Hambacher Forst:NRW-Regierung in Erklärungsnot

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NRW-Innenminister Herbert Reul muss einräumen, er habe vor der Räumung des Hambacher Forsts zweimal persönliche Gespräche mit Spitzenmanagern des Energiekonzerns RWE geführt. (Foto: Federico Gambarini/dpa)
  • NRW-Innenminister Reul hat Gespräche mit dem Energiekonzern RWE im Vorfeld der Räumung des Hambacher Forsts eingeräumt.
  • Er korrigierte damit seine eigene Aussage in einem WDR-Interview in der vergangenen Woche, wonach er solche Gespräche nicht geführt habe.
  • Schon vergangenes Jahr haben Umweltschützer den Polizeieinsatz im Hambacher Forst wegen Hinweisen auf fehlenden Brandschutz als "Vorwand" kritisiert.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Die Umstände der Räumung des Hambacher Forsts vor fast genau einem Jahr bringen Nordrhein-Westfalens Landesregierung zunehmend in Erklärungsnot. Innenminister Herbert Reul (CDU) musste am Mittwoch einräumen, er habe in den Wochen vor dem größten Polizeieinsatz in der Geschichte des Bundeslandes zweimal persönliche Gespräche mit Spitzenmanagern des Energiekonzerns RWE geführt. Noch vorige Woche hatte Reul in einem WDR-Interview gesagt, er habe damals "gar keinen Kontakt gehabt mit RWE," schließlich sei er "nicht Erfüllungsgehilfe von irgendeinem".

Waldbesetzer und Braunkohle-Gegner werfen der schwarz-gelben Regierung bis heute vor, die aufwendige Räumung von 82 Baumhäusern im September 2018 habe allein der Vorbereitung der ab Oktober von RWE geplanten Rodung des Forsts gedient. Dazu kam es nie, weil das Oberverwaltungsgericht Münster am 5. Oktober überraschend einen Rodungsstopp verhängte.

Reul wie auch NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach hatten vor einem Jahr wiederholt betont, Räumung und Rodung des Waldes hätten nichts miteinander zu tun. Als Rechtsgrundlage für den massiven Polizeieinsatz nannte Scharrenbach (CDU) vielmehr Verstöße gegen Bauordnung und Brandschutz: Im Falle eines Feuers lauere in den Baumhäusern "Gefahr für Leib und Leben", erklärte Scharrenbach damals: "Deshalb ist Sofortvollzug erforderlich."

Schon voriges Jahr hatten Umweltschützer wie auch Polizei-Gewerkschafter Hinweise auf fehlenden Brandschutz als "Vorwand" kritisiert. Zuvor hatten die für den Hambacher Forst zuständigen Gemeinden Kerpen und Merzenich einen RWE-Antrag abgelehnt, die Besetzer zu entfernen. Tatsächlich zeigen zwei nun veröffentlichte Gutachten, wie die Landesregierung im August 2018 händeringend nach einer Rechtsgrundlage für die Räumung suchte.

Die Opposition im Landtag wirft der Regierung Täuschung vor

Im Auftrag der NRW-Regierung prüfte eine Anwaltskanzlei aus Münster im August 2018 diverse Begründungen für einen Polizeieinsatz: Präventive Verhütung von Straftaten, Vollzugshilfe für die lokalen Behörden, Aufenthaltsverbote wie auch das Forstrecht boten jedoch keinen rechtlichen Hebel. Als juristischen Königspfad in den Wald empfahl die Kanzlei (für ein Honorar von 57 524,52 Euro) allein den Weg über Baurecht und Brandschutz.

Innenminister Reul rechtfertigt dieses Vorgehen bis heute. Es wolle in NRW "keine rechtsfreien Räume mehr zulassen", sagte der CDU-Politiker vorige Woche, dafür gehe er "die Wege, die rechtlich möglich sind". Die Regierung verweist zudem darauf, dass im September 2018 gleich drei Gerichte ihr Vorgehen billigten. Das Oberverwaltungsgericht Münster stellte sogar fest, dass die Waldbesetzer keinen Schutz nach dem Versammlungsrecht genossen, da sie wiederholt gewaltsam gegen RWE-Mitarbeiter und Polizisten vorgegangen seien.

Die Opposition im Landtag wirft der Regierung gleichwohl vor, sie habe voriges Jahr die Öffentlichkeit getäuscht. Zusätzliches Öl ins Feuer gießen nun die Widersprüche von Reul. Der CDU-Mann ist als Politiker bekannt, der ungeschützt und bisweilen unbedacht auf Fragen antwortet. Dass er erst nach einem "Blick in den Kalender" gemerkt haben will, dass er sich noch am 15. August 2018 - also vier Wochen vor Beginn der Räumung - im Ministerium mit RWE-Vorstandschef Rolf Martin Schmitz traf und dessen Pläne für die Rodung des Waldes vernahm - das mögen im Landtag nicht alle glauben. Verena Schäffer von den Grünen plagt der Verdacht, die Regierung habe sich eben doch "zur Erfüllungsgehilfin eines Unternehmens gemacht". Und SPD-Politiker Jochen Ott hielt Reul "eine Falschaussage" vor.

In Erklärungsnot bringt die Regierung zudem die Lage im Hambacher Forst. Dort stehen inzwischen 60 neue Baumhäuser, ohne dass die Regierung um Brandschutz bangt. Denn längst gilt der Kompromiss der Kohlekommission - weshalb auch die NRW-Regierung nun die Bäume retten und keine Polizisten mehr in den Wald schicken will.

© SZ vom 05.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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