Architektur und Klima:Mut oder Beklopptheit?

Houseraising

Vor dem Hurrikan "Sandy" 2012 stand dieses Haus noch auf dem Boden. Dann ließen es seine Besitzer abheben.

(Foto: Ira Wagner)

Ira Wagner hat Häuser fotografiert, die nach dem Hurrikan "Sandy" 2012 für viel Geld aufgebockt wurden. Warum kehren Menschen an einen Ort zurück, der auf Dauer unbewohnbar ist?

Interview von Alex Rühle

Als Sandy 2012 auf die Ostküste der USA traf, entstanden Schäden in Höhe von über 70 Milliarden Dollar, Zigtausend Häuser wurden ganz oder teilweise zerstört. Statt aber wegzuziehen, entschieden sich viele Bewohner dafür, ihre kompletten Häuser "aufzurüsten". Der Architekturfotograf Ira Wagner hat Hunderte dieser Anwesen fotografiert und darüber den beeindruckenden Bildband "Houseraising" (Daylight Books. 112 Seiten, 26,65 Euro) gemacht. Ein Gespräch über Architektur in Zeiten des Klimawandels, während Dorian gerade die Ostküste heraufzieht.

SZ: Wie sind Sie auf dieses Projekt gekommen?

Ira Wagner: Ich lebe in New Jersey. Sandy ist im Oktober 2012 über die Ostküste hinweggezogen. Wenige Monate später sah ich dann, wie eines der stark beschädigten Häuser an der Küste plötzlich aufgebockt worden war - ein Stockwerk Beton drunter. Ich hab ein Foto davon gemacht, weil ich mich so darüber gewundert habe. Und dann ging das überall los, bisschen wie bei Pilzkulturen. Kaum war ein Haus in die Höhe gewachsen, ploppten die umliegenden auch nach oben.

Wie werden diese Häuser präpariert?

Erst werden alle Leitungen gekappt und das Haus wird wie mit einem Messer vom Boden getrennt. Dann wird es erst auf eine mobile Hydraulikbühne gesetzt und dann werden die Mauern darunter geschoben.

Man sieht auf ihren Bildern neben den Stelzenhäusern auch viele Häuser, die am Boden geblieben sind. Warum?

Weil viele Leute sich diese architektonische Aufrüstung schlichtweg nicht leisten konnten, das Ganze kostet schließlich rund 100 000 Dollar. Und da sind die sonstigen Schäden, die der Hurrikan zuvor an den Häusern angerichtet hat, noch gar nicht mitberechnet.

Ihre Bilder sind so irritierend, weil man sich immer fragt: Ist das jetzt ein Zeichen für besonders clevere Ingenieurskunst oder für völlige Ignoranz und Verdrängung?

Ich wollte kein Urteil abgeben, sondern dass man sich genau diese Fragen stellt: Ist das Mut oder Beklopptheit, Zähigkeit oder kollektive Verdrängung? Und warum wollen Leute unbedingt an einem derart gefährlichen, im Grunde auf Dauer unbewohnbaren Ort bleiben?

Und wie lautete Ihre eigene Antwort?

Heimat ist eine sehr elementare Kraft.

Wie sehr war denn der Klimawandel ein Thema für diese Leute?

Der britische Autor George Marshall hat ein sehr schönes Nachwort zu "Houseraising" geschrieben. Darin erzählt er, dass er nach Sandy mit 30 Menschen gesprochen hat, die unmittelbar von dem Hurrikan betroffen waren. Am Ende fragte er sie immer, wann sie das letzte Mal über den Klimawandel geredet hatten. Da haben ihn alle erstaunt angesehen; keiner von ihnen konnte sich an irgendein Gespräch über das Thema erinnern.

Wie kann das sein? Wissenschaftler haben seit über 20 Jahren vorausgesagt, dass der Klimawandel stärkere Hurrikane zur Folge haben würde. Und es gibt Umfragen, denen zufolge die Mehrheit der Menschen in New Jersey weiß, dass es den Klimawandel gibt.

Ich erkläre mir das über so eine Art gruppenpsychologische Dynamik. Die Leute entscheiden sich, es zu ignorieren oder reden sich ein, dass sie die Intensität des Ereignisses in Zukunft schützt: Das ist mir ja jetzt schon mal passiert, also geschieht es bestimmt nicht noch mal. Eine aktive Selbsttäuschung. Aber noch mal: Keiner verliert gern sein Zuhause. Die Fähigkeit, in die Ferne zu planen und die Dinge im größeren Maßstab zu sehen, ist nur bei wenigen Leuten wirklich ausgebildet. Es kaufen in der Gegend ja auch immer noch viele Menschen Häuser, um dort Familien zu gründen, das find ich schon erstaunlich.

Sind die Preise nicht gesunken?

Nicht wirklich. Sie explodieren nicht derart wie andernorts, aber sie sinken auch noch nicht.

Jetzt zieht Dorian die Ostküste entlang, der stärkste Hurrikan, der jemals in diesen Breiten gemessen wurde. Wird darüber im Kontext des Klimawandels gesprochen?

Einige diskutieren natürlich darüber, dass Dorian stärker ist, weil das Atlantikwasser mittlerweile so enorm aufgeheizt ist am Ende des Sommers. Aber in den Nachrichten ist das kaum Thema. Vielleicht kommt das ja noch, wenn die ganzen Katastrophenberichte über die Zerstörungen vorbei sind, aber ich habe meine Zweifel. Schon erstaunlich: Trump hat selbst eine Immobilie, die sehr stark betroffen sein könnte. Aber trotzdem scheint es ihn nicht wirklich zu interessieren.

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