Landtagswahl:Bodo Ramelow hat ein Problem

Jahresempfang der Fraktion Die Linke in Thüringen

Jahresempfang der Fraktion Die Linke in Thüringen 04.09.2019, Thüringen, Erfurt: Bodo Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen, steht beim Jahresempfang 2019 der Fraktion Die Linke im Thüringer Landtag auf der Bühne. Rund 400 Gäste kamen in den Zughafen. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

(Foto: dpa)
  • In Sachsen und Brandenburg haben die Linken viele Wählerstimmen verloren.
  • Nun streitet die Partei um die Gründe. "Wir haben kein Angebot für eine mögliche Regierungskonstellation gemacht", sagt eine Abgeordnete.
  • In Thüringen scheint sich Ministerpräsident Bodo Ramelow mehr für den Borkenkäfer als für den Zustand seiner Partei zu interessieren.

Von Antonie Rietzschel, Leipzig/Erfurt

Juliane Nagel hat Grund zu feiern. Am 1. September holte die Linken-Politikerin zum zweiten Mal das Direktmandat. In ihrem Wahlkreis im Leipziger Süden erreichte sie 27,4 Prozent. Doch Nagel war in den letzten Tagen vor allem zum Heulen zumute. Denn ihre Partei, einst stärkste oppositionelle Kraft, ist nach den Landtagswahlen auf 10,4 Prozent abgestürzt. Von 27 Abgeordneten sind nur noch 14 übrig. Nagel ist in diesen Tagen eine Gewinnerin unter sehr vielen Verlierern. Ihre Stimmung? "Mittel."

Die Verluste in Sachsen und Brandenburg haben auch die Bundespartei tief erschüttert. Am Montag war in Berlin von einer "deutlichen Niederlage", von "schweren strukturellen Schwächen" die Rede. Parteivorsitzende Katja Kipping kündigte an, man wolle "ohne Tabus über eine Neuaufstellung" sprechen. Sie redete von personellen Konsequenzen. Dabei stand die Fehleranalyse in Brandenburg und Sachsen noch am Anfang. Und Genossinnen wie Nagel befanden sich in Schockstarre.

Wenige Tage später sitzt Nagel vor dem Linxxnet, einem Treffpunkt im Leipziger Stadtteil Connewitz, der auch ihr Büro beherbergt. Die 40-Jährige hat mehrere Gesprächsrunden hinter sich, in denen sie und ihre Mitstreiter nach den Gründen für das schlechte Abschneiden der Partei suchten. Es flossen Tränen. Auch bei Nagel. Manche glauben, es lag an den Wahlplakaten, die weniger den politischen Gegner, sondern eher Deutschlehrer zur Weißglut brachten, weil das Wort Sozialismus darauf falsch getrennt war: SOZI-ALI-SMUS. Andere fanden den Spitzenkandidaten und Fraktionschef Rico Gebhardt im Wahlkampf zu behäbig. Nagel sagt: "Diese Wahl war von Angst vor der AfD getrieben."

Vorwürfe an die eigene Partei

Angesichts eines drohenden Sieges der Rechtspopulisten entschieden sich viele Sachsen, entgegen ihrer politischen Überzeugung zu wählen. So verlor die Linke die meisten Stimmen nicht an die AfD, sondern an die CDU. Nagel gewann zwar ihren Wahlkreis. Aber anders als bei der Landtagswahl 2014 wurde die CDU im Leipziger Süden stärkste Kraft. Ausgerechnet die Partei, deren Politiker den Stadtteil Connewitz regelmäßig als Nährboden für Linksextremisten und deren Bewohner als "Chaoten" verteufeln, Nagel eingeschlossen.

Die Politikerin ist weit davon entfernt, ihre Partei schlicht als Opfer politischer Umstände zu sehen. Sie macht der sächsischen Linken Vorwürfe. Weil sie im Wahlkampf nicht mehr wollte, als Oppositionspartei zu werden. "Wir haben kein Angebot für eine mögliche Regierungskonstellation gemacht", sagt Nagel. Sie unterstützte "Sachsen kippt", eine Initiative von Grünen, Sozialdemokraten und Linken, die sich für eine rot-rot-grüne Landesregierung aussprachen.

