Europäische Zentralbank:Draghi sorgt noch schnell für den Notfall vor

EZB während der Luminale 2016

„Whatever it takes“: Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits vor dem Urteil vom Dienstag Bedenken gegen die unbegrenzten Anleihekäufe der EZB (hier deren Zentrale in Frankfurt) formuliert.

(Foto: Boris Roessler/dpa)
  • Der scheidende EZB-Chef Mario Draghi plant seinen Abschiedsstreich: ein Rettungspaket, das dem drohenden Konjunkturabschwung entgegenwirken soll.
  • Doch damit will er auch die zunehmende Machtlosigkeit der Institution verschleiern, denn die Mittel der EZB sind bald erschöpft.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Mario Draghi gilt als mächtiger Mann an der Spitze einer mächtigen Institution. Der scheidende EZB-Präsident hat in seiner achtjährigen Amtszeit gezeigt, was es bedeutet, den Finger am Knopf der Geldpresse zu haben. Nun plant der Magier, wie ihn die Finanzmärkte gerne nennen, seinen Abschiedsstreich. Er möchte die Kollegen im EZB-Rat am Donnerstag überzeugen, noch einmal ein großes Rettungspaket zu beschließen. So soll der drohende Konjunkturabschwung eingehegt werden. Es geht um die Erhöhung des umstrittenen Strafzinses auf Bankeinlagen, die Wiederaufnahme des Anleiheprogramms und Billigkredite für Banken.

Doch dieser Aktionismus verschleiert die zunehmende Machtlosigkeit der Währungshüter. Draghi weiß das. Deshalb hat er seinen Fachabteilungen den Auftrag gegeben, den Blick 360 Grad schweifen zu lassen. Die Experten sollen Handlungsoptionen für die Zukunft ausloten. Es geht um die quälende Frage, was die EZB denn tun könnte, wenn sich mit Leitzinssenkungen und Anleihekäufen nicht mehr viel bewegen lässt. Die zuständigen Abteilungen prüfen nach SZ-Informationen daher erstmals gezielt, ob und wie die EZB im Ernstfall an den Börsen Aktien kaufen könnte.

Die japanische Notenbank und auch die Schweizerische Nationalbank machen das schon länger - doch für die EZB wäre dieser Schritt ein Novum. Darüber hinaus wird dem Vernehmen nach auch die Möglichkeit des Erwerbs von unbesicherten Bankanleihen abgeklopft. Diese Maßnahme gilt als besonders heikel, weil die EZB gleichzeitig Bankenaufsichtsbehörde ist. Die Sondierung, ob diese Ideen überhaupt umsetzbar und tauglich wären, steckt in den Anfängen. Die EZB wollte den Sachverhalt nicht kommentieren.

Der Prüfungsvorgang ist bemerkenswert, auch wenn mit einem entsprechenden Beschluss des EZB-Rats in naher Zukunft nicht zu rechnen ist. Er belegt, dass die Notenbank Fantasie entwickeln muss auf der Suche nach Maßnahmen, mit denen die Euro-Zone im Falle einer erneuten Finanzkrise oder Rezession stabilisiert werden könnte. Im Prinzip haben alle westlichen Notenbanken ein ähnliches Problem. Deshalb kommen nun Ideen auf den Tisch, die früher nur in Hinterzimmern diskutiert worden wären. Ganz vorne dabei die Modern Monetary Theory amerikanischer Wissenschaftler. Sie redet der Staatsfinanzierung über die Notenpresse das Wort, flankiert vom ehemaligen Chefökonomen des Internationalen Währungsfonds, Olivier Blanchard, der Staatsschulden insgesamt für unproblematisch hält, solange die Niedrigzinsphase andauere.

Zudem dräut am Horizont die Idee vom Helikoptergeld. Notenbanker könnten den Bürgern demnach direkt Geld überweisen. Die Umsetzung würde juristische Tücken haben, doch man könnte das unbegrenzt vorrätige Notenbankgeld auch auf anderem Wege der Gesellschaft zuführen. Der ehemalige Chef der Schweizer Notenbank, Philipp Hildebrand, und der ehemalige Vize-Präsident der amerikanischen Federal Reserve, Stanley Fischer - beide nun in Diensten des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock - schlagen vor, die Notenbank solle für den Ernstfall eine riesige Geldreserve vorhalten, die dann in Kooperation mit den Regierungen in die Wirtschaft investiert würde. Dieser Vorschlag trägt häretische Züge, denn die verbriefte Unabhängigkeit der Währungshüter soll ja genau vermeiden, dass Geldpolitiker und Finanzminister an einem Strang ziehen.

Die EZB hält ein Drittel der Staatsschulden im Euro-Raum, das stößt irgendwann an Grenzen

Doch an der Prämisse der beiden Ex-Notenbanker kommt man kaum vorbei: Währungshüter können die nächste Finanzkrise weder mit den Leitzins, noch durch Anleihekäufe wirksam bekämpfen. Das ist das Erbe der Ära Draghi. Die Maßnahmen der EZB stoßen an ihre Grenzen. Zum Beispiel der Strafzins auf Bankeinlagen. Sobald die Institute diese Kosten umlegen, droht die Gefahr, dass Kunden in Massen Bargeld abheben würden. Beispiel Anleihekäufe. Die EZB hält schon ein Drittel der Staatsschulden im Euro-Raum, das kann man nicht unbegrenzt fortsetzen, es gibt juristische Grenzen. Zudem verzerren die Maßnahmen der EZB die Preise an den Börsen, die niedrigen Zinsen halten kranke Banken und Firmen am Leben (Zombifizierung der Wirtschaft), die Vermögensverteilung in der Gesellschaft verändert sich.

Natürlich könnte die EZB jetzt sagen: Es reicht, wir können und wollen nicht mehr. Aber dieses Signal der Hilflosigkeit widerspräche der DNA und dem Selbstverständnis einer Notenbank. "Eine mögliche Ausdehnung des Anleihekaufprogramms der EZB auf Aktien wäre sicherlich eine weitere Notfallmaßnahme, wenn die bis dahin eingesetzten Instrumente nicht den erhofften Erfolg gebracht haben", sagt Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank. Der Experte bezweifelt jedoch, dass Aktienkäufe die Inflation oder Konjunktur nachhaltig beeinflussen würden. "Einzig der Aufbau einer Preisblase an den Aktienmärkten wäre die Folge."

Doch das Thema ist heiß. Der finnische Notenbankchef Olli Rehn hatte vor ein paar Wochen als erstes EZB-Ratsmitglied den Ankauf von Aktien als mögliche Notmaßnahme vorgeschlagen. Es folgte sofort Protest von Kollegen, die ahnten: Die Notenbank macht mit Aktienkäufen die Unternehmensteilhaber reicher. Doch was ist mit den anderen Menschen? Da gäbe es wohl gleich eine Ungleichheitsdebatte. Auch technische Probleme wären zu lösen: Sollte die EZB einzelne Aktien kaufen oder einen Index, und wenn, welchen Index?

Die Nachfolgerin von Draghi an der Notenbankspitze, die Französin Christine Lagarde, wird den Wirkungsbereich der Notenbank neu zu vermessen haben. In ihrer Anhörung vor dem EU-Parlament sagte sie, die Währungshüter müssten bei ihren Entscheidungen die Interessen und Sorgen der Bürger berücksichtigen. Die Menschen sollten verstehen, warum die Notenbank bestimmte Dinge tut. Das ist neu, Lagarde will sich auch an die Bevölkerung wenden, und nicht mehr nur an Finanzmärkte, die sich über billiges Geld freuen. Man möchte sie beim Wort nehmen.

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