Unterhaussprecher John Bercow:Mister Speaker verlässt den Thron

Seine "Order, order"-Rufe sind längst Kult, seine Amtsführung durchaus umstritten: John Bercow tritt als Sprecher des britischen Parlaments zurück. Er kommt damit einer parteiinternen Machtprobe zuvor.

Von Cathrin Kahlweit, London

Es hat in den vergangenen Jahren viele Tory-Politiker geben, die John Bercow die Pest an den Hals wünschten. Dabei ist der Sprecher des britischen Parlaments eigentlich ein Tory, als Speaker muss er seine Parteimitgliedschaft allerdings ruhen lassen. Bercow gilt als Remainer, nicht als Brexiteer, auch wenn er selbst immer seine Unabhängigkeit betonte; und in dem Maße, in dem die Brexiteers die Tory-Partei und die konservative Fraktion im Unterhaus übernahmen, wurde ihnen der selbstbewusste Brexit-Kritiker Bercow ein Dorn im Auge.

Nun hat der Sprecher, der mittlerweile weit über die Landesgrenzen hinaus als Popstar der Politik gilt, seinen Rückzug aus dem Amt angekündigt. Wenn sie für baldige vorgezogene Neuwahlen stimmen würden, ließ er seine Kollegen im Parlament am Montagabend überraschend wissen, werde er nicht mehr antreten. Andernfalls werde er spätestens zum - bisher ja immer noch gültigen - EU-Austrittsdatum am 31. Oktober sein Amt niederlegen. Nach seiner Rede im Parlament erhielt Bercow standing ovations - allerdings nur von der Opposition. Auf den Rängen der Regierungspartei blieb es demonstrativ still. Premier Boris Johnson und seine Adlaten im Parlament werfen Bercow, wie schon Ex-Premierministerin Theresa May zuvor, Obstruktionspolitik vor und sagen, er unterstütze mit seinen Entscheidungen jene, die einen Brexit noch verhindern wollten.

Bercow, wie immer ganz in seinem Element in dem politischen Sturm, den er mit seiner Ankündigung auslöste, schien den Jubel ausnehmend zu genießen. Er ist nämlich durchaus eitel und freute sich sichtlich, dass seine "Order, order"-Rufe, seine ausführlichen Einlassungen - bisweilen Belehrungen und Ermahnungen -, seine Scherze und seine rhetorische Brillanz inzwischen Kultstatus erlangt haben.

Aber er ist in seiner Rolle, die er immer sehr weit ausgelegt hat, eben auch durchaus umstritten. Auch wenn es vor allem die Regierung ist, die in Großbritannien der Legislative die Agenda vorgibt, so kann der mächtige Sprecher des Unterhauses doch darüber entscheiden, welche Änderungsanträge und aktuellen Stunden auf die Tagesordnung kommen. Und nicht nur das: Er kann auch, im Einklang mit den ungeschriebenen Gesetzen des Hauses, vorgeben, über welche Änderungsanträge die Parlamentarier abstimmen dürfen. Bercow hatte sich immer wieder darüber hinweggesetzt, wenn die Regierung ein Gesetz für eindeutig festgeschrieben (not amendable) hielt, und Anträge von Parlamentariern zugelassen. Diese bescherten der Regierung jede Menge empfindliche Niederlagen. Bercow betonte immer wieder, er sei gewählt, um die Rechte des Parlaments durchzusetzen - im Zweifel auch gegen die Regierung.

Bercows Auftritte geraten bisweilen doch recht theatralisch

Von Downing Street bekam er deshalb immer wieder viel Druck. Verrat, Eigenmächtigkeit, Arroganz und mangelnde Neutralität wurden ihm ebenso vorgeworfen wie Verletzung der Spielregeln. Er verteidigte sich, wie immer, wortgewaltig; er sei bei klarem Verstand und wisse, was er tue. Als ein Tory ihm vorwarf, er fahre mit einem Anti-Brexit-Sticker auf dem Auto herum, konterte er: Das sei nun mal der Wagen seiner Frau - und der Kollege würde ja wohl kaum behaupten wollen, dass die Ehefrau der Besitz des Mannes sei? Diese Verteidigung in eigener Sache, mit feiner Klinge vorgetragen, galt auch deshalb als besonders selbstironisch, weil Bercows Ehe immer wieder Schlagzeilen produzierte. Seine Frau, eine attraktive Blondine und Labour-Aktivistin, ist nicht nur mindestens einen Kopf größer als er, sondern soll, wie Boulevardmedien berichten, auch die eine oder andere Affäre gehabt haben. Das Paar ist immer noch zusammen und gilt als sturmerprobt - in Liebesdingen wie in der politischen Auseinandersetzung.

Der 56 Jahre alte Parlamentarier stellt sich der Empörung grundsätzlich mit Ironie und großer Geste, denn genau das ist Bercows größte Qualität und zugleich seine größte Schwäche: Er hätte das Zeug zum Alleinunterhalter. Bercow zu beobachten, wenn er im Talar auf seinem Sprechersitz hockt, der einem Thron nicht unähnlich ist, und in aufgeheizten Debatten längliche Ordnungsrufe erteilt, kleine Gemeinheiten fallen lässt oder die Kollegen mit persönlichen Spitzen demütigt, ist höchst amüsant; aber die Auftritte geraten bisweilen doch recht theatralisch.

Neben der Kritik, dass er zu eigenmächtig handle, hatte Bercow auch mit einem parlamentsinternen Verfahren zu kämpfen: Monatelang wurde gegen den Sprecher ermittelt, weil ihm zahlreiche Mitarbeiterinnen Wutausbrüche und Anzüglichkeiten vorwarfen. Für den Sohn eines Taxifahrers, dessen Vorfahren aus Rumänien eingewandert waren, wird dies also die letzte Amtsperiode als Mr. Speaker gewesen sein. Die Tories hatten ohnehin schon angekündigt, bei der vorgezogenen Neuwahl, die in den kommenden Monaten stattfinden dürfte, einen internen Gegenkandidaten gegen ihn aufzustellen - was ein klarer Bruch der parteiinternen Regeln gewesen wäre. Dem ist Bercow nun zuvorgekommen. Die "Order, order"-Rufe von Bercow werden mithin künftig ebenso fehlen wie der Anblick, wie er sich, mit verwuscheltem Haar und ironischem Lächeln auf seinem Thron gemütlich für einen weiteren, langen Tag im Unterhaus einrichtet.

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