Zweite Stammstrecke:Der Schwammerl am Hauptbahnhof schwindet

Zweite Stammstrecke: Noch im Mai, als die Schalterhalle geschlossen wurde, versuchten Gegner des Abrisses einen Baustopp zu erreichen.

Noch im Mai, als die Schalterhalle geschlossen wurde, versuchten Gegner des Abrisses einen Baustopp zu erreichen.

(Foto: Robert Haas)
  • Am Hauptbahnhof werden die Bauarbeiten für den zweiten S-Bahntunnel gut sichtbar fortgesetzt.
  • Ende des Jahres soll die komplette Schalterhalle Geschichte sein. Gerade verschwindet das markante Vordach, der sogenannte Schwammerl.
  • Im Innenhof des Bahnhofs haben sich die Bagger bereits vier Meter in die Tiefe gegraben. Ende 2019 sollen die Tiefbauarbeiten beginnen.

Von Andreas Schubert

Stück für Stück nagt sich die Schere des Baggers durch den Beton, wie eine Raupe, die sich genüsslich durch einen Pilzhut frisst. Die Assoziation liegt nahe: Was hier gerade am Hauptbahnhof abgerissen wird, ist das Ende des in den 1950er-Jahren gebauten Vordachs des Bahnhofs, des sogenannten Schwammerls. In zwei Wochen wird er komplett verschwunden sein, samt Fundament. Ende des Jahres soll die komplette Schalterhalle Geschichte sein.

Deren Abriss ist umstritten. Denn viele Gegner der Maßnahme, darunter der Verkehrsclub Deutschland und der Bund Naturschutz, lehnen schon die Ursache des Abrisses ab: Die Halle fällt, weil darunter das neue Zugangsgebäude für die zweite unterirdische S-Bahn-Stammstrecke entsteht. Noch im Mai, als die Halle geschlossen wurde, versuchten die Gegner vor Gericht einen Baustopp zu erreichen - wenn auch vergeblich. Nun gibt es kein Zurück mehr.

Dort, wo jahrzehntelang der Schwammerl stand, richten die im Auftrag der Bahn agierenden Baufirmen ihre Baustellenfläche ein. Ende September fangen sie an, die Fassade der Schalterhalle abzutragen, dann wird diese von innen nach außen zurückgebaut. Mit dem Entkernen haben die Bauarbeiter schon begonnen. Außer der Schalterhalle wird auch das Parkhaus an der Bayerstraße abgerissen, das mangels Auslastung als nicht mehr notwendig betrachtet wurde. Für die Planer bedeutete dies eine Erleichterung: Hätte das Parkhaus erhalten werden müssen, wären aufwendige Stützkonstruktionen notwendig geworden, was die Bauarbeiten verkompliziert und verteuert hätte.

Im Innenhof des Bahnhofs haben sich die Bagger bereits vier Meter in die Tiefe gegraben, die nördliche Wand der Schalterhalle steht schon nicht mehr. Ende des Jahres sollen die Tiefbauarbeiten beginnen. Die Arbeiten verlaufen im Prinzip genau so wie am Marienhof, wo ebenfalls ein neuer S-Bahn-Halt entsteht. Am Rande der künftigen Baugrube werden voraussichtlich von kommendem März an sogenannte Schlitzwände erstellt, für die sich die Baumaschinen rund 40 Meter tief ins Erdreich fräsen.

Sie bilden später eine stabile und wasserdichte Betonwand, die die Baugrube stabil macht. Diese Arbeiten werden etwa sechs bis acht Monate dauern. Zudem entstehen in der Grube Stützpfähle, für die etwa 60 Meter tiefe Löcher gebohrt werden, die danach mit Beton verfüllt werden. Auf diese kommt ein Betondeckel, unter dem die Bauarbeiter das rund 40 Meter tiefe künftige Zugangsbauwerk ausheben. Der eigentliche S-Bahnsteig wird etwa 80 Meter weiter westlich in bergmännischer Bauweise errichtet. Er liegt zum Teil unterhalb der denkmalgeschützten Gleishalle. Diese wäre von den Bauarbeiten nicht sichtbar betroffen, wenn die Stadt München nicht beschlossen hätte, dort einen neuen U-Bahnhof für die geplante Linie U9 bauen zu lassen. Dessen künftige Lage befindet sich unterhalb des heutigen Querbahnsteigs. Von diesem werden während des Baus der U-Bahn-Station voraussichtlich nur zwei Drittel begehbar bleiben.

Wie genau sich das auf die rund 450 000 Passagiere auswirkt, die täglich am Hauptbahnhof gezählt werden, ist noch offen. Denn die Planungen für den U-Bahnhof sind noch nicht abgeschlossen. Doch schon jetzt müssen die Fahrgäste wegen der Bauarbeiten Umwege in Kauf nehmen. Die Abkürzung zur U1 und U2 von der Gleis- durch die Schalterhalle gibt es nicht mehr. Es bleibt nur der etwas längere Weg durch das Sperrengeschoss.

Bis zum Jahr 2028 soll die zweite Stammstrecke fertig sein, zumindest nach jetzigem Stand. Zunächst war die Fertigstellung 2026 vorgesehen, wegen fundamentaler Umplanungen verzögert sich das Projekt allerdings. So kamen zu den alten Plänen am Hauptbahnhof nicht nur die Verlegung des künftigen S-Bahnsteigs und die neue Station der U 9 dazu, sondern auch im Ostabschnitt der Stammstrecke eine komplette Verlegung des neuen S-Bahnhofs weg vom Orleansplatz hin zur Friedenstraße, was auch eine geänderte Streckenführung nach sich zieht.

Das neue Zugangsgebäude am Hauptbahnhof, der sogenannte Nukleus, sowie die neue Empfangshalle sollen zusammen mit der Stammstrecke fertig werden - wenn alles optimal läuft, wie ein Bahnsprecher erläutert. Es wird 35 Meter und sieben Stockwerke hoch sein und Büros, Gastronomie und ein Servicezentrum enthalten. Ansonsten hält sich die Bahn mit Zeitprognosen zurück. So soll auch der Starnberger Flügelbahnhof abgerissen und neu gebaut werden. Der Baubeginn sei - wie es bei der Bahn heißt - "frühestens" im Jahr 2023. Denn der Zeitplan ist auch davon abhängig, wann die Abriss- und Neubaugenehmigungen erteilt werden. Sind diese erfolgt, sei mit einer Bauzeit von etwa drei Jahren zu rechnen.

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