ohne Antwort

Szene aus dem Film "Stunden der Entscheidung - Angela Merkel und die Flüchtlinge"

Heike Reichenwallner in der Rolle von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

(Foto: Hans-Joachim Pfeiffer/dpa)
  • Das ZDF rekonstruiert im Dokudrama "Stunden der Entscheidung - Angela Merkel und die Flüchtlinge" die Septembernacht 2015.
  • Die wichtigsten Fragen zur Entscheidung der Bundeskanzlerin, 2000 Geflüchtete aufzunehmen, bleiben offen.
  • Fakten, Interpretationen und künstlerische Zuspitzungen vermischen sich - dafür allerdings ist das Thema zu heikel.

Von Stefan Braun

Die Ankunft vieler Flüchtlinge im Jahr 2015 und die darauf folgende Krise haben vieles verändert: das Gefüge der Europäischen Union, den Blick auf Angela Merkel und die politische Landkarte in Deutschland. Aus diesem Grund ist es wichtig, den Ursachen und widerstreitenden Abwägungen im Sommer und Herbst 2015 noch einmal nachzuspüren. Zumal zentrale Fragen bis heute umstritten bleiben. Die Frage etwa, ob die Grenze nur nicht geschlossen oder doch geöffnet wurde; die Frage, ob der schärfste Kritiker Horst Seehofer sich in einem zentralen Moment kommunikativ tot stellte oder nicht erreicht wurde; die Frage, ob zu verhindern gewesen wäre, dass aus einer Ausnahmenacht für Wochen ein Normalfall wurde.

Es überrascht also nicht, dass sich das ZDF entschloss, sich der dramatischen Nacht auf den 5. September 2015 noch einmal anzunehmen. In dieser Nacht entschied sich die Bundesregierung, rund 2000 Flüchtlinge aufzunehmen, die sich vom Budapester Bahnhof Richtung Österreich und Deutschland aufgemacht hatten. Man will wissen, wie das gelaufen ist. Und doch ist die Entscheidung, dieser Nacht per Doku-Drama nachzuspüren, keine gute.

In so einer Konstruktion vermischen sich Fakten und authentische Bilder mit Interpretationen und künstlerischen Zuspitzungen. Das lässt sich bei Ereignissen, die lange vorbei sind, vielleicht machen. In diesem Fall hätte es das ZDF lassen sollen. In den fast 90 Minuten finden sich Szenen und Sätze, von denen nur die Beteiligten sagen können, ob sie wirklich so passiert sind. Gleichwohl haben manche Sätze das Zeug dazu, die bis heute angespannte Debatte neu anzuheizen. Im Vorspann heißt es, der Film basiere "auf den Schilderungen unmittelbar beteiligter Personen". Dann wird eingeräumt, dass "einige politisch Verantwortliche für ein Interview nicht zur Verfügung" gestanden hätten. Die Folge: Der Zuschauer weiß nicht, ob die Autoren wichtigste Gespräche der Kanzlerin mit ihrer Büroleiterin Beate Baumann, dem damaligen Kanzleramtsminister Peter Altmaier, dem damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier oder dem österreichischen Kanzler Werner Faymann auch nur annähernd authentisch wiedergeben. In einer Komödie mag das egal sein. Bei einem so heiklen Thema hätte man sich auf derart spiegelglattes Terrain nicht einlassen dürfen.

Das heißt nicht, dass der Film nur Spekulation bietet. Es wird klar, wie sich die Lage innerhalb von Stunden zuspitzte; es wird eindrücklich geschildert, wie sich die Stimmung unter den Flüchtlingen entwickelte. Dazu gibt es Äußerungen des damaligen Innenministers Thomas de Maiziere, der einräumt, dass ein Tweet des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge fatale Konsequenzen hatte. All das ist spannend, weil es zum authentischen Teil der Doku gehört. Der Rest aber ist problematisch. Und unvollständig. Die wichtigste Frage nämlich bleibt ohne Antwort: Wieso konnte aus der Ausnahme über Monate der Normalfall werden?

Stunden der Entscheidung - Angela Merkel und die Flüchtlinge, ZDF, Mittwoch, 20.15 Uhr.

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