Italien:Die Anti-Salvini

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Matteo Salvini hat ihre Arbeit öffentlich gelobt, nun ist sie seine Nachfolgerin: Luciana Lamorgese (Foto: Filippo Monteforte/AFP)
  • Italiens neue Innenministerin Luciana Lamorgese ist ein perfekter Gegenentwurf zu ihrem rechten Vorgänger.
  • Mit ihr soll der Umgang mit Migranten normalisiert und möglichst entpolitisiert werden.
  • Rechte Zeitungen bezeichnen sie als "Freundin der Migranten". Salvini fällt es aber schwer, sie öffentlich zu kritisieren. Vor knapp einem Jahr hat er sie öffentlich gelobt.

Von Oliver Meiler, Rom

Luciana Lamorgese twittert nicht, und das ist schon mal ein Segen. Auf Facebook ist sie auch nicht, wenigstens nicht öffentlich. Es wird also keine Liveschaltungen mehr geben vom Dach des italienischen Innenministeriums, mit Monologen und verzerrtem Gesicht, wie man sie von Matteo Salvini gewohnt war. In ihrer Außenwirkung ist Italiens neue Innenministerin, 66 Jahre alt, aus Potenza in der süditalienischen Region Basilicata, ein perfekter Gegenentwurf zu ihrem Vorgänger: nüchtern beamtenhaft, nie ein Wort zu viel. Und das war ihren Förderern fast genauso wichtig wie ihre Positionen zu jener Frage, die über Erfolg und Misserfolg ihrer Mission entscheiden wird: die Migration.

Lamorgese ist am Donnerstag zusammen mit ihren Kollegen des Conte II, des neuen Kabinetts von Ministerpräsident Giuseppe Conte, im Quirinalspalast vereidigt worden. 21 Minister sind es insgesamt, ein eher umfangreiches Team also. Mit einem Durchschnittsalter von 47,4 Jahren ist es die jüngste Regierung in der Geschichte der italienischen Republik, Lamorgese ist ihr ältestes Mitglied. Elf Minister kommen aus Süditalien, zwei aus Rom und nur sieben aus dem Norden, was dort, zumal in Kreisen der rechten Partei Lega, wie eine Kampfansage empfunden wird. Die Cinque Stelle stellen zehn Minister, der sozialdemokratische Partito Democratico neun, einer kommt von der linken Partei "Liberi e Uguali", die sich dem neuen Koalitionsduo anschließt. Ihr erster Beschluss: Sie nominierten den früheren sozialdemokratischen Premier Paolo Gentiloni als Italiens neuen EU-Kommissar.

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Luciana Lamorgese ist die einzige Parteilose im Conte II, und auch das war eine bewusste Entscheidung. Das Innere mit seinen sensiblen Themen Sicherheit und Immigration war von Salvini während seiner 14 Monate dauernden Amtszeit überemotionalisiert, dramatisiert und politisiert worden: Das Ministerium diente ihm als Konsensmaschine. Er war zwar nicht oft im Büro, seine Auftritte in Polizeikleidung sollten aber signalisieren, dass er ganz allein das Land und seine Grenzen schütze. Er ließ Häfen für Rettungsschiffe schließen und schimpfte deren Crews "Vizeschlepper". Kapitänin Carola Rackete von der Sea Watch 3 nannte er eine "reiche, deutsche Göre", "Kriminelle", "Piratin", "Zecke" - nun ist gegen ihn in Mailand ein Ermittlungsverfahren wegen Verleumdung eingeleitet worden.

Seit vier Jahrzehnten arbeitet Lamorgese im Innenministerium. Sie kennt den Apparat bestens

Dank Lamorgese, einer Karrierebeamtin, soll der Umgang Italiens mit den Migranten und den NGOs normalisiert und möglichst entpolitisiert werden. Seit vier Jahrzehnten steht die neue Ministerin schon im Dienst des Innenministeriums, davon einige Jahre lang als Kabinettschefin zweier Minister. Sie kennt den Apparat. Ab 2003 war sie Präfektin. So, "prefetto", nennt man in der italienischen Verwaltungsordnung Leitungspersönlichkeiten und Emissäre des Innenministers in den Provinzen. Lamorgese leitete die Präfektur von Venedig und zuletzt jene Mailands.

Als sie im vergangenen Herbst in den Ruhestand trat, in einer Zeremonie mit Würdenträgern aus allen Parteien, hielt Salvini die Abschiedsrede. Er lobte ihre Arbeit in allen Tönen, öffentlich. Es fällt ihm deshalb jetzt schwer, sie zu kritisieren, wie es die rechten Zeitungen tun. "Freundin der Migranten", nennen sie Lamorgese. Gemeint ist das als Beschimpfung.

Dabei gilt sie keineswegs als lax. Den Mailänder Hauptbahnhof, die Stazione Centrale, ließ sie mit aller Konsequenz räumen, als sich dort gestrandete Einwanderer eingerichtet hatten. Doch gleichzeitig schaffte sie es, dass zuvor renitente Bürgermeister der Lega Migranten in ihren Gemeinden aufnahmen - nach ihren Regeln und ihrem Verteilungsschlüssel, dem "Protocollo migranti".

Salvini sucht Pilze

Überträgt man die Methode auf ihre neue, nationale Funktion, würde das bedeuten, dass Lamorgese bald in Brüssel bei den Partnerstaaten der EU um eine gerechtere Verteilung der Ankömmlinge wirbt und kämpft, vielleicht auch für eine Reform des Dubliner Asylabkommens. Je schneller, desto besser. Ein Dilemma erwächst ihr nämlich umgehend an den Südgrenzen: Öffnet sie die Häfen in Lampedusa und Sizilien wieder, bevor Europa sich solidarischer zeigt mit den exponierten Ländern, wird Salvini die Ankunft von jedem Schiff genüsslich ausschlachten, mit Liveschaltungen und Tweets.

Zur traditionellen Schlüsselübergabe im Ministerium wurde er nicht erwartet. Salvini ist gerade im Urlaub im Trentino, wie er über die sozialen Medien alle wissen lässt, auf Pilzsuche. Nötig war die Einführung allerdings ohnehin nicht, Lamorgese kennt das Innenministerium besser als ihr Vorgänger.

© SZ vom 06.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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