US-Open-Sieger Rafael Nadal:Sich selbst zu quälen, macht ihm sogar Spaß

Tennis: Grand Slam Tournaments - US Open

Rafael Nadal nach seinem Sieg im Finale der US Open.

(Foto: AFP)
  • Rafael Nadal hat bei den US Open ein unfassliches Endspiel gegen Daniil Medwedew gewonnen.
  • Mit seinem 19. Grand-Slam-Titel liegt er nun dicht hinter Roger Federer (20) und noch deutlicher vor Novak Djokovic (16).
  • Bei seinem Training erhält man Einblicke, warum der 33 Jahre alte Spanier noch lange nicht satt ist.

Von Jürgen Schmieder, New York

Wer die US Open gewinnt, der bekommt nicht einfach einen Pokal und einen Scheck über 3,85 Millionen Dollar in die Hand gedrückt. Wer dieses Turnier gewinnt, der muss erst einmal warten, bis die Bühne aufgebaut ist und die Chefs von Sponsoren aus den Logen zum Spielfeld gekommen sind. Es war dann stockdunkel im Artur Ashe Stadium, und da saß er, der nun neunzehnmalige Grand-Slam-Sieger Rafael Nadal, er hatte sich schnell ein frisches Hemd angezogen und die Haare doch sehr brav über den Kopf gekämmt.

Er sah aus wie ein präpubertierender Teenager am Sonntagvormittag auf der Wohnzimmercouch, dem die Mutter gesagt hatte, dass er Frisur und Kleidung vor dem Kirchenbesuch keinesfalls ruinieren dürfe. Dieses Bild passte aber so was von überhaupt nicht zum Tennisspieler Nadal, der seinen Gegnern mit gefletschten Zähnen und nach oben gezogenem linken Nasenflügel die Bälle übers Netz knallt und sich selbst bisweilen derart martialisch feiert, dass die Oberarme zu platzen drohen.

Nadal saß auf seinem Stuhl neben dem Spielfeld, auf der Anzeigetafel wurden Erinnerungen an all seine anderen Erfolge gezeigt, die Leute müssen ja irgendwie unterhalten werden. Nadal saß da, und er weinte. "Mir sind in diesem Moment so viele Dinge durch den Kopf gegangen", sagte er später über diesen Augenblick: "Ich habe versucht, meine Emotionen zu unterdrücken, aber es hat einfach nicht funktioniert." Er weinte, und dann zog er sich ein Handtuch über den Kopf und verwuschelte zum Glück den unpassenden Scheitel.

Das Wettrennen um den Titel des besten Tennisspielers der Geschichte

30 Sekunden saß er so da, und es würde nicht verwundern, wenn er in diesen 30 Sekunden nicht nur an dieses unfassliche Endspiel dachte, das er nach fast fünf Stunden Spielzeit und teils wahnwitzigen Ballwechseln gewonnen hatte; wobei Daniil Medwedew Nadal an eine Grenze getrieben hatte, die er ohne den Russen niemals erreicht hätte. Vielleicht dachte er auch an das unbarmherzige Wettrennen mit Roger Federer und Novak Djokovic um den Titel des besten Tennisspielers der Geschichte, das letztlich wohl anhand der Grand-Slam-Titel entschieden werden dürfte und bei dem sich Federer (20 Siege), Nadal (19) und Djokovic (16) an Grenzen treiben, die sie ohne einander nie erreichen würden.

Vielleicht dachte er aber auch an diese Trainingseinheit während der ersten US-Open-Woche, die so viel erklärt: warum Nadal dieses Finale noch gewonnen hat, obwohl er zu Beginn des fünften Satzes in den Seilen hing wie ein Boxer kurz vor dem Niederschlag. Und warum Federer, 38, und Djokovic, 32, fürchten müssen, dass sich diese Reihenfolge bald verschieben und Nadal, 33, nicht mehr einzuholen sein könnte.

Es gibt bei den US Open einen Sitzplatz, den alle sehen, aber doch kaum jemand benutzt. Auf der Tribüne über Court 4 kann der Zuschauer drei Partien gleichzeitig sehen, er kann von ganz oben aber auch hinübersehen zu den Trainingsplätzen. Nadal trainiert fast immer auf Practice Court 5, möglichst weit weg vom großen Stadion und damit von den Leuten, die über die Anlage flanieren. Die Zuschauer drängeln sich unten am Zaun, sie tun so, als würden sie das Training beobachten wollen - in Wirklichkeit wollen sie nur ein Foto machen und schnell wieder verschwinden.

