BR-Film "Play":Schöner als im echten Leben

'Play'

Jennifer Reitwein (Emma Bading), onlinespielsüchtige Protagonistin im Spielfilm "Play".

(Foto: dpa)
  • Der BR-Film "Play" dreht sich um die 17-jährige Jennifer (Emma Bading), die süchtig nach einem Online-Rollenspiel ist.
  • Der Film zeigt in drastischen Szenen, wie Jennifer sich zunehmend in der digitalen Welt verliert - trotz psychischer und körperlicher Belastungen.

Von Kathrin Hollmer

Es läuft nicht gut im echten Leben von Jennifer. Die Eltern sind mit ihr von Wuppertal nach München gezogen. In der Schule ist sie die Außenseiterin, die Freundinnen von früher antworten nicht mehr auf ihre Sprachnachrichten. Die 17-Jährige ist unzufrieden, mit ihrem Körper, ihrem Aussehen. Aber dann ist da ja noch Sindruin, Jennifers Avatar in einem Virtual-Reality-Rollenspiel namens Avalonia. Sindruin ist eine Waldelbe, furchtlos und stark, sie erklimmt steile Felswände und kämpft mit Pfeil und Bogen. In dieser Welt läuft's gut.

Der BR-Film Play nimmt sein Publikum mit in eine Spielewelt, in der es nicht um Aussehen und Beliebtheit geht, sondern um Level und gesammelte Experience Points, die Erfahrungspunkte. Sie "wollte einfach abtauchen in was Schönes und darin verschwinden", sagt die von Emma Bading gespielte Jennifer am Anfang in einer Therapiesituation, die andeutet, dass diese Schönheit ihren Preis hat.

Ein Pluspunkt des gelungenen Spielfilms ist, dass Jennifer schon mal nicht dem Klischeebild eines bleichen Kellerzockers entspricht. "Im Prinzip kann jeder online-spielsüchtig werden", sagt Franz Joseph Freisleder, ärztlicher Direktor der kbo-Heckscher-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in München. Bei einer Pressevorführung sagt er, der Film sei "relativ nah dran an dem, was wir auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie erleben".

Vor einigen Jahren hat eine Studie ergeben, dass mehr als eine halbe Million Menschen im Alter von 14 bis 64 Jahren in Deutschland als internetabhängig gelten. Das entspricht etwa einem Prozent. In der Gruppe der 14- bis 16-Jährigen sind es etwa vier Prozent. Es hat dennoch bis zum vergangenen Jahr gedauert, bis die Weltgesundheitsorganisation WHO Computerspiel-Abhängigkeit als Sucht einstufte.

Die Phasen, die Jennifer im Lauf der Geschichte durchläuft, kennt auch Ludwig Beeg, Familientherapeut und Mediensucht-Experte, der computerspielsüchtige Jugendliche betreut und bei der Vorführung im Zuschauerraum sitzt. "Spielsüchtige berichten, wie sie nach dem Kick am Anfang nicht aufhören können, obwohl es sie psychisch und körperlich auslaugt", sagt er. Im Film belügt Jennifer ihre Eltern, umgeht deren Verbote und Wlan-Sperren und zockt die Nächte durch. Als die Eltern ihr den Computer wegnehmen, entwickelt sie Entzugserscheinungen. Menschen in der echten Welt interessieren sie nicht mehr. Es sei denn, sie haben einen Computer, wie jener Freund, dem Jennifer sein Gerät klaut, um weiterspielen zu können.

"Betroffene machen im Spiel mehr positive Erfahrungen als sie je im realen Leben gemacht haben", sagt Ludwig Beeg, "weil sie vielleicht zum ersten Mal für etwas, das sie richtig gut können, Lob und Anerkennung erfahren." Wer das sonst nicht bekommt, ist anfälliger für so eine Sucht. Jennifers Rausch beim Spielen berührt, ebenso ihre Einsamkeit und ihr Selbsthass.

Stundenlang liegt sie in ihrem Zimmer und wartet darauf, dass die Zeit vergeht. Die Szenen sind ungewohnt häufig ohne Hintergrundmusik. So entsteht eine Stille, die man aushalten muss und dank des hervorragenden Spiels von Hauptdarstellerin Emma Bading auch kann.

Eine weitere Stärke des Films ist, dass er Computerspiele trotz aller Gefahren nicht verteufelt. Jennifers Freund Pierre spielt maßvoll und hört damit auf, als er fürs Abi lernen muss. Der Regisseur und Drehbuchautor Philip Koch, der 2018 mit dem "Vampir"-Tatort aufgefallen ist, und der Drehbuchautor Hamid Baroua wollten merklich auch die Faszination von Computerspielen spürbar machen. Diese Anziehungskraft hat Play filmisch sehr gelungen übersetzt. Avalonia ist bunter als das echte Leben. Der Erzählstrang im Spiel ist in einer Echtzeit-Game-Engine produziert worden, die animierten Sequenzen sind technisch aufwendig gemacht. Im deutschen Fernsehen gab es das bislang nicht.

Jennifers Spiel wird in sinnlichen Bildern gezeigt. Wenn sie, mit der VR-Brille auf dem Kopf und mit Gamer-Handschuhen bewaffnet, unsichtbare Gegner niedersticht und Bogen spannt, sind das virtuelle Action-Szenen. Auch im Film verschwimmen bald die Grenzen zwischen Realität und Virtual Reality: Jennifer hört auch im echten Leben Stimmen und Geräusche aus dem Spiel, der Wald, in dem sie joggen geht, verschmilzt mit Avalonia.

In seiner Radikalität erinnert Play an den mit einem Grimme-Preis gekürten ARD-Film Das weiße Kaninchen von 2016 zum Thema Cyber-Grooming, die gezielte Anbahnung von Missbrauch im Netz. Auch Play zeigt neben der Faszination Gefahren auf - und die Hilflosigkeit von Jennifers Eltern (Victoria Mayer und Oliver Masucci), die - auch das entspricht häufig der Realität - wenig Ahnung haben, was ihre Tochter eigentlich online so macht. Play ist einer der Filme, die in diesem Fernsehjahr in Erinnerung bleiben werden und vielleicht sogar eine Debatte auslösen. "Aufklärerisch und präventiv" findet Franz Joseph Freisleder die Produktion. "In Deutschland wird immer diskutiert, wie man die Gaming-Industrie fördern kann", sagt Ludwig Beeg, "aber es wird nicht über Risiken aufgeklärt".

Play, Das Erste, Mittwoch, 20.15 Uhr, und bereits in der Mediathek.

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Nico ist 21 und spielsüchtig. Statt Erfahrungen zu sammeln, verbrachte er seine Jugend vor dem Computer. Nach sieben Jahren lernt er wieder zu fühlen, zu riechen, zu erleben.

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