Nagels Partei zog nicht mit. Sie inszenierte sich als Protest- und Ostpartei - obwohl die AfD diese Rolle erfolgreicher ausfüllte, obwohl die Linken woanders mitregieren, in Thüringen, Bremen, Berlin - zuletzt auch in Brandenburg. "Wir brauchen in Sachsen dringend eine neue Identität", sagt Juliane Nagel. Ihre Partei müsse zudem Antworten auf drängende Fragen liefern. Etwa, wie der Klimaschutz sozial verträglich gelingen kann. Die Partei müsse weg von ihrem urbanen Image und stärker im ländlichen Raum präsent sein. Nagel hofft auf die Klausur Mitte September, bei der die Partei über die künftige Ausrichtung beraten will.

Das aus Sicht des Ministerpräsidenten derzeit größte Problem: der Borkenkäfer

Zu personellen Fragen will sie nichts sagen. Mit Sorge beobachtet sie das Vorpreschen von Teilen der Leipziger Stadtratsfraktion. Die hatten in einem Brief den Rücktritt der Landesspitze gefordert. Nagel und zwei weitere Landtagsabgeordnete reagierten mit einer Erklärung. Darin fordern sie, die "aus der Bundespartei bekannte harte, öffentliche Auseinandersetzung jetzt nicht auch noch im Landesverband zu führen". Nagel fürchtet eine Selbstzerfleischung, die nicht nur der Linken in Sachsen schadet, sondern auch den Parteikollegen in Thüringen. Die wollen schließlich Ende Oktober eine Landtagswahl gewinnen.

Bodo Ramelow ist als Ministerpräsident von Thüringen prominenter Vertreter seiner Partei. Doch deren Zustand scheint ihn derzeit kaum zu interessieren. Das größte Problem des Ministerpräsidenten ist wenige Millimeter groß, hart gepanzert und unersättlich: Der Borkenkäfer hat sich diesen Sommer durch Ramelows Waldbestand gefressen. 19 Bäume musste er deswegen umsägen und zu Brennholz zerhacken. Mit der Spaltaxt. "Die ist gesaust." So erzählt er es beim Sommerempfang der Linken-Fraktion in Erfurt.

"Ich muss mein Amt als Ministerpräsident verteidigen"

Hunderte Menschen sind an diesem Abend zu einer alten Industriehalle in der Nähe des Bahnhofs gekommen, sonst ein Ort für Flohmärkte und Konzerte. In mit Eis gefüllten Zinkwannen liegen Bierflaschen. Die Band spielt einen bekannten Song des Jazz-Sängers Bill Withers. "Just one look at you and I know it's gonna be a lovely day." Auftritt Bodo Ramelow. "Wir müssen wieder positiv über Politik reden", sagt er. Ramelow spricht über die Erfolge der rot-rot-grünen Landesregierung: Hunderte neu eingestellte Lehrer, Beitragsfreiheit für das erste Kita-Jahr. Dann geht es wieder um den Wald, darum, was Ramelow wirklich Sorgen macht. Durch die Hitze und den Borkenkäfer sind 40 000 Hektar Wald gefährdet. Die Rettung der Bäume wird Ramelows zentrales Wahlkampfthema sein.

Doch wie steht er zur Rettung seiner Partei? "Ich muss mein Amt als Ministerpräsident verteidigen. Wer Fragen zur Partei hat, muss sich an die wenden", sagt Ramelow nach der Rede. Zu seinen Füßen steht Hund Attila, wedelt mit dem Schwanz. Sein Herrchen wird nach dem Sommerempfang zu einer Dialogreihe aufbrechen. Quer durch Thüringen.

Unterwegs wird auch der weiße Lieferwagen sein, der draußen auf dem Parkplatz steht. Eine Art Tante-Emma-Laden auf Rädern. Er soll vor allem in den Dörfern zum Einsatz kommen. Drinnen macht eine Wahlkampfhelferin Inventur. In der Auslage liegen trockene Brötchen, Senf aus Bautzen, Frühstücksflocken aus Wurzen. Es sind die Reste, die vom Wahlkampf in Sachsen übrig geblieben sind.

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