Kino:"Mit der Realität kann ich nichts anfangen"

Fünf-Seen-Filmfestival: Die Oscar-Gewinnerin Caroline Link, der Hollywood-Regisseur Tom Tykwer und der bewusst wirklichkeitsferne Szenenbildner von Babylon Berlin, Uli Hanisch, diskutieren in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing

Von Anna Weiss

Das Motto des diesjährigen Fünf-Seen-Filmfestivals ist weit gefasst: "Raum". Welche Assoziationsbreite das Thema für Filmschaffende haben kann, wurde am Sonntag beim "Filmgespräch am See" deutlich. Die renommierten Regisseure Caroline Link und Tom Tykwer sowie der Szenenbildner Uli Hanisch sprachen mit der Moderatorin Sylvia Griss in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing über "verfilmte Räume".

Beide Ehrengäste des Festivals, das bis 12. September dauert, interpretieren Raum unterschiedlich. "Natürlich ist ,Der Junge muss an die frische Luft' eine Reise in die Kindheit. Und Zeit und Raum führen zu unbewussten Erinnerungen", erzählt die Oscar-Gewinnerin. Caroline Link betont aber, dass sie bei der Arbeit an einem Projekt nie primär die Umgebung, in der sich die Handlung abspielt, betrachte. "Mir geht es um die Figuren und ihre Beziehungen. Als ich ,Nirgendwo in Afrika' gedreht habe, meinte ich immer zu meinem Kameramann: Film' um Gottes Willen keine Akazienbäume im Sonnenuntergang und keine Giraffen in Zeitlupe. Es geht um die Ehe, die wegen der Migration nach Afrika leidet."

Tom Tykwer erinnert an die Wichtigkeit des Raumes, da dieser im Film eine ganze Welt sei. Szenenbildner Uli Hanisch, der seit vielen Jahren eng mit dem Regisseur zusammenarbeitet, nickt. Wie unterschiedlich die Wahrnehmung von Räumen ist, verblüfft selbst den Experten. Das Wuppertal der Sechziger- und Siebzigerjahre, das Link in "Der Junge muss an die frische Luft" inszeniert, unterscheidet sich stark von dem Wuppertal, das Hanisch und Tykwer in "Der Krieger und die Kaiserin" gezeigt haben. Auch wenn Tykwer seit einigen Jahren teure und aufwendige Räume für seine Filme entwickeln kann, stellt er fest: "Es geht mir immer nur um Intensität, ich könnte auch mit einem Schauspieler in einem weißen Raum drehen." Das ist schon länger nicht passiert, "The International" von 2009 etwa war ein sehr gestylter und in seiner Aufwendigkeit kühl inszenierter Film.

Babylon Berlin

Für das Szenenbild der Zwanzigerjahre-Serie "Babylon Berlin" ist Uli Hanisch verantwortlich.

(Foto: X Filme)

Uli Hanisch ist für die Szenenbilder vieler Filme, auch von Tykwer, verantwortlich. Bei "Cloud Atlas", "Das Parfum" und zuletzt "Babylon Berlin" hat Hanisch dafür gesorgt, dass der Zuschauer in einzigartige Räume eintauchen kann, die die Geschichte mittragen. Tom Tykwer leidet, wenn die Story der Inszenierung zum Opfer fällt. "Ich finde diese Historienverfilmung furchtbar, in denen alles originalgetreu nachgebaut wird, und dann sagen die Macher sich: ,Huch, wir brauchen ja noch Figuren und eine Handlung'",erklärt er. "Ich kann mit der Realität nichts anfangen", ergänzt Hanisch mit entwaffnender Ehrlichkeit, "gut, die gibt's halt, aber wir machen doch einen Film".

Bei "Babylon Berlin" hat Hanisch sich selbst übertroffen und eine Stadt nachgebaut, wie sie in den Zwanzigerjahren hätte sein können. Tykwer und er wollten eine eigene Authentizität erschaffen, keine historisch korrekte Abbildung eine Großstadt. Das Szenenbild sei so wichtig, weil Berlin eine eigene Rolle in der Geschichte spiele und ihren getriebenen Protagonisten, den Kommissar Gereon Rath, auch selber umtreibe. "Wir wollten nicht Berlin darstellen, sondern das Babylon Berlin, immer in Bezug zu heute", berichten die beiden.

Fünf Seen Filmfestival Filmgespräch

Beim Gespräch über filmische Räume begegneten sich Caroline Link, Moderatorin Sylvia Griss und Tom Tykwer (v.li.).

(Foto: Stanley Reagh)

Link erschafft Welten nicht durch Nachbauten, sondern indem sie Landschaften als unterstützendes Element der Erzählung heranzieht. In ihrem Film "Exit Marrakech" sind Handlung und Raum stark verwoben. "Ich wollte unbedingt in Marokko drehen. Das stand fest, bevor es die Geschichte gab. Leider merkt man das streckenweise auch", sagt sie und lacht. Da hat ihr Grundsatz, erst die Figuren und die Geschichte zu sehen, wohl ausgesetzt.

Und noch ein anderer wichtiger Filmraum nimmt Raum in dem Gespräch ein: der Kinosaal. Was macht es mit dem Film, wenn immer weniger Menschen ins Kino gehen und dafür am Laptop Filme streamen? "Mit der Individualisierung des Filmeschauens verändert sich auch das Gemeinschaftsgefühl, dass sich beim Sprechen etwa über den Tatort einstellt", findet Tykwer. "Die jungen Leute reden auch über ihre Serien", winkt Link ab. "Aber für mich ist Kino vor allem die detailreichste Art, um Filme zu sehen. Im Sessel versinken und diese riesige Leinwand sehen, es gibt nichts Schöneres."

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