Die erfolgreichsten Spieler bei Grand Slams (seit 1968)

1. Roger Federer (Schweiz) 20

2. Rafael Nadal (Spanien) 19

3. Novak Djokovic (Serbien) 16

4. Pete Sampras (USA) 14

5. Björn Borg (Schweden) 11

6. Andre Agassi (USA) 8

Jimmy Connors (USA) 8

Ivan Lendl (CZE/USA) 8

9. John McEnroe (USA) 7

Mats Wilander (Schweden) 7

11. Boris Becker (Leimen) 6

Diese eine Vorhand im Training - er spielt sie wieder und wieder und wieder

Vom Platz auf der Tribüne über Court 4 kann man in aller Ruhe Trainingseinheiten angucken, und wer sich Zeit nimmt, der bemerkt geradezu groteske Unterschiede. Manche feilen etwas an ihrer Technik, manche lockern ihre Muskeln am Tag nach einer schweren Partie, andere blödeln rum wie Nick Kyrgios, der sich bewusst nicht bemüht im Training, damit er ja nie erfahren muss, dass er, würde er sich anstrengen, vielleicht doch nicht so talentiert ist, wie er glaubt. Nadal dagegen prügelt eine Stunde lang unbarmherzig auf den Ball ein. Kein Lächeln, kein Abklatschen mit Trainer Carlos Moya, kein Gruß an die Fans.

Er knallt eine Vorhand von der Rückhandseite aus quer über den Platz, mit diesem unfassbaren Topspin, wie er ihn auch während der Ballwechsel im Finale immer präsentiert. Er übt nicht so lange, wie Moya es vorgibt oder wie zuvor vereinbart. Es sieht vielmehr so aus, als würde er so lange weitermachen, bis er nicht mehr kann; so wie der Bodybuilder, der so lange Liegestütze macht, bis er nicht mehr nach oben kommt. Kurze Pause, dann geht es von vorne los. Bis zur völligen Erschöpfung. Und wieder. Und wieder, und irgendwann weiß der Beobachter auf der Tribüne über Court 4, dass er zwar gerne so gut Tennis spielen können würde wie Nadal, dass er aber keinesfalls bereit wäre, sich selbst derart zu quälen. Wieder. Und wieder. Und wieder.

Das führt zu diesem Moment im fünften Satz im Finale am Sonntagabend. Medwedew hatte aufgeholt, er hatte die Partie gedreht und nun gleich beim ersten Aufschlagspiel von Nadal drei Breakbälle. Er hatte Nadal in den Seilen, er benötigte diesen einen Schlag, um seinen Gegner in den Ringstaub zu schicken. "Ich war in Schwierigkeiten, aber ich habe Gedanken an eine Niederlage sofort verdrängt", sagte Nadal später: "Ich weiß, dass ich immer meine Chancen bekomme, wenn ich einfach weitermache." Also so lange, bis er nicht mehr kann - oder bis der Gegner nicht mehr kann. Er konnte weitermachen, weil er genau das im Training geübt hatte.

Nadal wehrte die Breakbälle ab, doch das war nur der Beginn eines unvergesslichen fünften Durchgangs: Er schaffte zwei Breaks, immer wieder verwendete er diese Vorhand aus dem Training, doch Medwedew, der sich auf den Trainingsplätzen (er wählte meist Practice Court 4) ähnlich quälen kann wie Nadal, kam zurück, schaffte ein Break und hatte bei 4:5 einen Breakball für ein zweites Comeback in diesem Endspiel. Nur: Nadal machte weiter, bis Medwedew nicht mehr konnte, und nach knapp fünf Stunden und 6678 gelaufenen Metern war Schluss.

Nadal bedankte sich bei Medwedew: "So ein Kampf macht so ein Finale noch bedeutsamer." Dann schickte er eine Botschaft an alle anderen: "Natürlich wäre ich gerne der, der einen Titel mehr gewinnt. Aber ich trainiere nicht jeden Tag, um das zu erreichen. Ich mache das, weil ich es liebe, Tennis zu spielen." Er quält sich also auf diesem Practice Court 5, weil ihm das auch noch Spaß macht. Als Nadal, weit nach Mitternacht, die Anlage durch den Spielergarten verließ, da weinte er nicht mehr. Er lächelte zufrieden.

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